09.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 232 / Tagesordnungspunkt 3

Roderich KiesewetterCDU/CSU - 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserer heutigen Debatte zeigen wir als Bundestag, dass wir das Schicksal der über 15 Nachfolgestaaten der Sowjetunion und das Schicksal der Völker auf dem Boden der Sowjetunion nicht vergessen. Der Überfall auf die Sowjetunion war nicht ein Überfall auf das russische Volk oder auf Russland, sondern auf eine Vielfalt an Völkern und Sprachen, und unser Land hat zur Vernichtung von Kultur, zur Vernichtung von Sprachen und Bevölkerung beigetragen.

Wir haben hier heute sehr würdige Worte gefunden. Unsere Debatte soll auch ein Eckpfeiler sein für Aussöhnung, für das Reichen der Hand, aber auch, um eine gemeinsame Erinnerungsidentität zu schaffen. Deshalb sollten wir allen Versuchen entschieden entgegentreten, eine selektive Wahrnehmung der Geschichte zu wählen, aufzurechnen oder das Ganze zu relativieren.

Der Russlandfeldzug war von langer Hand vorbereitet. Er war bewusst – unsere Vorredner haben es gesagt – auf Vernichtung von Kultur, von Sprache und Völkern ausgelegt. In diesen Mahlstrom gerieten insbesondere die Länder zwischen dem damaligen Deutschen Reich und der Sowjetunion, die Balten, die Weißrussen, die Ukrainer – die Ukrainer übrigens, die auch noch unter dem Holodomor litten, einem von Moskau verursachten Aushungern der ukrainischen Bevölkerung innerhalb der Sowjetunion. Wir erleben auch heute, dass Missliebige, dass Oppositionelle unter den Handlungen der Hauptstädte mancher ehemaliger Sowjetstaaten leiden. Ich möchte nur am Rande Nawalny oder den Tiergartenmord ansprechen.

Aber viel entscheidender ist es, dass wir den Blick nach vorne richten. Wir erleben gerade, im 80. Jahr des Überfalls auf die Sowjetunion, dass Russland uns ein Deutschlandjahr ermöglicht, das Deutschlandjahr 2020/2021. Trotz allem, was hier die Vorredner und auch ich beschrieben haben, finden Verbindungen statt. Wir sollten einer heute 18-jährigen Deutschen oder einem heute 18-jährigen Russen abnehmen, dass sie zukunftsorientiert an Versöhnung interessiert sind, an Austausch, an Miteinander. Unsere Verantwortung ist es, deutlich zu machen, dass sich das, was in der Vergangenheit war, nicht wiederholt.

Aus der Sicht des Deutschen Reiches war es ein europäischer Kreuzzug gegen den Bolschewismus, mit über 3,5 Millionen Soldaten, darunter 600 000 aus besetzten oder sogenannten verbündeten Staaten, mit über 3 600 Kampfpanzern und unzähligem Leid und Befehlen im Tornister, die auf Vernichtung ausgelegt waren. Es war eine industrielle Variante der Völkervernichtung. Diese Einzigartigkeit des Russlandfeldzuges dürfen wir nicht relativieren. Wir müssen als Deutsche die Verantwortung übernehmen. Kollege Wadephul und Kollege Schneider haben auch sehr deutlich in Demut klargemacht, dass Verzeihung und Entschuldigung sicherlich wesentliche Schritte von uns sind, aber wir auch an tätiger Aussöhnung arbeiten müssen.

Lassen Sie mich deshalb abschließend auch auf die Östliche Partnerschaft eingehen. Wir dürfen unser Zusammen-Denken mit Russland immer nur im Zusammenhang mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sehen. Die Östliche Partnerschaft ist auch dank des Bundestages mit seinen Beschlüssen sehr stark auf die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft ausgerichtet. Dies ist notwendig und hilfreich. Aber ich glaube, in der Östlichen Partnerschaft müssen wir mit Moldawien, Georgien und Ukraine ganz anders, nämlich aufwertend, umgehen als beispielsweise mit Weißrussland. Wir können es uns im Umgang mit diesen Ländern nicht mehr leisten, sie alle in denselben Topf zu werfen und für alle dieselben Verfahren vorzusehen. Wir müssen schauen: Welche dieser Länder stehen für die regelbasierte internationale Ordnung, welche nutzen sie aus, und welche zerstören sie? Ich bin da in Sorge, dass wir zu blauäugig sind und in der Europäischen Union verkennen, welche Kraft in den Zivilgesellschaften steckt und welche Kraft wir hier uns erschließen können, auch mit Blick auf Zukunftsperspektiven für die Jugend in diesen Ländern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heutige Gedenken muss auch in die Zukunft gewandt sein. Ich glaube, in dem Deutschlandjahr in Russland müssen wir – neben unserer Unterstützung der Ukraine, indem wir sehr klar die völkerrechtswidrige Annexion der Krim wie auch den Krieg in der Ostukraine ansprechen, indem wir die Ukraine unterstützen, wo es nötig und angemessen ist, indem wir über die Energieversorgung Deutschlands debattieren, indem wir uns über Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft austauschen und die verschiedenen Dialogforen suchen – auch ansprechen, dass von russischer Seite drei Organisationen mit Sanktionen belegt wurden, von denen zumindest zwei in einem sehr regen, demokratiegestützten zivilgesellschaftlichen Austausch stehen.

Lassen Sie uns den Blick nach vorne richten. Dem „Nie wieder“ eines solchen Krieges muss eine Idee folgen, die eine Sicherheitsgemeinschaft von Vancouver bis Wladiwostok umfasst und die einen europäischen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok zum Ziel hat. Aber es gehören immer zwei dazu. Unsere Hand ist ausgetreckt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Bijan Djir-Sarai, FDP, ist der nächste Redner.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7526286
Wahlperiode 19
Sitzung 232
Tagesordnungspunkt 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion
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