09.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 232 / Tagesordnungspunkt 3

Alexander Graf LambsdorffFDP - 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Deutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, machten weder die nationalsozialistischen Machthaber noch das Oberkommando der Wehrmacht einen Unterschied zwischen Russen, Weißrussen und Ukrainern. Es war ein Überfall auf einen Vielvölkerstaat, den Deutschland in „Bloodlands“, in ein Blutland verwandelte, wie Timothy Snyder es geschrieben hat. Dieses Buch zu lesen, genauso wie Navid Kermanis Reisebericht „Entlang den Gräben“, entlang Schlachtfeldern, Erschießungsorten, Gedenkstätten, ist bis heute tief bewegend und für Deutsche tief beschämend.

Wladimir Putin, der Präsident der Russischen Föderation, hat in einem langen Gespräch kürzlich erklärt, die Sowjetunion habe damals durch ihren Sieg über den Faschismus die Welt gerettet. Gemeinsam mit den Alliierten ist das geschehen. Der Blutzoll, den die Völker der Sowjetunion entrichtet hatten, ist dramatisch. Unser Gedenken gilt den 24 Millionen Opfern der deutschen Aggression, unser Dank gilt all denen, die sich für Versöhnung einsetzen, und unsere Arbeit hier in diesem Hohen Haus gilt einer friedlichen Gegenwart und Zukunft Europas und seiner Völker in allen Teilen unseres Kontinents, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jedes Jahr um den 27. Januar herum gedenken wir der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Es steht wie kein anderes der Vernichtungslager des wahnwitzigen NS-Regimes für den unbedingten Vernichtungswillen der NS-Herrschaft. Die Geschichte hat uns das so aufgegeben. Die Geschichte hat aber auf eine eigenartige Art und Weise dafür gesorgt, dass dadurch ein Leid ein wenig in den Schatten gerückt ist, dessen wir genauso gedenken müssen, und das ist die Blockade von Leningrad. Auch am 27. Januar, aber ein Jahr zuvor, 1944, endete sie, nach einer Zeit des Leidens, des Hungers, der Krankheit und des massenhaften Sterbens. 1 Million Menschen sind in Leningrad bei der völkerrechtswidrigen Blockade der Stadt umgekommen. Noch heute ist es so, dass, wenn Sie durch Sankt Petersburg gehen, Sie hin und wieder blaue Schilder entdecken, die die Bewohnerinnen und Bewohner davor warnen, dass auf dieser Straßenseite der Angriff der Artillerie schwerere Folgen hat als auf jener Seite der Straße. Das Gedenken an die Blockade von Leningrad in die richtige Position zu rücken, ist etwas, das wir gemeinsam beschlossen haben, und ich danke der Bundesregierung dafür, dass sie dieses sichtbare Zeichen gesetzt hat. Meine Damen und Herren, Leningrad und die Blockade stehen für das Leid der Völker der Sowjetunion. Es ist richtig, dass wir daran erinnern.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Genauso wichtig ist, dass wir akzeptieren, was Historiker ermittelt haben: Der Krieg war von Anfang an als Vernichtungskrieg geplant, Leningrad ist ein Beispiel. Aber auch das Massaker von Babyn Jar ist ein solches Beispiel: 33 771 Jüdinnen und Juden wurden in der Nähe von Kiew erschossen, von SS-Einsatzgruppen, aber auch von ganz normaler deutscher Polizei – Männer, Frauen und Kinder, fast 34 000 Menschen. Dieser Vernichtungskrieg begann schon früher. 1939 ist Deutschland in Polen eingefallen, als Folge des Hitler-Stalin-Pakts; als Folge desselben Pakts hat die Sowjetunion 1940 die baltischen Staaten besetzt. Die Lehre, die wir aus diesem Pakt ziehen müssen, ist, dass es illegitim ist, souveränen Staaten ihre Existenz abzusprechen, ihr Territorium zu besetzen oder ihre Bevölkerung gewaltsam zu vertreiben.

Meine Damen und Herren, diese Lehren sind aktuell bis heute. Ich glaube, es ist ganz richtig, an das zu erinnern, was der Kollege Wadephul gerade erwähnt hat: Die Ukraine ist heute ein unabhängiger Staat; sie hat das Recht auf eine unabhängige Existenz. – Ich freue mich, dass der ukrainische Außenminister heute hier in Berlin Gespräche führt. Ich glaube, es ist richtig, dass wir die Souveränität dieses Staates verteidigen, dass wir ihr dabei helfen, ihre territoriale Integrität zu erhalten und ihre Zukunft friedlich zu gestalten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dr. Dietmar Bartsch.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7526273
Wahlperiode 19
Sitzung 232
Tagesordnungspunkt 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion
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