21.05.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 231 / Zusatzpunkt 27

Jens BrandenburgFDP - Sexuelle Identität

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als homosexueller Mann wurde Wolfgang Lauinger von den Nationalsozialisten verfolgt. Er hat das glücklicherweise überlebt. Fünf Jahre später wurde er in der Bundesrepublik Deutschland auf Basis des von den Nazis übernommenen § 175 StGB erneut inhaftiert. Zitat:

Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.

Erst 1994 wurde dieser Paragraf vollständig abgeschafft. 50 000 Männer wurden in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich verurteilt, weil sie einen anderen Mann liebten. Liebe war strafbar. Ein solches Unrecht darf sich niemals wiederholen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Petr Bystron [AfD])

Auch das Grundgesetz hat Herrn Lauinger nicht geschützt. Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht hat in den 50er- und in den 70er-Jahren die strafrechtliche Verfolgung homo- und bisexueller Männer ausdrücklich gebilligt. Seitdem haben sich die gesellschaftliche Haltung zu Homosexualität und sicher auch – wir haben es eben gehört – die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geändert. Das ist gut so. Aber gesellschaftlicher Wandel ist keine Einbahnstraße. Die politische Radikalisierung in vielen Ländern weltweit zeigt doch, wie zerbrechlich vermeintlich sicher geglaubte Minderheitenrechte sein können. Dafür reicht schon ein Blick ins benachbarte Polen mit den angeblichen LGBT-freien Zonen zurzeit.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

– Ich verstehe Ihre Schnappatmung; aber zu dem Thema, glaube ich, haben Sie genug gesagt.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Künftige Generationen homo- und bisexueller, aber ausdrücklich auch trans- und intergeschlechtlicher Menschen müssen sich auf ihre Verfassung verlassen können. Vertrauen oder spekulieren wir also nicht über eine wohlwollende Zusammensetzung künftiger Bundesverfassungsgerichte, sondern garantieren wir den ausdrücklichen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität endlich im Wortlaut des Grundgesetzes.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])

Kollege Brandenburg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung von der Kollegin Barrientos?

Nein, gerne im Nachgang; die Debatte ist ja noch lang. – Einen entsprechenden Entwurf hat die FDP-Fraktion gemeinsam mit den Grünen und übrigens auch der Linksfraktion vor zwei Jahren in den Deutschen Bundestag eingebracht. Vor 15 Monaten haben in der Anhörung des Rechtsausschusses sämtliche geladenen Sachverständigen diesen Entwurf ausdrücklich begrüßt. Ich freue mich sehr, dass einige Fachkollegen aus der Unionsfraktion sehr öffentlich immer wieder für eine Ergänzung des Artikels 3 werben. Das geht ja so weit, dass Kollege Luczak in der letzten Debatte die Grünen sogar dafür disste, dass sie diese Forderung in einem ganz anderen Antrag nicht noch einmal wiederholt haben. Daran muss sich die Unionsfraktion jetzt auch messen lassen.

Wir sind in einer ganz besonderen Woche, einer Woche, die am Montag mit dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit begonnen hat. Auch die Koalitionsfraktionen haben sich mit großen Gesten, mit Versprechungen und mit großen Symbolen daran beteiligt. Es ist eine Woche, die am Sonntag mit dem Tag des Grundgesetzes enden wird, mit einem klaren Auftrag, unsere Verfassung für stürmischere Zeiten zu wappnen.

Umso scheinheiliger ist es doch, dass die Koalition ausgerechnet in dieser Woche, am Mittwoch, jegliche Beratung dieses Gesetzentwurfs im Ausschuss blockiert hat.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer am Montag die Regenbogenflagge hisst, darf der Community nicht am Mittwoch in den Rücken fallen. Die Koalition – wir haben es gehört – begründet das Ganze mit weiterem Beratungsbedarf.

Die Frage ist doch ganz einfach: Wollen Sie die sexuelle Identität im Grundgesetz schützen,

(Beatrix von Storch [AfD]: Nein!)

oder wollen Sie das nicht? Kollege Brunner und auch Kollege Luczak haben es so dargestellt, dass es unfair sei, dass die Opposition das Thema so ganz plötzlich und überraschend auf die Agenda setzt. Das Gegenteil ist doch richtig – auch wenn die AfD es nicht mitbekommen hat –: Wir waren in gemeinsamen Gesprächen, zwei Jahre lang, und haben immer wieder gesagt: Wir als Opposition sind bereit, euch Zeit zu geben. Wir geben euch Zeit, in den eigenen Fraktionen und in der Koalition eine Mehrheit zu finden. – Zwei Jahre lang! Jetzt ist die Legislatur fast abgelaufen. Ich finde es ein Unding und übrigens auch ein seltsames parlamentarisches Verständnis, jetzt denen einen Vorwurf zu machen, die sich nicht solcher Geschäftsordnungstricks bedienen.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zwei Jahre reichen aus. In gerade einmal acht Monaten hat übrigens der Parlamentarische Rat damals das komplette Grundgesetz beraten. Da werden doch zwei Jahre für drei Worte durchaus reichen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Niemand darf aufgrund seiner sexuellen Identität diskriminiert werden. Das muss unsere Verfassung endlich sicherstellen. Das soll jeder wissen, der unser Grundgesetz liest. Also hören Sie bitte auf mit diesen Geschäftsordnungstricks, auch mit den Boykotts jetzt im Ausschuss.

Kollege Brandenburg.

Konzentrieren wir uns auf die Debatte. Stellen Sie sich der inhaltlichen Debatte, und schaffen wir dann gemeinsam, möglichst noch in dieser Legislatur, die Zweidrittelmehrheit für dieses große Vorhaben!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Wort hat die Kollegin Doris Achelwilm für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7523439
Wahlperiode 19
Sitzung 231
Tagesordnungspunkt Sexuelle Identität
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