Johannes VogelFDP - Aktuelle Stunde - Doppelbesteuerung von Renten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie schön, Sie alle zu sehen, und wie schön, dass wir über ein wichtiges Thema hier reden können! Es ist, ehrlich gesagt, ein Thema, das leider deutlich macht, was offensichtlich das Motto der Rentenpolitik dieser Koalition ist. Das Motto ist offenbar: Wir stehlen uns aus der Verantwortung.
(Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie wollten aber nicht regieren!)
Sie haben sich aus der Verantwortung gestohlen, das Problem mit der Doppelbesteuerung rechtzeitig zu lösen. Denn halten wir noch mal fest, was der Bundesfinanzhof gesagt hat. Er hat gesagt: In den nächsten Jahren wird es sicher zu Doppelbesteuerungstatbeständen kommen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, genau!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stand heute delegieren Sie diese Verantwortung an die Bürgerinnen und Bürger. Die sollen dann irgendwann künftig nachweisen, dass es individuelle Doppelbesteuerung gegeben hat. Wie stellen Sie sich das denn vor? Sollen die ihr ganzes Erwerbsleben ihre Steuerbescheide aufbewahren? Was ist das denn für ein Aktensammlungs-, Antidigitalisierungsprogramm! Es ist vor allem eine Frechheit, weil es die Aufgabe der Koalition und der Bundesregierung wäre, das im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen.
(Beifall bei der FDP)
Dieses Stehlen aus der Verantwortung erleben wir auch in einem zweiten Bereich, nämlich bei der Doppelverbeitragung.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind zwei ganz unterschiedliche Geschichten!)
Auch heute gibt es immer noch die Konstellation, dass es Bürgerinnen und Bürger gibt, die doppelt Krankenversicherungsbeiträge auf bestimmte Konstellationen von betrieblicher und privater Vorsorge zahlen müssen. Auch da stehen Sie auf dem Standpunkt: Ja, das ist doch deren Verantwortung, dass sie genau das gemacht haben, wozu die Politik sie vor vielen Jahren aufgefordert hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das geht so nicht.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Oje!)
– Ungewohnter Applaus von der linken Seite, lieber Matthias Birkwald. Ich freue mich, dass ich das auch mal erleben darf.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das muss auch mal sein! Selten genug!)
Aber man kann, finde ich, in dieser Woche nicht über Rentenpolitik und über Olaf Scholz, also den Bundesfinanzminister, reden, ohne kurz auch darüber zu reden, an welcher anderen Stelle Sie sich offenbar noch aus der Verantwortung stehlen wollen. Denn wir haben etwas sehr Interessantes erlebt: Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hat diese Woche schwarz auf weiß noch einmal etwas bestätigt, was jeder, der sich in diesem Haus mit Rentenpolitik und Finanzpolitik beschäftigt, eigentlich – leider – weiß, was aber offensichtlich in der öffentlichen Debatte mitunter untergeht: Sie haben in der Koalition in den letzten Jahren nicht nur unser Rentensystem nicht auf die kommenden Jahre vorbereitet, sondern Sie haben sogar aktiv die finanziellen Fundamente untergraben. Das ist unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Genauso unverantwortlich finde ich aber – das sage ich ganz bewusst; ich benutze das Wort auch bewusst –, wie Sie damit umgegangen sind. Ich zitiere aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats:
Die rentenpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre haben ein Dilemma geschaffen. … Auswege aus diesem Dilemma müssen … gefunden werden.
Das heißt, Sie haben dieses Dilemma selber aktiv herbeigeführt. Und was sagt der Bundesfinanzminister, wo wir uns doch eigentlich darüber einig sein müssten, auf die Wissenschaft zu hören – „listen to the science“ –, und zwar beim Klima, bei Corona, aber eben auch bei der Rente! Der Bundesfinanzminister sagt allen Ernstes, da hätten die Experten offenbar „falsch gerechnet“; er freue sich auf die Diskussion mit „echten Experten“. Das finde ich wirklich bemerkenswert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die in diesem Wissenschaftlichen Beirat dieser Ihrer Bundesregierung sitzen, sind übrigens Wissenschaftler, die Hubertus Heil selber in seine Rentenkommission berufen hat. Und wenn diese unzweifelhaft kompetenten Experten dann ein solches Gutachten vorlegen, was machen Sie? Der Bundesfinanzminister Olaf Scholz lässt sich mit waschechter Wissenschaftsfeindlichkeit zitieren.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Methoden kennen wir sonst von anderen. Das sind – man muss es so hart sagen – Methoden von Populisten. Das finde ich unverantwortlich.
(Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Du hast so gut angefangen! Jetzt wird es schlecht!)
– Ja, es ist aber die Wahrheit, lieber Kollege Matthias Birkwald. – Sie wirken wie jemand, der aktiv keine stabilen Fundamente gebaut hat und dann auf die Geologen schimpft, wenn die vor einem bevorstehenden Erdbeben warnen. Das ist doch keine zukunftsgerechte Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
Viel besser sieht es allerdings bei den Kolleginnen und Kollegen von der Union nicht aus; denn Sie haben diese Politik ja mit zu verantworten. Das ist der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Wo war eigentlich der sogenannte Wirtschaftsflügel der Union in den letzten Jahren bei dieser Rentenpolitik? Sie haben immer zugestimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dieser Pfeil schießt auch auf Sie; denn Sie wollen am kommenden Wochenende beschließen, genau diese unverantwortliche Rentenpolitik in den nächsten Jahren fortzusetzen. Das ist unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der FDP)
Um das noch mal ganz klar für die Freien Demokraten zu sagen: Wir halten eine Erhöhung des Renteneintrittsalters für falsch.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)
Es sollen nicht alle länger arbeiten. Wir brauchen endlich einen flexiblen Renteneintritt; die Skandinavier machen es uns vor. Aber wenn man nicht will, dass alle länger arbeiten müssen, wenn man nicht will, dass der Beitragssatz explodiert,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was heißt denn „explodieren“? Erklär das doch mal!)
wenn man nicht will, dass die Steuerzuschüsse explodieren, dann muss man die Rente reformieren. Wir haben dafür ein Konzept vorgelegt; es nennt sich gesetzliche Aktienrente.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Um Gottes willen!)
Ich bin gespannt, was von Ihnen kommt und worüber wir in den nächsten Monaten im Wahlkampf noch diskutieren werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Du hattest so schön angefangen! Manchmal geht es dann abwärts!)
Das Wort hat der Kollege Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7526496 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 233 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Doppelbesteuerung von Renten |