Johannes FechnerSPD - StPO - Wiederaufnahme zu ungunsten des Verurteilten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Schon in den 90er-Jahren hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Vorschlag gemacht, wie wir die\n Wiederaufnahmegründe des § 362 StPO zuungunsten Freigesprochener bei unverjährbaren Taten wie Mord erweitern können. Diese Koalition hat sich schon im Koalitionsvertrag darauf verständigt,\n diese Regelungen umzusetzen. Ich freue mich sehr, dass wir heute hier diesen Gesetzentwurf beraten können.
Warum machen wir das? Es ist, wie ich finde, schreiendes Unrecht, wenn einem Mörder seine Tat nachgewiesen werden kann, er aber nicht verurteilt werden kann, weil er zuvor\n freigesprochen worden ist. Das können wir nicht hinnehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Denn wenn wir auf der einen Seite sagen, dass bestimmte Taten wie Mord oder Völkermord nicht verjähren dürfen, dann zeigt diese Wertung von uns als Gesetzgeber doch, dass ein\n Mörder immer damit rechnen muss, wegen dieser schwersten Straftat doch noch bestraft zu werden. Von dieser Wertung ausgehend, muss deshalb eine Verurteilung möglich sein, wenn ein Täter\n freigesprochen wurde, dann aber nach dem Freispruch durch neue Beweismittel oder durch eine neue Auswertungsmöglichkeit früherer Beweismittel der Tatnachweis erbracht wird. Das ist eine Frage\n der Gerechtigkeit. Deshalb wollen wir diesen Gesetzentwurf beschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur Grenzkorrekturen in diesem Zusammenhang gestattet, sondern alle Änderungen, die den Kern des Artikels 103 Absatz 3 Grundgesetz nicht\n berühren. Durchbrechungen des Verbots der Mehrfachverfolgung sind deshalb möglich, insbesondere wenn gewichtige Gründe wie die Herstellung materieller Gerechtigkeit dafür sprechen. Dazu zählt\n die Ahndung eines Mordes.
Ausdrücklich will ich in diesem Zusammenhang auf die Europäische Menschenrechtskonvention hinweisen. Hier heißt es zum Grundsatz „Ne bis in idem“ in Artikel 4 des\n 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention zunächst in Absatz 1, dass niemand wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines\n Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden darf. Aber in Absatz 2 heißt es dann\n ausdrücklich, dass Absatz 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht nicht ausschließt, „falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen“. Es\n gibt also auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention eindeutig diese Wertung, wie wir sie in diesem Gesetzesvorschlag empfehlen.
Zur Frage, ob das überhaupt eine echte Rückwirkung ist oder eine unechte Rückwirkung, gibt es, wie gesagt, eine ganze Bandbreite von Positionen. Wir haben uns intensiv damit\n beschäftigt, haben ein Expertengespräch – vielen Dank an das BMJV für die Organisation – durchgeführt und kommen zu dem Ergebnis, dass uns die Professoren überzeugt haben, die gesagt haben,\n dass wir auch ohne Grundgesetzänderung eine solche Erweiterung der Wiederaufnahmegründe vornehmen können. Versetzen wir uns doch einmal in die Position der Angehörigen, die einen Menschen\n verloren haben, wenn durch neue Beweismittel doch noch festgestellt werden kann, dass die Person, die den Mord begangen hat, der nicht verurteilte Täter war. Ich finde, es ist nicht zu\n rechtfertigen, wenn diese Person dann nicht verurteilt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb sollten wir, wie viele andere EU-Staaten es schon getan haben, die Rechtslage bei uns in Deutschland ändern.
Was werden es für Anwendungsfälle sein? Aus meiner Sicht werden es gar nicht so viele Fälle sein. Es werden vor allem Fälle sein, in denen nach einem Freispruch durch neue\n Beweismittel bekannt wird, dass die Tat eben doch nachgewiesen werden kann. Wie gesagt, in diesem Fall sollte ein zweiter Prozess möglich sein.
Dann gibt es das sogenannte Dammbruchargument, also die Befürchtung, dass wir bald schon weitere Delikte einbeziehen. Da sage ich für die SPD ganz klar: Nein, die Erweiterung der\n Wiederaufnahmegründe wollen wir nur für die unverjährbaren Taten. Das ist gleichzeitig die Garantie, dass nicht noch weitere Delikte hinzukommen. Wir wollen sie nur für die unverjährbaren\n Taten. In diesem Ausnahmefall wollen wir die Rechtskraft und die Rechtssicherheit in der Tat durchbrechen und einen zweiten Prozess ermöglichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden mit einem Änderungsantrag auch dafür sorgen, dass zivilrechtliche Ansprüche, etwa von Angehörigen, nicht verjähren, Ansprüche, die im\n Zusammenhang mit einem nicht verjährbaren Verbrechen entstanden sind. Auch das, finde ich, ist eine ganz wichtige Regelung in diesem Zusammenhang.
Dann noch ein Satz zu dem Vorwurf, der schon geäußert wurde und vermutlich in der Debatte auch gleich kommt, dass dieses Gesetzesvorhaben durchgepeitscht würde und wir es nicht\n intensiv diskutieren würden. Das stimmt alles nicht. Die ganze Wahlperiode hindurch haben wir dieses Thema bearbeitet und diskutiert. Es gibt eine, ich möchte schon fast sagen, jahrzehntelange\n Diskussion in der Rechtswissenschaft, aber auch darüber hinaus zu diesem Thema. Also: Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass wir hier ein komplexes Thema schnell durchpeitschen oder was\n auch immer uns da vorgeworfen wird. Nein, wir werden es gründlich beraten und machen eine Anhörung; die wird spannend. Ich freue mich darauf, und ich freue mich auch auf die\n Gesetzesberatung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was lange währt, wird endlich gut!)
Vielen Dank. – Das Wort geht an Roman Reusch von der AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7526808 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | StPO - Wiederaufnahme zu ungunsten des Verurteilten |