21.05.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 231 / Zusatzpunkt 27

Jan-Marco LuczakCDU/CSU - Sexuelle Identität

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen, am 17. Mai, haben wir den Internationalen Tag gegen Homophobie, gegen Transphobie und Biphobie begangen. Leider ist es jedes Jahr notwendig, dass wir diesen Tag begehen und daran erinnern, dass es Menschen auf der Welt, in unserem Land und auch ganz konkret hier in Berlin gibt, die angefeindet werden, die angegriffen werden, die beleidigt werden, einfach nur, weil sie so sind, wie sie sind.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?)

Schwule und Lesben können sich in bestimmten Stadtteilen nicht frei bewegen. Sie sind nicht frei, obwohl wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben. Ich finde, es muss uns zu denken geben, wenn diese Menschen angegriffen werden. Wir sehen, dass die Zahl der Straftaten ansteigt. Wir hatten von 2019 auf 2020 einen Anstieg um ein Drittel, davor sogar um 60 Prozent. Ich finde, wir alle miteinander dürfen nicht akzeptieren, dass es so etwas in unserem Land gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Frage ist: Was können wir dagegen tun? Natürlich muss es darum gehen, Prävention zu verbessern. Es muss darum gehen, in der Erziehung, in den Schulen dafür zu werben, dass die offene gleichgeschlechtliche Lebensweise ganz selbstverständlich zu unserer Gesellschaft gehört. Wir müssen natürlich auch die Straftaten, die begangen werden, verfolgen. Wir haben in den letzten Jahren viel auf den Weg gebracht, auch als Große Koalition, insbesondere wenn es um die Straftaten geht, die im Internet begangen werden, wenn es um Hasskriminalität geht. Ich denke da an das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Wir haben gute Instrumente geschaffen, dagegen besser vorgehen zu können.

Aber wir sehen, dass all das möglicherweise nicht ausreicht. Ich glaube, wir brauchen eine Änderung des gesellschaftlichen Bewusstseins. Ich habe heute Morgen mit meinem Kollegen Stefan Kaufmann 100 000 Unterschriften von der Initiative „Grundgesetz für alle“ entgegengenommen, die sich genau für das Thema, das wir heute im Hohen Haus diskutieren, nämlich eine Änderung von Artikel 3 Absatz 3 GG, einsetzt, dafür, dass wir eine freie, offene, aber auch bunte Gesellschaft haben und dass dies auch ein deutliches, sichtbares Zeichen in unserer Verfassung findet.

Ich persönlich bin dafür. Daraus will ich überhaupt kein Hehl machen; ich habe das schon seit vielen Jahren deutlich gemacht. Ich weiß aber, dass im Hohen Hause, auch in meiner Fraktion, viele noch unentschlossen und manche noch dagegen sind, nicht weil sie etwas gegen Schwule oder Lesben haben, sondern weil sie sagen: Die Verfassung ist ein hochstehender Rechtstext, und in Artikel 3 Absatz 3 ist schon jetzt durch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genau das geschützt, was wir hier ändern wollen, die sexuelle Identität. – Das sind Argumente, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann.

Ich persönlich habe in meiner Jungfernrede, als ich 2009 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, genau so argumentiert. Ich habe damals auch gesagt: Wir dürfen die Verfassung nur ändern, wenn es wirklich notwendig ist. – Ich habe mich also gegen die Änderung von Artikel 3 Absatz 3 ausgesprochen. Heute bin ich anderer Auffassung. Ich glaube, wir brauchen diese Änderung von Artikel 3 Absatz 3, nicht nur mit Blick auf die Zahl der Straftaten, die ansteigt, sondern auch, weil ich glaube, dass wir ein deutliches und sichtbares Zeichen im Text unserer Verfassung haben müssen, mit dem klargestellt ist, dass Menschen in unserem Land so leben und auch lieben können dürfen, wie sie es wollen. Deswegen bin ich für diese Ergänzung von Artikel 3 Absatz 3.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich glaube, es wäre ein starkes Zeichen dieses Hohen Hauses zum Ende einer Legislaturperiode, wenn wir das machen würden. Es darf in unserem Land keinen Platz für Diskriminierung geben, keinen Platz für Hass gegen Schwule und Lesben.

Aber richtig ist auch, was der Kollege Brunner gerade ausgeführt hat. Wir befinden uns gegen Ende der Legislaturperiode, wir sind aber noch nicht am Ende der Legislaturperiode. Wir haben noch zwei Sitzungswochen vor uns. Deswegen gibt es nach wie vor noch Gespräche und das Werben. Ich habe es gerade gesagt: Viele im Haus, in den unterschiedlichen Fraktionen, sind noch nicht entschlossen. Ich finde, wir sollten die Zeit nutzen und bis zum Schluss dafür kämpfen, dass es diese Änderung des Grundgesetzes gibt. Deswegen sehe ich es genauso wie mein Kollege Karl-Heinz Brunner: Dass wir heute und hier darüber diskutieren, das kann man machen. Aber am Ende ist klar, was damit beabsichtigt ist. Es ist letztlich ein Wahlkampfmanöver, das hier versucht wird. Über den Antrag, der dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vorliegt, werden wir sprechen. Aber es ist klar, dass es die Zweidrittelmehrheit, die benötigt wird, auch um die Geschäftsordnung zu ändern, heute und hier nicht geben wird; die Gespräche finden noch statt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist der durchsichtige Versuch, einen Keil zwischen die Große Koalition zu treiben. Ich kann Ihnen sagen: Das wird heute nicht gelingen. Wir werden aber die verbleibenden zwei Wochen nutzen, um die Gespräche weiterzuführen.

Ich sage es noch einmal: Ich persönlich glaube, dass wir diese Änderung von Artikel 3 Absatz 3 brauchen. Wir brauchen ein starkes, ein deutliches, ein sichtbares Zeichen in unserer Verfassung, dass alle Menschen hier frei leben und lieben können. Dafür will ich an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich werben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat nun Dr. Jens Brandenburg das Wort.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7523438
Wahlperiode 19
Sitzung 231
Tagesordnungspunkt Sexuelle Identität
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