19.05.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 229 / Zusatzpunkt 2

Florian HahnCDU/CSU - Antisemitismus, jüdische Vielfalt in Deutschland

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Kind in einer Patchworkfamilie hatte ich unter anderem den großen Vorteil, mehr als nur zwei Großelternpaare zu haben. Das hat sich vor allem an Weihnachten und an Geburtstagen besonders ausgezahlt. Ich hatte aber vor allem das große Glück, mit weiteren ganz besonderen Menschen in der Familie eng aufwachsen zu dürfen.

Besonders beeindruckt hat mich mein Stiefgroßvater – so würde ich ihn bezeichnen – Wolfgang Rebner. Der großartige Komponist und Pianist konnte als Jude noch rechtzeitig vor dem Naziterror nach London flüchten. Ein großer Teil seiner Familie wurde Opfer des deutschen Rassenwahns in Buchenwald und Auschwitz. Nach dem Krieg war er unter anderem zehn Jahre in Hollywood beschäftigt, bevor er in den 50er-Jahren wieder in seine Heimat Deutschland zurückkam, wo er dann als Dozent am Münchener Richard-Strauss-Konservatorium arbeitete.

Ich habe mich oft gefragt, wie er trotz seiner eigenen Familiengeschichte wieder zurückkehren konnte. Ich glaube, er hat seine Heimat einfach geliebt und war sich sicher, dass ein freies und demokratisches Deutschland den Antisemitismus überwinden kann. Ich frage mich heute: Wie wohl bzw. wie unwohl würde er sich heute in Deutschland fühlen?

Es tut mir daher in der Seele weh und beschämt mich, dass wir immer noch mit dem Phänomen des Antisemitismus in Deutschland kämpfen und solche Berichte, wie uns heute einer vorliegt, überhaupt noch debattieren müssen. Noch schlimmer ist jedoch, dass wir uns eingestehen müssen, dass sich die Situation nicht verbessert, sondern ganz im Gegenteil verschlimmert hat.

Es ist unerträglich, dass die Zahl antisemitischer Straftaten dramatisch zugenommen hat – und das konkret im Verhältnis zu dem ebenfalls dramatisch zunehmenden Rechtsextremismus in unserem Land. Das sind übrigens oftmals dieselben Personen, die an Ihren Veranstaltungen, Frau von Storch, teilnehmen, dort mit dabeistehen und sich mit Ihnen zusammen im Social-Media-Bereich umhertun. Ich finde, dass die Langeweile, mit der Herr Gauland, der jetzt durch Abstinenz in der ersten Reihe glänzt, zumindest die Hälfte dieser Debatte begleitet hat, einmal mehr bezeichnend und demaskierend dafür ist, wo die AfD bei diesem Thema in Wahrheit steht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Billig!)

Es ist unerträglich, dass sich Jüdinnen und Juden in Deutschland aus Sorge um ihre Sicherheit tatsächlich überlegen, auszuwandern. Es ist unerträglich, dass es in manchen Stadtvierteln in Deutschland – gerade auch hier in Berlin, wo wir alle so weltoffen sind – für Juden nicht möglich ist, angstfrei mit einer Kippa auf dem Kopf auf der Straße zu laufen. Es ist unerträglich, dass wir aktuell zusehen müssen, wie anlässlich des wieder aufbrechenden Konflikts zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas auf Demonstrationen in der ganzen Welt, aber auch in Deutschland israelische Flaggen verbrannt und Rufe nach der Zerstörung des Judenstaates Israel laut werden.

Diese Vorfälle zeigen eines ganz deutlich: Wir haben neben dem Erstarken des abscheulichen Rechtsextremismus, der mit aller Härte bekämpft werden muss, ein Problem mit zugewandertem Antisemitismus. Wir dürfen aus falsch verstandener Toleranz oder weil die Falschen dieses Thema auch ansprechen nichts beschönigen. Wir haben hier ein Problem, und das zeigt sich, wenn wir uns die Demonstranten genau anschauen, die auf den Demonstrationen unterwegs sind.

(Jan Ralf Nolte [AfD]: Die waren vorher auf AfD-Veranstaltungen, oder was? Keine Ahnung!)

Es sind vor allem auch arabischstämmige Jugendliche und türkische Rechtsextremisten, die sich dort tummeln.

Wir müssen mit allen Mitteln des Rechtsstaats – auch hier – dagegen vorgehen. Wir müssen den Worten nun endlich auch Taten folgen lassen: mit noch mehr Anstrengungen in den Schulen – das hat Mathias Middelberg sehr gut beschrieben –, noch mehr Anstrengungen bei der Integration von Einwanderern und klaren Konsequenzen – wie Abschiebungen – für Einwanderer, die sich nicht integrieren lassen und durch Antisemitismus auffällig werden.

In diesem Sinne erwarte ich von der Bundesregierung, nicht nachzulassen und weiterhin entsprechende Vorschläge für wirkungsvolle Maßnahmen im Kampf gegen den Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vorzulegen, die wir im Deutschen Bundestag so schnell als möglich dann auch unterstützen und umsetzen können.

An dieser Stelle auch von meiner Seite herzlichen Dank für die großartige Arbeit, die Dr. Klein geleistet hat und noch leisten wird.

Angesichts der aktuellen Situation im Nahen Osten möchte ich noch eines sagen: Für meine Partei, für die CSU, und für die Union insgesamt ist klar: Unser Platz ist klar an der Seite Israels. Deshalb haben sowohl CDU als auch CSU vor ihren Parteizentralen im wahrsten Sinne des Wortes Flagge gezeigt. Denn wir wissen: Israel ist ein Leuchtturm der Demokratie in einem Meer von Autokratien.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Israel und sein Wohlergehen sind deutsche Staatsräson und nicht verhandelbar.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7522430
Wahlperiode 19
Sitzung 229
Tagesordnungspunkt Antisemitismus, jüdische Vielfalt in Deutschland
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