Canan BayramDIE GRÜNEN - StPO - Wiederaufnahme zu ungunsten des Verurteilten
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Angeklagter wird freigesprochen. Jahrzehnte später tauchen Beweise auf. Soll er wegen derselben Tat noch einmal angeklagt werden? Vermutlich würden Angehörige mit Ja antworten; man kann sich das gut vorstellen. Aber Sie und ich, wir haben als Gesetzgeber eine andere Aufgabe. Wir müssen Sorgfalt darauf verwenden, und dazu gehört, aus dem heiklen Gegenstand kein Wahlkampfthema zu machen. Beides ist in Gefahr, wenn zwei Wochen vor Ende der Sitzungen dieser Legislatur ein solcher Gesetzentwurf vorgelegt wird, den das Ministerium nicht vorlegen wollte und bei dem die Koalition zur Debatte in der heutigen Sitzung erst gezwungen werden musste.
Ich will mich heute darauf konzentrieren, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, drei Fragen mitzugeben, die wir gerne in der Ausschussberatung diskutieren können, auf die es meines Erachtens ankommt und die Sie beantworten müssen.
Die erste Frage: Sind über die im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme vielfach in der Presse behandelten beiden Mordfälle von 1981 – das haben Sie angeführt, Herr Luczak – und 1993 hinaus weitere vergleichbare Fälle bekannt, und wäre Ihr Gesetz, wenn es jetzt durchkäme, wegen des Rückwirkungsverbots auf diese Fälle überhaupt anwendbar?
Die zweite Frage: Welche Bedeutung hat neben dem Grundsatz des Artikels 103 Absatz 3 des Grundgesetzes, der schon von einigen erwähnt wurde, der in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht erwähnte Artikel 50 der europäischen Grundrechtecharta, der lautet: „Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden“?
Die dritte Frage: Ist der Koalition bekannt, dass die Regelung zur Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten Angeklagter seit Inkrafttreten der Reichs-Strafprozessordnung einzig auf nationalsozialistische Initiative hin im Jahr 1943 auf sämtliche Freisprüche erstreckt wurde? Sie haben hier betont, Herr Fechner, dass Sie für die Ausweitung auf weitere Freisprüche, auf weitere Fälle, nicht zu haben sind; aber dass die Gefahr einer Ausweitung besteht, hat Herr Reusch mit seinem Lob und Applaus für Ihren Gesetzentwurf deutlich gemacht.
Die Praxis, die auf Initiative der Nationalsozialisten eingeführt wurde, wurde 1950 in der Bundesrepublik vom Bundestag mit der Strafprozessordnung wieder auf den Ursprungstext zurückgeführt, und dabei sollten wir es belassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])
Vielen Dank. – Der Kollege Dirk Wiese von der SPD-Fraktion gibt seine Rede zu Protokoll.
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Es folgt deshalb von der CDU/CSU-Fraktion Axel Müller.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7526813 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | StPO - Wiederaufnahme zu ungunsten des Verurteilten |