Johann SaathoffSPD - Russlandpolitik
Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt eine Reihe von besorgniserregenden Ereignissen in Russland, die dringend unserer Aufmerksamkeit bedürfen. Es gibt wirklich dicke Bretter zu bohren. Vor zwei Wochen wurden drei deutsche Organisationen in Russland für unerwünscht erklärt. Der Petersburger Dialog hat daraufhin beschlossen, die Zusammenarbeit vorläufig auszusetzen. Denn diese Listung betrifft langjährige aktive Mitglieder des Petersburger Dialoges. Aber nicht nur der Petersburger Dialog ist betroffen. Vor allem trifft das die russischen Partner, die vielen Kooperationen, die es gibt, die nun praktisch über Nacht gekündigt werden mussten.
Ich habe mit Betroffenen gesprochen, und eins ist deutlich: Es geht hier nicht nur um politische Meinungen und Auseinandersetzungen. Es geht auch um langjährige Freundschaften und Kontakte von Mensch zu Mensch, die quasi über Nacht verboten wurden. Für diese Listung gibt es überhaupt keine Begründung. Die Behauptung, diese Organisationen würden Russland in irgendeiner Weise bedrohen, ist absurd und falsch und natürlich auch absolut nicht weise und nicht ausgerichtet auf eine gemeinsame gedeihliche Zukunft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Was es bedeutet, zu einer unerwünschten Organisation erklärt zu werden, sehen wir am Beispiel von Andrej Piwowarow. Obwohl er der Forderung des Gesetzes nachkam und die Bewegung „Offenes Russland“ aufgelöst hat, wurde er verhaftet, nachdem er bereits im abflugbereiten Flugzeug gesessen hat. Aktuell wurde bestätigt, dass die politischen Stäbe von Alexej Nawalny fortan als extremistische Organisationen gelten. Passend dazu wurde ein Gesetz verabschiedet, das seinen Unterstützern aus diesem Grund verbietet, als Kandidaten zu den Wahlen anzutreten.
All dies zeigt, dass sich Russland von den Werten und von den Regeln der Demokratie, zu denen es sich ausdrücklich verpflichtet hat, immer weiter entfernt. Opposition wird kaum noch geduldet, Gesetze und Maßnahmen richten sich aber auch gegen kritische Menschenrechtsverteidiger wie Juri Dmitrijew, der die Verbrechen des Stalinismus erforschte. Sie richten sich gegen die Zeugen Jehovas genauso wie gegen investigative Journalisten, die Korruption aufdecken oder einfach nur von Protesten berichten.
Ich stimme völlig überein, dass diese Entwicklung, die sich bereits über Jahre zeigt, unsere Russlandpolitik nicht unberührt lassen kann. Sosehr wir uns fragen müssen, was wir vielleicht hätten tun können, muss aber auch allen klar sein: Die Verantwortlichen hierfür sitzen nicht in Berlin oder Brüssel. Die Verantwortlichen sitzen vor allem in Moskau, Grosny oder anderswo in Russland. Es gibt vor allem keine Entschuldigung dafür, die Rechte der eigenen Bevölkerung zu verletzen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Der Kurs unserer Russlandpolitik bleibt derselbe, und er steht sogar im vorliegenden Antrag: Russland gehört zu Europa. – 80 Jahre nach dem Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion muss uns klar sein, wie wichtig es ist, diesen östlichen Teil Europas, der so sehr unter den deutschen Verbrechen gelitten hat, nicht zu vergessen. Der Bundestag hat gestern hieran würdig erinnert. Bundesaußenminister Heiko Maas hat dazu eine Rede gehalten und dies sehr deutlich gemacht.
