10.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 233 / Tagesordnungspunkt 20

Thomas de MaizièreCDU/CSU - Vermögenssteuergesetz

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge der FDP sind – bei allem Respekt – Schaufensteranträge.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie sollen nur für die eigene Galerie wirken. Ob das gelingt, wage ich zu bezweifeln. Der Deutsche Bundestag ist jedenfalls nicht der Parteitag der FDP, und das wissen Sie auch selbst.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein kurzes Wort zur Sache. Ich könnte für den Gesetzentwurf der FDP, zumindest auf den ersten Blick, durchaus Sympathien entwickeln. Vielleicht verfolgen Sie ein richtiges Ziel. Aber vielleicht bekommen Sie am Ende das, was Sie genau nicht möchten. Warum? Wenn der Bund das Vermögensteuergesetz tatsächlich formal aufheben sollte, besteht die Gefahr, dass sich die Einführung von ganz verschiedenen Vermögensteuerformaten in den Ländern etabliert, und das ist das krasse Gegenteil von dem, was Sie wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Ein Wort zu denen, die die Vermögensteuer einführen wollen. Wer eine Vermögensteuer erheben will, muss wissen, dass die übrigens sehr unterschiedlich ausfallenden Einnahmen dann in die Länderhaushalte fließen und in den Bundeshaushalt davon nichts. Und zu glauben, dass die Länder dem Bund das Geld zurückgeben, das ist angesichts der letzten Jahre, glaube ich, völlig unrealistisch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, meine Arbeitsgruppe hat mir ihre gesamte Redezeit für meine letzte Rede als Abgeordneter geschenkt. Ich möchte zu Beginn Danke sagen: meiner Bundeskanzlerin, die mich in drei Kabinette berufen hat, meiner Fraktion, die mich auch in schwerer Bedrängnis getragen und gestützt hat, meinem, genauer gesagt: meinen Koalitionspartnern, mit denen ich – jedenfalls ganz überwiegend – gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe, meiner Arbeitsgruppe Finanzen, die mich als Seiteneinsteiger und Ex-Minister so freundlich und unkompliziert angenommen hat, bei der Opposition, die mich natürlich in vielen Jahren meiner Zeit als Minister kritisiert hat, mit der ich aber harte und gute Debatten mit gegenseitiger Wertschätzung hatte – von Ausnahmen abgesehen –, und meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mich bei meiner Arbeit so hervorragend unterstützen.

Nun erlauben Sie mir aber noch zwei grundsätzliche Bemerkungen:

Erstens. Ich möchte ein werbendes Wort zur Rolle unserer Volksparteien sagen. Volksparteien sind nach meiner Auffassung ein gefährdeter, aber kostbarer Schatz unserer Demokratie. Was ist eine Volkspartei?

(Stephan Brandner [AfD]: AfD!)

Eine Volkspartei ist nicht einfach eine Partei, die viele Stimmen bekommt. Zugleich verliert eine Partei, die wenige Stimmen bekommt, nicht automatisch den Charakter einer Volkspartei. Eine Volkspartei ist für mich eine Partei, die sich aus ihrer Sicht und ihrer Perspektive um das Wohl der ganz großen Mehrheit der Bevölkerung kümmert, um das Gemeinwohl.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie wird nicht dadurch stark, dass sie möglichst viele Stimmen von Menschen mit den gleichen Interessen einsammelt. Ein oder zwei Themen zu haben, die sich nur an ein Wählerspektrum wenden oder mehrere nebeneinander, reicht nicht aus, um Volkspartei zu sein, sondern eine Volkspartei bündelt und verbindet unterschiedliche Meinungen und bringt diese zum Ausgleich, sodass sie in ihrer Verbindung ein gutes Ganzes ergeben. Das bedeutet, Kompromisse einzugehen schon bei der parteiinternen Willensbildung, einen Ausgleich zu schaffen zwischen Arm und Reich, Jung und Alt, Ost und West, Nord und Süd, Gesund und Krank, von Angesicht zu Angesicht und digital, von nationalen Interessen und internationalen Verpflichtungen, von kurzfristigen Vorteilen und langfristigen Nachteilen und dies in praktische Politik umsetzen zu wollen.

Das ist verdammt mühsam. Das klingt altmodisch und nicht spektakulär. Das stellt naturgemäß niemanden vollständig zufrieden. Das betont die Sache und nicht allein die Inszenierung. Aber das verbindet unterschiedliche Charaktere von Menschen, das stärkt den Zusammenhalt der Gesellschaft, und das ermöglicht lange Linien der Politik, Kontinuität und Führung, auch gegen kurzfristige Stimmungen. Gutes Regieren und gute Opposition im Interesse unseres Landes braucht gute und miteinander ringende Volksparteien.

