Sabine DittmarSPD - Aktuelle Stunde zur Lage in deutschen Intensivstationen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich braucht es zu gegebener Zeit eine sorgfältige Analyse des Leistungsgeschehens während der Pandemie. Allerdings finde ich den Anlass für diese Aktuelle Stunde durchaus erstaunlich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Was in den sozialen Medien in den letzten Tagen unter #Divigate lief, basiert letztendlich auf einer schlecht recherchierten Ad-hoc-Stellungnahme. Während die Autoren ihre vermeintlichen Erkenntnisse zwischenzeitlich selbst zum Teil relativiert oder korrigiert haben, stürzt sich die AfD natürlich mit Genuss darauf; denn die AfD meint, einer ganz großen Geschichte auf der Spur zu sein und die Intensivversorgung in Deutschland skandalisieren zu können.
Erinnern wir uns an 2020: Die Bilder aus Bergamo haben uns geschockt und tief getroffen. Eine solche dramatische Situation galt es in Deutschland mit aller Kraft zu verhindern.
(Beifall bei der SPD)
Deshalb war es wichtig und richtig, die Zahl der Intensivbetten und Beatmungsplätze mit einem Förderprogramm aufzustocken. Es war auch eine kluge Entscheidung, ein DIVI-Intensivregister zu etablieren. Erstmals überhaupt haben wir einen tagesaktuellen, standortgenauen Überblick über betreibbare Intensivbetten. Und „betreibbar“ heißt: Bett, Platz und Personal.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich muss sagen, mich macht es richtig wütend, wenn ich mir immer wieder anhören muss: Aber es waren ja nur 20 Prozent der Betten mit Covid-19-Patienten belegt.
(Ulli Nissen [SPD]: Was für ein Glück!)
Wer so daherredet, hat schlicht und ergreifend keine Ahnung von der Realität.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Eine Intensivstation mit Akutversorgung ist ausgelastet, wenn sie zu 80 Prozent belegt ist, da immer einige Betten für Akutfälle zur Verfügung stehen müssen; denn auch der Herzinfarktpatient, der Schlaganfallpatient, das Unfallopfer muss versorgt werden. In den letzten Wochen und Monaten waren unsere Intensivstationen zu um die 90 Prozent belegt, und davon zu 20 Prozent – das ist richtig – mit Covid-19-Patienten. Mit der Kenntnis, dass der Covid-19-Patient in der Versorgung überproportional viel Personal und auch räumliche Kapazitäten bindet, kann sich jeder ausmalen, was das bedeutet.
Unsere Intensivpflegerinnen und ‑pfleger, unsere Ärztinnen und Ärzte haben bis zur Erschöpfung mit höchstem Engagement gearbeitet – über Tage, über Wochen, über Monate.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich muss sagen: Ich bin sehr dankbar, dass es uns bislang gelungen ist, durch diese Pandemie zu kommen, ohne unser Gesundheitssystem an seine Grenzen zu führen. Bei uns musste kein Arzt, keine Ärztin entscheiden, ob und welche Patienten beatmet werden, bei wem es sich lohnt und bei wem die Versorgung eingestellt wird. Aber in gewisser Weise ist auch eine Triage durchgeführt worden; denn planbare Eingriffe, nicht lebensnotwendige Diagnostiken und Therapien mussten verschoben werden. Und auch das fällt medizinisch Verantwortlichen nicht leicht.
Es ist also echt dummes Zeug, zu behaupten, dass die Lage auf den Intensivstationen gar nicht so schlimm war. Statt die herausragende Leistung unserer Pflegerinnen und Pfleger und Ärztinnen und Ärzte zu würdigen, versucht die AfD, sie zu diskreditieren.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Maag [CDU/CSU] – Ulli Nissen [SPD]: Pfui! – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Haben Sie mir überhaupt zugehört, Frau Dittmar?)
Wenn die AfD meint, dass die Auslastung nur ein Fake ist bzw. die Betten aus purer Geldgier mit Gesunden belegt werden, dann gehen Sie doch bitte auf die Covid-Intensivstationen, dann fragen Sie dort die Belegschaft, was sie in den letzten Wochen und Monaten getan hat. Lassen Sie sich zeigen, wie viele Sonderschichten und Überstunden geschruppt wurden.
(Enrico Komning [AfD]: Das bestreitet doch gar keiner!)
Meine Damen und Herren, jetzt endlich sind die Infektionszahlen rückläufig, die täglichen Neuaufnahmen auf den Intensivstationen gehen zurück. Aber von Entspannung im eigentlichen Sinne würde ich noch nicht reden; denn auch im sogenannten Normalbetrieb, von dem wir noch ein Stück weit entfernt sind, ist die personelle Situation auf Kante genäht. Deshalb ist es gut, wenn wir endlich per Gesetz ein wissenschaftlich fundiertes Personalbemessungsinstrument auf den Weg bringen.
(Beifall bei der SPD)
Das ist schon lange eine Forderung meiner SPD.
In Deutschland sind – Stand 19. Mai 2021 – bisher 86 902 Menschen mit oder an Covid verstorben. Das heißt, dass 86 902 Mal um ein Leben gekämpft und gerungen wurde, dass 86 902 Mal Familien einen Verlust erlitten haben. Das ist kein Thema, um daraus parteitaktisch Kapital zu schlagen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hier gibt es nichts zu deuteln oder zu relativieren.
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, die Pandemie hat uns mehr als deutlich vor Augen geführt, wo die Stärken, aber auch, wo die Schwächen unseres Gesundheitssystems liegen.
Frau Kollegin!
Diese gilt es in Ruhe und ohne populistisches Getue aufzuarbeiten, damit wir künftig besser gewappnet sind.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise darauf hin, dass die namentliche Abstimmung zu Zusatzpunkt 28 in acht Minuten geschlossen wird. Wer also bisher nicht abgestimmt hat, möge bitte jetzt losgehen.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Harald Weinberg, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7522972 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 230 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Lage in deutschen Intensivstationen |