Eva Högl - Jahresbericht 2020 der Wehrbeauftragten
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In sechs Tagen bin ich ein Jahr im Amt, und es ist für mich eine große Freude, Ihnen heute den Jahresbericht 2020 vorstellen zu dürfen. Ich beginne natürlich mit einem ganz, ganz herzlichen Dankeschön für die gute Zusammenarbeit – vielen Dank dafür –; aber ich drehe mich auch kurz um und spreche dem gesamten Amt der Wehrbeauftragten ein herzliches Dankeschön aus, den 60 Kolleginnen und Kollegen, die mit viel Erfahrung, mit viel Sachkunde, mit viel Sorgfalt, mit viel Herzblut und mit viel Engagement jeden einzelnen Fall bearbeiten und sich um das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten kümmern. Ich finde, das ist ganz wunderbar.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Wir haben im Jahr 2020 3 907 Vorgänge bearbeitet. Davon sind allein 2 753 persönliche Eingaben von Soldatinnen und Soldaten. Wir bearbeiten viele meldepflichtige Ereignisse. Ein Quell meiner Aktivität und unserer Arbeit sind natürlich die zahlreichen Truppenbesuche. Das ist ganz entscheidend, und ich bin sehr froh, dass ich trotz Corona viele Truppenbesuche machen konnte, viele Standorte besucht habe, unterschiedliche Verbände getroffen und zahlreiche Gespräche mit Soldatinnen und Soldaten geführt habe. Sie wissen das von mir: Ich bedauere es sehr, dass ich wegen Corona bisher noch nicht in die Einsatzgebiete reisen konnte. Sobald das möglich ist, werde ich das schnellstmöglich machen und werde Ihnen dann hoffentlich von vielen persönlichen Eindrücken, die nämlich durch Videokonferenzen und Telefonate nicht zu ersetzen sind, berichten können.
Der Jahresbericht ist immer auch eine Ansammlung von Mängeln, Fehlern und Versäumnissen. Es ist die Aufgabe, dass sie dargestellt werden, und im besten Fall ist das dann eine Grundlage für Verbesserungen. Aber ich habe mir fest vorgenommen – auch das wissen Sie von mir –, dass ich mein Amt nutzen möchte, um auch die vielen positiven Dinge, die vielen guten Beispiele, die wir jeden Tag in und mit der Bundeswehr erleben, hervorzuheben: worauf wir stolz sein können, was erreicht wurde und was auf einem guten Weg ist. Auch das finden Sie im Jahresbericht.
Ich beginne mit Corona; denn Corona hat das Jahr 2020 geprägt, und es prägt auch noch das Jahr 2021. Die wirkliche Leistung und der große Erfolg ist, dass es gelungen ist, die Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Das ist der Kernauftrag der Bundeswehr, und ich habe mir das an vielen Stellen angeschaut: Grundbetrieb, Ausbildung, Übung, Vorbereitung und Durchführung der Einsätze. Das ist wirklich eine enorme Leistung. Ich spüre natürlich auch, wie beschäftigt und belastet die Soldatinnen und Soldaten damit sind, diesen Kernauftrag unter Coronabedingungen auszuführen. Das zeigen auch die Eingaben: 487 Eingaben im Jahr 2020 allein zum Thema Corona.
In der Amtshilfe, meine Damen und Herren, zeigt die Truppe, was sie kann. Lufttransport, Logistik, Testen, Impfen, Kontaktnachverfolgung und Musik: Wir kennen die zahlreichen Beispiele, und wir wissen auch, wie dankbar die Bürgerinnen und Bürger an allen Stellen dafür sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ende 2020 waren 11 400 Soldatinnen und Soldaten in der Amtshilfe gebunden, 20 000 in Bereitschaft, und die Sanität hat natürlich tatkräftig unterstützt. Ich erlaube mir heute mal, eine Einheit herauszugreifen und ein Lob auszusprechen für das Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr hier in Berlin, in der Julius-Leber-Kaserne, das nämlich die Koordination der Amtshilfe ganz exzellent macht.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jeder Einsatz ist vorbildlich, an jeder Stelle eine große Hilfe. Dafür gebührt den Soldatinnen und Soldaten unser Dank, Anerkennung und Respekt. Ich habe im Jahresbericht auch vorgeschlagen, die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz waren, mit einer Einsatzmedaille auszuzeichnen. Das wäre eine verdiente Anerkennung. Ich habe den Bundespräsidenten dazu angeschrieben und auch Sie, Frau Ministerin, und ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn das umgesetzt werden könnte.
