Karl-Heinz BrunnerSPD - Sexuelle Identität
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin im März 1953 geboren und war im Jahre 1969 gerade 16 Jahre alt, als § 175 StGB, verschärft durch die Regelungen der Nazis, noch in Kraft war. Vielleicht war dieses Jahr prägend für mich. Vielleicht war die erste Änderung des § 175, nach der homosexuelle Handlungen erwachsener Männer – ich war damals 16 Jahre alt – nicht mehr unter Strafe standen, einer der Gründe, in diesem Land nicht nur zu leben, sondern auch rechtsstaatlich zu arbeiten und mich für diese Republik einzusetzen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage dies deshalb, weil mir in der letzten Legislatur die Gnade zuteilwurde, an der Aufhebung der Urteile nach § 175 und damit der großen Schande dieses Landes mitzuwirken. Mir wurde außerdem die Gnade zuteil, an der Ehe für alle mitzuwirken. Ich weiß, wie schwierig es ist, im parlamentarischen Verfahren Mehrheiten zu erreichen, Mehrheiten, die über den Tag hinaus gelten, Mehrheiten, die dazu dienen, dass die Entscheidung eine hohe Akzeptanz in der Gesellschaft und eine hohe Akzeptanz unter den Parlamentarierinnen und Parlamentariern hat.
Ich war es auch, der zur Einführung der Ehe für alle im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz der letzten Legislatur an die 30-mal einen Vertagungsantrag gestellt hat.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich erinnere mich!)
– Ja, Kollegin Künast, Sie erinnern sich. – Mit stoischer Ruhe habe ich immer wieder Vertagungsanträge gestellt, und zwar nicht, um zu keiner Entscheidung zu kommen, nicht um die Ehe für alle, die mir ein Herzensanliegen war und ist, nicht Gesetz werden zu lassen, sondern um die Chance zu haben, bis zum letzten Tag der Legislatur um eine Mehrheit zu werben, damit die Ehe für alle, also auch für gleichgeschlechtliche Paare, Wirklichkeit wird. Wir haben auf diese Weise ein ganz kleines Lichtchen, nämlich den Gesetzentwurf, der damals durch den Bundesrat eingebracht wurde, am Leben erhalten.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, angesichts der heutigen nachmittäglichen Debatte und auch mancher Kommentare, die aus Teilen der Community und des LSVD kommen, bin ich enttäuscht und traurig; denn durch das Aufsetzen dieser Entscheidung am heutigen Tag, obwohl jede Parlamentarierin und jeder Parlamentarier weiß, dass für eine Änderung des Grundgesetzes eine Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten dieses Hohen Hauses erforderlich ist, wird die Änderung nicht erreicht. Wer dies weiß und auf Abstimmung drängt, bringt dieses wichtige Thema, nämlich die Ergänzung des Grundgesetzes um die geschlechtliche Identität, nur aus parteipolitischem Kalkül auf die Tagesordnung, nur aus dem Kalkül heraus, jetzt eine Schlagzeile zu haben, schnell etwas aufpoppen zu lassen, und lässt dabei die Gefahr außer Acht, damit den Gegnern dieser Änderung, zu denen ich nicht gehöre – das will ich ausdrücklich sagen –, Munition in die Hand zu geben, was vielleicht ein stumpfes, aber dennoch ein Schwert ist, zu sagen: Der Deutsche Bundestag hat dies ja schon einmal mit Mehrheit abgelehnt. – Ich halte dies für perfide, halte dies nicht für in Ordnung, halte dies nicht für gut. Ich hätte es besser gefunden, wenn wir bis zum letzten Tag dieser Legislatur versucht hätten, diese Änderung des Grundgesetzes zu erreichen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])
Kollege Jan-Marco Luczak weiß das. Wir werden innerhalb der Pfingstwoche noch mal miteinander reden und besprechen, welche Möglichkeiten es gibt, die Grundgesetzänderung doch noch auf den Weg zu bringen, doch noch einen Weg zu finden, wie wir zwei Drittel der Frauen und Männer dieses Hohen Hauses für eine Änderung des Grundgesetzes begeistern.
Ich sage an dieser Stelle auch: Als jemand, der in seinem 16. Lebensjahr quasi noch als Krimineller behandelt wurde, möchte ich mit dieser Grundgesetzänderung den Menschen, die gleichgeschlechtlich leben, den Menschen, die in unterschiedlichen sexuellen Identitäten und mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen leben, die Freiheitsrechte geben, die ihnen gehören. Mir ist egal, ob ich heute schnellen Zuspruch bekomme oder ob es ein schwieriges, ein langes, ein zähes Verhandeln wird, zu dem unser früherer Bundestagspräsident Thierse immer sagte: Demokratie ist halt nicht bunt. Demokratie ist nicht schrill. Demokratie ist grau, enttäuschungsbehaftet und anstrengend.
Aber Artikel 3 Grundgesetz ist es wert, diesen anstrengenden Weg zu gehen, genauso wie er es wert ist beim Rassebegriff, bei dem auch noch keine entsprechende Einigung erzielt worden ist, obwohl man auf Kabinettsebene schon einen Weg gefunden hat. Weil dies der Fall ist und weil auch die Kinderrechte noch ins Grundgesetz gehören, glaube ich, sollten wir auf populistische Anträge, auf das schnelle Tagesgeschäft, das bei Twitter passt, das bei Facebook, das bei Instagram passt, bei diesem ernsthaften Thema verzichten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir sollten ernsthaft, intensiv, aber auch demokratisch darum ringen, wie wir die Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag und, mit Verlaub gesagt, dann auch im Bundesrat erreichen, um das Grundgesetz so anzupassen, wie es sich gehört. Auf diesem Weg werden Sie in mir immer einen Mitstreiter haben.
Für populistische Anträge, die schnell auf die Tagesordnung kommen in dem Wissen: „Wir verlieren die Abstimmung eh, aber wir hatten es auf der Tagesordnung“, werden Sie jedoch keine Zustimmung von mir bekommen und auch keine Unterstützung, weil es der Sache nicht dient und die Menschen in diesem Land, die darauf warten, dass Artikel 3 des Grundgesetzes ergänzt wird, nur noch ein weiteres Mal enttäuscht. Und noch weiter enttäuscht müssen die Menschen in unserem Land nicht werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])
Das Wort hat der Abgeordnete Fabian Jacobi für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7523436 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 231 |
Tagesordnungspunkt | Sexuelle Identität |