Konstantin KuhleFDP - Integrationsprobleme durch kulturelle Prägungen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Sonntag starb eine vierköpfige muslimische Familie bei einem rassistischen Anschlag im kanadischen London. Nach Auskünften der Sicherheitsbehörden steuerte der Fahrer eines Pick-up-Trucks sein Fahrzeug gezielt in die Menschengruppe, um Muslime zu töten. Nur ein neunjähriger Junge überlebte. Ereignisse wie dieser Anschlag in Kanada zeigen uns, dass es Gewalt, Diskriminierung und Rassismus gegenüber Muslimen gibt. Dass es das auch in Deutschland gibt, hat der Anschlag in Hanau im Jahr 2020 gezeigt.
Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland neben der Gewalt gegen Muslime auch ein Problem mit der Diskriminierung von Muslimen. Es ist in Deutschland einfacher, mit den Vornamen Anna oder Anton eine Wohnung zu finden als mit den Vornamen Mohammed oder Fatma. Wir reden auch hier im Bundestag sehr häufig über muslimische Terroristen und Extremisten. Wir reden aber sehr selten über muslimische Unternehmerinnen,
(Beatrix von Storch [AfD]: Ja, komisch!)
über Steuerzahler, über muslimische Ärzte, die es in Deutschland sehr wohl gibt und die sich, glaube ich, auch wünschen würden, dass wir mal über diese muslimische Mitte in Deutschland stärker reden.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der AfD: Gerne!)
Es ist nämlich so, dass wir in den politischen Parteien und auch im Parlament oftmals nicht die nötige Sensibilität mitbringen für Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen bestimmter Gruppen; und dazu gehören auch Muslime. Ich habe das selber erfahren, als ich hier im Bundestag vor einigen Monaten eine Rede gehalten habe, in der ich etwas gegen die Diskriminierung von Muslimen gesagt habe. Ich habe daraufhin unheimlich viele Nachrichten aus der muslimischen Community bekommen. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Einladungen zum Fastenbrechen ich bekommen habe. Es waren sehr freundliche Nachrichten, es gab sehr großen Zuspruch und auch sehr großes Interesse an unserem politischen System. Ich habe über die letzten Monate und Jahre mit diesen Menschen sehr intensiven und sehr guten Kontakt und Austausch gehabt, und der besteht auch zum großen Teil bis heute fort.
Bei einem Teil der Menschen und bei einem Teil derjenigen, die mir Nachrichten schreiben, hat sich die Kommunikation aber in den letzten Tagen und Wochen verändert. Das hängt mit den antisemitischen Vorfällen zusammen, die es in den letzten Wochen in Deutschland gegeben hat – auch aus der muslimischen Community.
(Karsten Hilse [AfD]: Aus welcher Community denn noch?)
Da werden Israelfahnen angezündet, der Polizeischutz für Synagogen muss intensiviert werden. Wir erleben, dass auf Versammlungen, auf die viele Muslime gehen, Transparente hochgehalten werden, auf denen der Holocaust offen relativiert wird.
(Karsten Hilse [AfD]: Der wird nicht relativiert, der wird geleugnet! Nehmen Sie doch mal auch dieses Wort in den Mund!)
Wer so was macht, der hat mit dem erbitterten Widerstand hier aus dem Parlament zu rechnen und der kann keinerlei Toleranz erwarten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Karsten Hilse [AfD]: Leugner sind das! -Gegenruf der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genauso wie der Vogelschiss bei Ihnen! Von wem kommt denn die Formulierung mit dem Vogelschiss? Der kommt doch aus Ihren Reihen! – Gegenruf des Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Hören Sie doch einmal zu! – Gegenruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]: Frau Brantner, vergessen Sie nicht, die Maske aufzusetzen wegen der Aerosole usw.! Bei Zurufen setzen Sie sie immer ab! – Karsten Hilse [AfD]: Genau! Sonst schreien Sie bei uns deswegen auch so rum!)
– Ich würde gerne fortfahren.
Meine Damen und Herren, nachdem ich das entsprechend kommuniziert und thematisiert habe, habe ich interessante Nachrichten bekommen, die mich aber sehr traurig gemacht haben. Die Nachricht, die mich eigentlich am traurigsten gemacht hat, die ich von Muslimen bekommen habe, war die Nachricht: Wir hätten nicht gedacht, dass du dich auch von Juden kaufen lässt. – Das ist eine im Kern antisemitische Aussage, und sie zeigt uns, dass es einen spezifischen Antisemitismus in muslimischen Milieus gibt. Wer über antimuslimischen Rassismus spricht, wer darüber spricht, dass es gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegenüber Muslimen gibt, der darf nicht dazu schweigen, dass es auch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gibt, die in muslimischen Communitys kultiviert und weitergegeben wird.
(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Das ist ein großes Problem, und ich erwarte, dass innerhalb der muslimischen Communitys daran gearbeitet wird.
Ich habe andere Nachrichten bekommen, in denen es hieß: Wir dachten, du bist einer von uns. Wir dachten, du stehst auf unserer Seite. – Ich erwarte auch, dass man innerhalb der muslimischen Communitys mal von dieser Gruppenbezogenheit wegkommt, vom „wir“ oder „ihr“, vom „wir“ oder „die“.
(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Es gibt nämlich für Muslime in Deutschland – sehr viele wissen das – auch so etwas wie eine individuelle Verantwortung, zu reflektieren, was es für Radikalisierungsmechanismen in der eigenen Community gibt – Stichwort „Antisemitismus“, Stichwort „Homophobie“. Das brauchen wir. Wir brauchen mehr innermuslimische Debatten. Wir brauchen mehr Religionsunterricht auf Deutsch, am besten mit Imamen und Geistlichen, die in Deutschland nach unseren Standards ausgebildet werden.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, wie Sie es in NRW machen mit der DITIB!)
Wir brauchen mehr Pluralismus in den muslimischen Communitys, mehr individuelle Verantwortung und weniger Pauschalisierungen in beide Richtungen. Das wäre ein richtiger und ein guter Schritt.
Herr Kuhle, Sie können weitersprechen, tun das dann aber auf Kosten Ihrer Kollegen.
Deswegen, meine ich, sollten wir diesen Weg gehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die SPD-Fraktion hat nun Professor Dr. Lars Castellucci das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7526420 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 233 |
Tagesordnungspunkt | Integrationsprobleme durch kulturelle Prägungen |