Jürgen MartensFDP - StPO - Wiederaufnahme zu ungunsten des Verurteilten
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen! In der Tat, Herr Kollege Luczak, die Vorstellung, Jahrzehnte nach einem Verfahren aufgrund geänderter technischer Möglichkeiten dieses noch einmal zu führen und diesmal vielleicht mit einem anderen Ergebnis, mit dem Ergebnis einer Verurteilung zuungunsten des Angeklagten, hat auf den ersten Blick etwas Bestechendes an sich, weil damit einer materiellen Gerechtigkeit Genüge getan werden kann, die wir uns alle wünschen und die wir vom Rechtsstaat auch erwarten.
Aber gleichzeitig müssen wir uns fragen: Ist das so, oder haben wir nicht auch im Rechtsstaat Prinzipien zu beachten, die den Rechtsstaat als solchen erst formen? Der Rechtsstaat ist dadurch Rechtsstaat, dass er eben die Strafverfolgung aus der Hand der Betroffenen, der Opfer und ihrer Angehörigen, nimmt und für den Staat handelt. Das Ziel ist nicht Rache oder Genugtuung. Das Ziel ist die Herstellung eines Rechtsfriedens. Das mag unvollkommen sein, und das ist es in vielen Fällen auch. Gerechtigkeit wird auch nicht immer erreicht. In Zivilverfahren ist es so, dass der Unterlegene im Regelfall davon ausgeht, dass das Urteil ungerecht ist. So wird es in vielen Fällen sein. Mit dieser fehlenden oder schwankenden Gerechtigkeit müssen wir leben, wenn wir ein Rechtsstaat sein wollen, der nicht um der Zweckverfolgung willen arbeitet, sondern sich an Prinzipien hält, an Vorgaben, die er sich selber setzt.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])
Deswegen wird ein Rechtsstaat zum Beispiel niemals zur Wahrheitserforschung auf das naheliegende Mittel der Folter zurückgreifen können. Er wird immer die Würde des Menschen beachten, auch wenn etwas anderes vielleicht zweckmäßig wäre.
So ist es auch in diesem Fall: Wir haben den Grundsatz des Rechtsfriedens durch ein Urteil, der nach unserer Verfassung nicht infrage gestellt werden kann. Es gibt einzelne Durchbrechungen, ja, aber sie müssen Ausnahmen bleiben. Hier ist die Frage – Herr Kollege Fechner hat es angesprochen –, ob es, wenn wir ein Türchen aufmachen, nicht vielleicht doch später einmal Stück um Stück erweitert wird und so den Rechtsstaat unter den Vorbehalt technischer Möglichkeiten stellt. Sie haben eben bei Herrn Reusch bereits gehört, wie viele da sind, die sich freuen, dieses Türchen möglichst weit aufreißen zu können.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])
Wenn ich von Herrn Fechner höre, dass er verspricht, dass die Sozialdemokratie dem nicht zustimmen würde, dann muss ich fragen: Wie lange gilt dieses Versprechen?
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE] – Benjamin Strasser [FDP]: Wie bei der Vorratsdatenspeicherung!)
Bis zum 26. September? Oder ist es von gleicher Substanz wie die Zusagen, die Kronzeugenregelung niemals über den Terrorismus hinaus auszuweiten oder die Onlinedurchsuchung auf ganz wenige Tatbestände zu beschränken und, und, und? Wir müssen leider historisch die Erfahrung machen, dass diese Türchen, wenn sie geschaffen werden, auch aufgemacht werden, und das sollten wir verhindern.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Seitz [AfD])
Vielen Dank. – Das Wort geht an die Fraktion Die Linke mit Friedrich Straetmanns.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7526811 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | StPO - Wiederaufnahme zu ungunsten des Verurteilten |