23.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 235 / Tagesordnungspunkt 1

Fritz FelgentreuSPD - Aktuelle Stunde zum geordneten Rückzug der NATO-Truppen aus Afghanistan

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Woche der Abschiede kommt dem Ende des Afghanistan-Einsatzes ein besonderer Stellenwert zu. Darin sind wir uns einig. Ich vermute, es gibt noch eine Gemeinsamkeit: Freude über den Abzug aus Afghanistan werden auch die kaum empfinden, die sich über jede Soldatin und über jeden Soldaten freuen, die oder der jetzt wohlbehalten nach Deutschland zurückkehrt. Aber eine Erleichterung empfinden wir vermutlich alle darüber, dass die Last einer großen Verantwortung von uns weicht.

Hier enden die Gemeinsamkeiten. Im Raum steht heute sehr dezidiert die Frage des Wofür. Wofür haben heute vor zwölf Jahren die Fallschirmjäger Alexander Schleiernick, Oleg Meiling und Martin Brunn ihr Leben gegeben? Wofür diese 20 Jahre mit ihren Gefallenen, Versehrten, Traumatisierten, ihren enormen Kosten?

Wer jetzt buchhalterisch versucht, positive Veränderungen in Afghanistan gegen das aufzurechnen, was wir aufgewendet und verloren haben, wird scheitern, auch weil wir noch nicht wissen, nicht wissen können, wie viel Bestand den Errungenschaften vergönnt sein wird. Aber schon der gedankliche Ansatz ist falsch. Wer in den Krieg zieht – und die Bundeswehr war in Afghanistan im Krieg –, kann vorher nicht wissen, ob der Einsatz mit Erfolg gekrönt sein wird. Misserfolg und Niederlage sind möglich. Deshalb geht es bei der Antwort auf das Wofür nicht um eine Ertragsbilanz, sondern darum, dass wir uns noch einmal auf die Gründe und Ziele des Einsatzes besinnen.

Erinnern wir uns also daran, dass von Afghanistan aus unser wichtigster und im Kalten Krieg treuester Verbündeter mit Terror überzogen worden war. Wir sind nach Afghanistan gegangen, um uns als Bündnispartner zu bewähren, auch um unserer eigenen Sicherheit willen. Erinnern wir uns daran, dass die Vereinten Nationen der NATO die Sicherheitsverantwortung für Afghanistan übertragen haben. Wir sind nach Afghanistan gegangen, um die friedenbewahrende und friedenstiftende Autorität der Vereinten Nationen zu stärken – und auch das um unserer eigenen Sicherheit willen.

Erinnern wir uns an die Hoffnungen und den Stolz, mit dem wir den Wiederaufbau des verheerten Landes begleitet haben. Wir sind in Afghanistan geblieben, um unsere Verbündeten und die vielen Menschen, die ihre Hoffnungen in uns gesetzt haben, nicht zu enttäuschen – auch um unseres Selbstverständnisses und unseres Ansehens in der Welt willen.

Die 20 Jahre, die eine neue Generation hatte, um in relativer Sicherheit und relativem Frieden aufzuwachsen, kann ihr niemand mehr nehmen. Die Zeit hat diese jungen Menschen geprägt, und sie werden die Zukunft ihres Landes prägen.

Das sind Antworten, die wir heute denen geben können, die nach dem Wofür fragen. Sie müssen dem Bundestag auch fürderhin den Weg weisen. Denn in dieser konfliktreichen Welt werden wir immer wieder neu zu entscheiden haben, wofür wir bereit sind, Waffen in die Hand zu nehmen und Gewalt anzuwenden. Und jedes Mal wird der Ausgang ungewiss sein. Denn auch, wenn die Ziele nüchtern und realistisch definiert werden: Wer schon bei der ersten Lesung des ersten Mandats eine Exit-Strategie fordert, hat nicht verstanden, worauf er sich einlässt.

Als Staatsbürger in Uniform machen sich Soldaten und Soldatinnen die gleichen Gedanken. Aber wenn sie sich heute fragen, wofür sie nach Afghanistan gezogen sind, wofür sie dort Leben und Gesundheit riskiert und zu oft auch verloren haben, dann steht ihnen eine Antwort zu, zu der wir Abgeordneten keine Zuflucht nehmen können. Sie lautet: Für uns. – Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben der Bundesrepublik Deutschland Treue und Tapferkeit geschworen. Und wir haben sie im Namen der Republik beim Wort genommen. Hier ist der Kern der oft zitierten Phrase „Kein Beruf wie jeder andere“: Für uns. Wer die Last der Verantwortung nicht spürt, die dieses „Für uns“ uns auferlegt, hat im Deutschen Bundestag nichts verloren.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen uns zu ihr bekennen und ihr bei jedem einzelnen Mandat immer wieder neu gerecht werden.

Wir verneigen uns vor den Gefallenen des Einsatzes in Afghanistan. Den Verwundeten und Traumatisierten stehen wir zur Seite. Und allen, die in den letzten 20 Jahren unserem Ruf gefolgt sind, danken wir in tiefer Verbundenheit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist der Kollege Henning Otte, CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7530150
Wahlperiode 19
Sitzung 235
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum geordneten Rückzug der NATO-Truppen aus Afghanistan
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