11.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 234 / Tagesordnungspunkt 41

Michael von AbercronCDU/CSU - Digitale Ökonomie, Wissenschaftstransfer

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Liberalen beglücken uns am Ende der Legislaturperiode mit einem politischen Schaufenster aus enthemmter Deregulierung einerseits und maßloser Überregulierung andererseits. Das reicht bezogen auf den Wissenschaftstransfer vom sich vollkommen kümmernden Nanny-Staat bis hin zu einer Dystopie einer ausufernden Selbstständigkeit. Mit Blick darauf glaube ich, dass einige Vertreter von ihnen zu häufig auf Mandatsreise in Kalifornien waren, ohne sich mit der Kehrseite eines allzu freizügigen Arbeitsmarktes auseinandergesetzt zu haben, der sehr schnell zu einer sozialen Schieflage führen kann. Das sind für mich und meine Freunde der Union keine großartigen Beispiele im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft, für die wir stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Klar ist aber: Wer viel arbeitet, wer viel leistet, wer viel entwickelt, wer viel forscht, der darf und soll auch viel Geld verdienen. Gleichzeitig darf der Wohlstand der einen aber nicht auf dem Rücken der anderen aufgebaut werden, die sich mit geringfügiger Beschäftigung als Kuriere, Callcentermitarbeiter ohne Sozialversicherung ihre schmale Existenz sichern müssen. Doch bei diesem Ansatz – und der Hinweis gilt ja auch für die Sonderwirtschaftszonen – hört der Liberalismus im vorliegenden Antrag leider auf. Alles Weitere strotzt leider vor staatlicher Übergriffigkeit. Das heißt: Während die einen in eine Scheinselbstständigkeit entlassen werden, bekommen die anderen eine staatliche Rundumversorgung, die selbst den Vergleich zum real existierenden Sozialismus nicht zu scheuen braucht.

Dazu ein Beispiel: Die aus dem Ausland angeworbenen Professoren und Gründer werden nach den Ideen der FDP vom Staat bei der Suche nach Kindergartenplätzen, der Planung des eigenen Lebens, der Findung von Wohn- und Arbeitsraum oder auch mit Blick auf jedwede sonstige Bedürfnisse betreut und gefördert.

(Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)

Auf Kosten des Steuerzahlers sollen aber auch Beratungsbüros, Hilfseinrichtungen, Transfergremien etabliert werden. Ein solcher staatlich vorgegebener Weg erinnert eher an Lebensläufe eines immobilen Berufsbeamtentums und nicht an innovative, mobile Spitzenforscher und Firmengründer.

Der Erfindungsreichtum für weitere Staatseingriffe hört hier aber noch lange nicht auf. Insgesamt habe ich 23 Indikatoren – Evaluationen, Plattformen, Agenturen, Labore, Fonds, Gemeinschaften, Transfersysteme, Büros, Zentren usw. – gefunden, die es in Ihre hier vorliegenden Anträge geschafft haben. Wie man bei diesem Schwall an staatlichen Einrichtungen ernsthaft von Bürokratieabbau sprechen kann, darüber sollten wir nicht nur reden, darüber sollten Sie auch wirklich noch einmal intensiv nachdenken. Es kommt einem so vor, als ob für die diversen Beratungsagenturen irgendwelche AB-Maßnahmen gestaltet werden sollen.

Die Kleinteiligkeit, in der dieses Hohe Haus, aber auch die Bundesregierung hier tätig werden soll, ist kaum zu überblicken. So sollen nicht nur Räumlichkeiten für Start-ups geschaffen und gesetzliche Maßnahmen angepasst werden; nein, auch die Ansiedelung einzelner neugegründeter Unternehmen soll bis aufs Stockwerk genau geregelt werden, damit Transfereffekte überhaupt möglich werden. Ein Unternehmen, das schon in der Gründungsphase nur durch staatliche Interventionen den Kontakt zu anderen, gleichwertigen Unternehmen herstellen kann, scheint mir nicht geeignet zu sein, um sich im wirklichen Wettbewerb durchzusetzen.