Ich selbst bin gestern aus der Ukraine zurückgekehrt, wo ich ebenfalls dieses Tages gedacht habe. In der Ukraine war auch spürbar, wie lebendig die Idee Europa im Osten des Kontinents ist, gerade in und gerade mit einer lebendigen Zivilgesellschaft. Und es gehört auch zur europäischen Friedensordnung, dass wir die Verletzung der Souveränität und der territorialen Integrität der Ukraine nicht akzeptieren werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In Belarus, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen wir, dass sich die Bevölkerung für ihr Recht, frei zu wählen, einsetzt und höchste Risiken in Kauf nimmt. Gerade heute habe ich mit einigen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion ein wirklich beeindruckendes Gespräch mit Swetlana Tichanowskaja führen können. Weil ich sehe, wie die Menschen sich um Demokratie und Zusammenarbeit bemühen, glaube ich auch niemandem, der in Bezug auf Russland suggeriert, er würde ja die russische Seele kennen, die angeblich nur die harte Hand versteht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jedem, der Chancen in Gesprächen, Begegnungen und Verhandlungen sucht, dem wird abgesprochen, überhaupt Ahnung zu haben. In Russland gibt es aber nicht nur eine Seele. In Russland gibt es mindestens 144 Millionen Seelen. Und Europa ist ein Kontinent der Vielfalt, und Russland ist selbst vielfältig als Teil Europas.
Als die AG Zivilgesellschaft des Petersburger Dialogs, die ich damals zusammen mit Michail Fedotow koordiniert habe, im Dezember eine Erklärung beschlossen hat, in der vor der inzwischen erfolgten Verschärfung der Gesetze gegen die sogenannten ausländischen Agenten gewarnt wurde, haben mich viele gefragt: Wie habt ihr das eigentlich geschafft? Wie habt ihr es geschafft, dass die russische Seite zugestimmt hat? – Diese Frage ist schon völlig falsch gestellt. Es waren nämlich vor allem die russischen Teilnehmer, die ihre Sorgen geäußert haben und in dieser Erklärung Hoffnung suchten. Genau das ist ja der Fehler, dass behauptet wird, wir würden unsere Ideen nach Russland bringen wollen. Nein, es geht darum, dass die russische Gesellschaft sich frei äußern und sich frei entwickeln kann.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die neuen Gesetze, die noch mehr Organisationen und Personen zu ausländischen Agenten machen, sind beschlossen worden. Die russische Politik beschränkt die freie Meinungsäußerung und beschränkt viele Kontaktmöglichkeiten ins Ausland. Wir wollen das Gegenteil. Wir wollen mehr Kontakte, mehr Dialoge, mehr Austausch. Um es aber auch deutlich zu sagen: Ich glaube nicht, dass wir diesem Ziel näherkommen, wenn wir die Kontakte auf einem Gebiet fördern und auf einem anderen Gebiet, wie zum Beispiel der Wirtschaft, von unserer Seite beschränken.
Wir müssen Russland an seinen Verpflichtungen immer wieder messen. Wir sind aber auch nicht so naiv, zu denken, dass sich dadurch die Situation in Russland schnell verändern wird. Leider wird sie das eher nicht. Es hilft der russischen Gesellschaft aber auch nicht, wenn wir versuchen, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Die Veränderungen müssen in Russland selbst erfolgen. Aber wir können und müssen eine Politik machen, die unseren Überzeugungen entspricht.
Vor allem müssen wir die Zivilgesellschaft unterstützen; Kollege Sarrazin, Sie haben absolut recht. Wir müssen die Russinnen und Russen unterstützen, die sich als Teil Europas begreifen, die sich für einen friedlichen Kontinent einsetzen, die das Klima schützen wollen, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzen, die sich für freie Bildung aussprechen, die für Menschenrechte eintreten oder die einfach über Grenzen hinweg Freundschaften schließen und erhalten wollen. Wir sind bereit, diese Probleme mit Russland gemeinsam anzugehen, weil sie uns gemeinsam angehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU])
Mehr Begegnungen, mehr Visa, mehr Dialog, weniger Hindernisse: Das ist der Weg. Das Brett, das wir bohren, ist dick – keine Frage. Aber das darf uns nicht abschrecken. Im Gegenteil: Das war und ist der klare Kurs unserer Russlandpolitik und wird es auch bleiben. Wer behauptet, dieser Weg ginge nicht, dem kann ich nur auf Platt antworten: Geiht neet, gifft neet.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU])
Die Präsidentin will wie immer die Übersetzung haben.
Frau Präsidentin, Sie stehen kurz vorm ostfriesischen Indigenat. „ Geiht neet, gifft neet“ hätten Sie schon selber übersetzen können: Geht nicht, gibt’s nicht.
Danke schön. Es ging mir ja um die Kolleginnen und Kollegen.
(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann man tau!)
Vielen Dank, lieber Johann Saathoff. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Renata Alt.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7526544 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 233 |
Tagesordnungspunkt | Russlandpolitik |