Volksparteien sind für mich die Hauptträger der repräsentativen Demokratie. Ich weiß natürlich, dass Volksparteien viel tun müssen, um diese Rolle zu erhalten, zu gewinnen oder wiederzugewinnen. Vertrauen gewinnt man zuerst dadurch, dass man gut und glaubwürdig ist. Und dennoch: Ich finde, dass man Volksparteien nicht schlechtreden sollte. Viele finden NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, oder Bewegungen oder die direkte Partizipation mit Bürgerwerten besser, moderner, agiler als die Volksparteien. Ich finde das nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein Widerspruch, Herr de Maizière!)

Natürlich sehe ich ihre Bedeutung und auch ihre Berechtigung. Die Betonung eines Themas, eine Wächterfunktion, eine öffentliche Mobilisierung ist notwendig und hat seinen Platz. Aber nur mit NGOs und nur mit Bewegungen lässt sich kein guter Staat machen. Gut regieren geht anders.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Mich stört auch manche Attitüde der moralischen Selbstermächtigung von NGOs. Zum Teil sind sogar ehemalige Minister, Staatssekretäre oder Parteipolitiker an ihrer Spitze, die dann in NGOs so tun, als seien sie plötzlich die Zivilgesellschaft. Ich höre oft eine Überheblichkeit gegenüber denjenigen heraus, die in den Mühen der Ebene an echten Kompromissen und nicht nur ideellen Wunschbildern für die Menschen ackern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Und die Transparenz bei den Finanzen, bei der Meinungsbildung und die Legitimation sind bei uns Volksparteien in der Regel größer als bei vielen NGOs.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, ja!)

– Von Fehlern abgesehen. – Bedenken habe ich erst recht beim Führungsanspruch von sogenannten Bewegungen. Bewegungen sind stark im Auftritt, aber schwach in der Bindung über die Bewegung hinaus. Mobilisierung ist aber nicht alles. Aktivisten bekommen hier ein zu großes Gewicht. Bewegungen hängen zu stark an charismatischen Einzelpersonen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das ist schlecht für die Nachhaltigkeit. Bewegungen müssten auch viel kritischere Nachfragen an ihre Selbstorganisationsprinzipien und Finanzierungsstrukturen zulassen als die Volksparteien.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nachhaltigkeit, meine Damen und Herren, braucht verlässliche und verantwortliche Institutionen, um etwas umzusetzen: Regierung und Parlament. Also: Verbessern wir die Volksparteien, aber machen wir sie nicht lächerlich oder schwach! Der Schaden für unsere repräsentative Demokratie wäre auf Dauer erheblich. Wir brauchen starke Volksparteien, und zwar mehrere.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine zweite kürzere Bemerkung möchte ich zu diesem Parlament, zu diesem Bundestag machen. Ich habe gegen manches Vorurteil in diesem Bundestag weit überwiegend fleißige und sachkundige Parlamentarier erlebt, manchmal sogar bei den Linken und ganz manchmal sogar in der AfD, trotz aller offenkundigen Verfassungsferne.

(Zuruf von der AfD: Hallo!)

Ich erlebe viel Arroganz und Unkenntnis gegenüber unserer Arbeit im Bundestag von Menschen, die ihrerseits nicht bereit sind, sich den Mühen der Ebene eines Abgeordnetenalltags zu unterziehen und tagaus, tagein so unterschiedlichen Menschen zu begegnen, wie wir das gerne tun. Diese offen und unterschwellig vorgetragene, zum Teil sogar mitleidig gemeinte und überhebliche Haltung gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und ihrer herausragend wichtigen und großartigen Arbeit ärgert mich schon lange. Ich finde eine solche Haltung zutiefst ungerecht und selbstgerecht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich verfolgen wir als Abgeordnete parteipolitische Interessen. Dafür findet eine Wahl ja auch statt, und wir kandidieren für eine Partei. Aber diese Interessen müssen sich im parlamentarischen Verfahren verbinden mit sachlich guten und nachhaltigen Lösungen, die dann natürlich ihrerseits umstritten sind. Ich nenne das Demokratie.