Es wirkt reichlich befremdlich, wenn Sie in Ihren Anträgen bedauern, dass ein Großteil der deutschen Hidden Champions über 50 Jahre alt ist. Deutsche KMU als Weltmarktführer, die in ihren Branchen unangetastet Maßstäbe setzen, sind eben oft schon länger im Geschäft. Das bedeutet aber doch nicht zwangsläufig, dass sie nicht erfolgreich sein können und dass ihnen die Innovationskraft verloren geht. Dieses Erfolgsmodell zu beklagen oder es gar anzugreifen, halte ich für ein fatales Signal an unsere KMU, an unsere mittelständischen Unternehmen, meine Damen und Herren.

Bei aller umfangreichen Kritik gibt es aber sicherlich auch positive Anzeichen im Hinblick auf den Wissenstransfer – das wollen wir nicht vergessen, das ist mir sehr wichtig –: Deutschland ist mit fast 26 000 EU-Patentanmeldungen nach den USA auf Platz zwei. Die Programme EXIST und Innovative Hochschule haben zu konstanten Zahlen bei Ausgründungen geführt. Allein bei den Forschungseinrichtungen sind es immerhin 50 pro Jahr.

(Zuruf des Abg. Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP])

Und da muss man beachten, dass diese Unternehmen relativ stabil sind. Es nützt ja nichts, wenn wir Unternehmen gründen, die am Ende gar nicht durchhalten. Und das ist angesichts einer Quote von über 90 Prozent, die durchhalten, hier nicht der Fall.

(Zuruf des Abg. Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP])

Eine andere Zahl ist genauso interessant: Die Hälfte aller Hidden Champions, insgesamt 1 300, kommt aus Deutschland. Ich halte das für eine enorme Leistung und ein ganz großartiges Ergebnis unserer KMUs, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD])

In einem Ihrer Anträge wird auch beklagt, dass 70 Prozent der Institute in elf Jahren keine Ausgründungen hatten. Nun kommt es natürlich immer darauf an, welche Institute und Hochschulen ich untersuche. Dass es hier bei Geisteswissenschaften erheblich anders aussieht als in naturwissenschaftlichen und technischen Fachbereichen, liegt doch auf der Hand. Daraus kann man aber einen Umkehrschluss ziehen, nämlich dass unsere Hochschullandschaft außerordentlich vielfältig ist. Und das halte ich für ein sehr positives Zeichen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Trotzdem: Es bleibt viel zu tun, und es gibt auch sinnvolle Ansätze in Ihren Anträgen. Das gilt für die Idee, frisch gegründete Unternehmen von den Gebühren für Verwaltungsakte zu befreien. Auch darüber intensiv nachzudenken, welche Überregulierungen solchen Wissenstransfer und auch solche Ausgründungen behindern, macht Sinn. Das sollten wir zusammen in der nächsten Periode wirklich anpacken.

Das gilt auch für den Vorschlag, die Gründerkultur durch eine Gründungsausbildung zu stärken. Das könnte ein wichtiger Schlüssel sein; aber man sollte vielleicht auch schon in den Schulen damit anfangen. Denn schon hier stellt sich die Frage: Wie kann man jungen Menschen klarmachen, dass Existenzgründungen einen großen Wert für die Gesellschaft haben?

Lassen Sie mich zum Schluss – das ist bei dem Thema ungewöhnlich – mit einem Zitat von Goethe schließen. Goethe hat gesagt:

Die Deutschen, und sie nicht allein, besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen.

Setzen wir alles dran, Wissenschaft und Forschung für alle Menschen besser zugänglich zu machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Wort hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7526695
Wahlperiode 19
Sitzung 234
Tagesordnungspunkt Digitale Ökonomie, Wissenschaftstransfer
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