(Beifall bei der SPD)
Ein Schwerpunkt meines Berichtes ist das Thema Personal; denn auch unabhängig von Corona, aber gerade in der Pandemie ist es ganz besonders wichtig, dass die Bundeswehr gute Frauen und Männer bekommt. Deswegen besorgt es uns alle, dass im Jahr 2020 19 Prozent weniger Neueinstellungen möglich waren, dass immer noch mehr als 20 000 Stellen oberhalb der Mannschaftsdienstgrade unbesetzt sind. Es mangelt an IT-Spezialistinnen und -Spezialisten. Ich betrachte es auch etwas mit Sorge, dass das Durchschnittsalter ständig steigt; wir sind jetzt bei 33,4 Jahren. Das zeigt: Wir brauchen wirklich gute Männer und Frauen bei der Bundeswehr. Das muss eine gemeinsame Kraftanstrengung sein. Die Soldatinnen und Soldaten schildern mir, dass es ihnen darauf ankommt, auch Planbarkeit und Vereinbarkeit berücksichtigt zu wissen. Wir wollen alle gemeinsam daran arbeiten, dass die Bundeswehr ein attraktiver und guter Arbeitgeber ist.
Ein Dauerbrenner – wir sind schon seit vielen Jahren damit beschäftigt; es hat auch die Jahresberichte meiner Vorgänger geprägt, was es nicht besser macht, sondern schlimmer – ist das Stichwort Material. Soldatinnen und Soldaten klagen, und sie klagen berechtigterweise über fehlende Ausrüstung, Ausstattungsgegenstände, Kälteanzüge, Gehörschutz, Helme, Rucksäcke, aber auch über das große Gerät: Fahrzeuge, Boote, Schiffe, Hubschrauber und Werkzeug. Mit 74 Prozent Einsatzbereitschaft, Frau Ministerin, sind wir noch nicht am Ziel. Daran muss weiter gearbeitet werden. Ich beobachte auch sehr aufmerksam, dass das ein Quell für Frustration ist. Deswegen müssen wir das gute Geld, das wir im Verteidigungshaushalt haben, auch dafür investieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ein weiterer Dauerbrenner ist die Infrastruktur. Ich führe das Thema gar nicht zu detailliert aus, aber es lohnt sich, da auch in der nächsten Legislaturperiode noch mal eine Kraftanstrengung zu machen. Die Planungen dauern zu lange. Es dauert zu lange, bis die Gebäude stehen. Ich habe im Jahresbericht ein paar negative Highlights aufgelistet. Ich habe einige Gebäude gesehen, die verschimmelt waren, die unzumutbar sind. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten, und da muss auch eine Lösung gefunden werden, wie wir das Nadelöhr der Landesbauverwaltung irgendwie umschiffen, durchdringen oder wie auch immer.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Thema Rechtsextremismus, meine Damen und Herren, beschäftigt uns – uns im Amt und natürlich auch mich – das ganze Jahr intensiv. Wir hatten im Jahr 2020 229 meldepflichte Ereignisse. BAMAD überliefert uns die Zahl von über 500 Verdachtsfällen im Bereich Rechtsextremismus und Reichsbürger. Es erfordert eine ganz gewaltige Anstrengung im Bereich von Aufklärung, Sanktionierung, Reformierung und vor allen Dingen – das sage ich am Ende, weil es besonders wichtig ist – auch Prävention. Das ist eine Daueraufgabe, meine Damen und Herren, und nicht nur eine Aufgabe nach dem Auftreten von einzelnen Vorfällen. Das hat uns das letzte Jahr auch gezeigt.
Ich habe mich natürlich auch um das Thema KSK intensiv gekümmert. Am 18. Mai 2020 Jahr hat General Kreitmayr seinen offenen Brief veröffentlicht. Am 25. Mai 2020 habe ich mein Amt angetreten. Ich habe das KSK und die Entwicklung in dieser Zeit natürlich intensiv begleitet, viele Gespräche geführt, persönliche Eindrücke gesammelt. Ich fahre morgen wieder hin, um gerade auch in dieser Zeit vor dem Abschlussbericht noch mal in den Verband hineinzuhören und die Stimmung aufzunehmen.