Ich habe Ausschussarbeit und Plenardebatten erlebt, die Sternstunden parlamentarischer Arbeit waren: hervorragende Verhandlungen, glänzende Reden, überzeugendes Auftreten, genauso natürlich wie manche Fehlleistungen persönlicher oder politischer Art. Der Deutsche Bundestag ist jedenfalls das Hohe Haus der Demokratie. „ Hoch“ nicht im Sinne von Überheblichkeit! Wir sind hier nichts Abgehobenes, aber schon etwas Besonderes, mit einer besonderen Verantwortung. Im Deutschen Bundestag entscheidet sich der Primat der Politik. Wer nicht will, dass einzelne Unternehmen, dass das Internet, Bewegungen oder sonstige Institutionen die Welt beherrschen, sondern wer will, dass die Politik das letzte Wort zur Ordnung der weltlichen Dinge hat, der muss die Abgeordneten des Deutschen Bundestages achten und ihnen etwas zutrauen, ihnen allerdings auch vertrauen können.

Erweisen Sie sich auch in Zukunft der Bezeichnung als Mitglied dieses Hohen Hauses würdig: mit einem Adlerblick, einer hohen Perspektive auf die Dinge, mit einem hohen Anspruch an die Qualität der eigenen Arbeit, mit einem hohen Anspruch an die demokratische Würde vom Parlament, mit einem hohen Maß an Demut vor der Größe der Aufgaben und der Begrenztheit des Mandats und mit hohem Respekt vor der Freiheit und der Leistungskraft der Menschen in unserem Land. Wenn alle Abgeordneten als Mitglieder eines in diesem Sinne Hohen Hauses der Demokratie für das Wohl unseres Landes in europäischer und internationaler Verantwortung ringen und entscheiden, dann sehe ich wohlgemut in die Zukunft. Ich bin dankbar und stolz, diesem Hohen Haus der Demokratie angehört zu haben.

Ich verabschiede mich von diesem Pult und wünsche alles Gute.

(Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten der CDU/CSU und Abgeordnete der SPD erheben sich)

Sehr geehrter Thomas de Maizière, ich möchte mich bei Ihnen im Namen des ganzen Hauses – Sie sehen es – von ganzem Herzen bedanken für viele Jahre Beitrag zu unserer Demokratie, den Sie auf unterschiedlichsten Ebenen und in unterschiedlichsten Funktionen geleistet haben. Dass Sie ein leidenschaftlicher streitbarer Demokrat sind, haben Sie uns gerade noch einmal kundgetan.

Ich danke Ihnen für Ihre Haltungen, die Sie durchaus konsequent vertreten haben und vertreten, für den Respekt Andersdenkenden gegenüber. Ich danke Ihnen – jetzt wird es persönlicher – für die Geduld und die Neugier, die Sie gezeigt haben, Geduld mit und Neugier auf grüne Frauen in so manchen Verhandlungen. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich danke Ihnen für Ihre Streitbarkeit und für Ihren streitbaren Geist. Das ist Grundnahrungsmittel in unserer Demokratie. Ihre Rede jetzt hat ja dazu eingeladen, gleich wieder in eine streitbare Auseinandersetzung zu gehen.

Ich bin mir sehr sicher, dass Sie auch ein Vertreter für eine politische Kultur im streitbaren Umgang miteinander waren. Auch dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und ich bin mir sehr sicher, Herr de Maizière: Irgendwann und irgendwo und irgendwie wird diese Debatte, wird dieser streitbare Dialog fortgesetzt werden. Ich weiß, das gefällt Ihnen gut, macht Ihnen Spaß, und das ist ein Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie. Vielen herzlichen Dank, und Ihnen eine wirklich gute Zeit!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind am Ende einer namentlichen Abstimmung. Ich frage: Gibt es noch einen Kollegen oder eine Kollegin, der oder die die Stimme nicht abgegeben hat?

(Stephan Brandner [AfD]: Ja!)

– Ja, dann wird es aber Zeit. Schnell!

(Stephan Brandner [AfD]: Er musste die Debatte ja bis zum Ende verfolgen! Er hat geredet!)

– Nee, muss er gar nicht, Herr Brandner; das wissen Sie. Wir haben eine halbe Stunde Zeit gehabt zum Abstimmen. – Der Kollege darf noch abstimmen. Geben Sie mir danach bitte ein Zeichen. – Gut. Es ist also kein Kollege oder keine Kollegin mehr im Haus, der oder die noch nicht abgestimmt hat. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen wie immer zeitnah bekannt gegeben.

Jetzt kommt der nächste Redner. Das ist der Redner für die FDP-Fraktion, Christian Dürr.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7526514
Wahlperiode 19
Sitzung 233
Tagesordnungspunkt Vermögenssteuergesetz
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