Wir brauchen diese Fähigkeit; ich hoffe, darüber herrscht hier auch weitgehend Einigkeit. Es ist richtig, dass wir das KSK haben. Sie brauchen unser Vertrauen, und ich hoffe persönlich sehr, dass sie unser Vertrauen auch verdienen und dass wir die unterstützen, die sich täglich dafür engagieren, dass aufgeklärt und reformiert wird. Das betrifft im KSK, aber natürlich auch in der gesamten Bundeswehr die ganz überwiegende Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten.
(Beifall der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])
– Danke schön für diesen Applaus; es ist ganz wichtig, das zu betonen. – Ich hoffe nicht nur, dass das KSK eine gute Zukunft hat, sondern dass wir dieses Thema auch ausreichend intensiv bearbeiten können.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Meine Damen und Herren, ein Ärgernis im Bereich der Bekämpfung des Extremismus möchte ich noch hervorheben, weil mich das wirklich besorgt und weil wir auch da eine Kraftanstrengung brauchen: Die Verfahren dauern zu lange.
(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Aufklärung dauert definitiv zu lange. WDA, Gerichte, MAD brauchen alle mehr Personal, um wirklich zügig auf die Vorfälle reagieren zu können, die nötigen Sanktionen vornehmen zu können und Konsequenzen zu ziehen.
Ich möchte zum Schluss noch auf zwei aktuelle Themen eingehen, die uns jetzt gerade beschäftigen:
Zum Abzug aus Afghanistan. Es ist richtig, die Truppen nach fast 20 Jahren aus Afghanistan abzuziehen. Der Einsatz in Afghanistan hat unsere Bundeswehr verändert; er hat sie geprägt. Wir danken natürlich allen 160 000 Soldatinnen und Soldaten, die dort in dieser langen Zeit im Einsatz waren, und wir denken auch an die 59 Menschen, die dort ihr Leben gelassen haben.
Jetzt geht es darum, ausreichend gesichert abzuziehen. Der Schutz und die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten sind sehr wichtig. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe den Eindruck – wir bekommen das ja auch regelmäßig im Verteidigungsausschuss berichtet –, dass die Bundeswehr erstens gut vorbereitet ist und zweitens diese Sicherheit auch bestmöglich gewährleisten wird.
Ich möchte an dieser Stelle bei Ihnen ganz kurz dafür werben, dass wir diesen Einsatz wirklich sorgfältig und auch selbstkritisch in allen seinen Teilen bilanzieren. Ich habe mir erlaubt, vorzuschlagen, dass vielleicht eine Enquete-Kommission ein gutes Format wäre. Ich finde, es wäre gut, wenn wir auch für künftige Einsätze aus diesem Einsatz etwas lernen.
Die letzten Sekunden nutze ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, ganz schnell noch, um zwei Bemerkungen zu den Reformen zu machen:
Frau Ministerin, es ist völlig richtig, auf die veränderte Weltlage und die Bedrohung mit Reformen zu reagieren. Das braucht die Bundeswehr. Ihr Eckpunktepapier enthält auch viele gute Vorschläge. Ich habe mir trotzdem erlaubt, ein paar kritische Anmerkungen zum gewählten Zeitpunkt zu machen; denn darüber kann man streiten und viel diskutieren. Die Truppe ist durch die Pandemie und den Abzug aus Afghanistan sehr belastet. Ich fand den Zeitpunkt nicht wirklich gut, weil es für Unruhe in der Truppe gesorgt hat. Mitten in der Pandemie ausgerechnet unseren hervorragenden Sanitätsdienst als eigenständigen Bereich auflösen zu wollen, fand ich auch keine gute Idee. Aber es kommt ja jetzt gar nicht so, wie es diskutiert worden ist.
Ich wünsche mir natürlich, Frau Ministerin und auch meine Damen und Herren hier im Bundestag, dass wir insbesondere in den Bereichen Beschaffung, Personal und Infrastruktur nicht nur Prüfaufträge geliefert, sondern auch Vorschläge bekommen. Die Themen sind entscheidungsreif, und daher brauchen wir auch schnelle Entscheidungen.
Ganz am Schluss sage ich noch einmal Danke, meine Damen und Herren, nicht nur für Ihre Aufmerksamkeit, sondern auch für die gute Zusammenarbeit. Ich danke vor allen Dingen unseren Soldatinnen und Soldaten, die sich jeden Tag für Freiheit, für unsere Demokratie und für Frieden in der Welt einsetzen und die das ganz hervorragend machen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Frau Dr. Högl.
Als nächste Rednerin hat die Frau Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer für die Bundesregierung das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 229 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2020 der Wehrbeauftragten |