23.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 235 / Tagesordnungspunkt 1

Christian SchmidtCDU/CSU - Aktuelle Stunde zum geordneten Rückzug der NATO-Truppen aus Afghanistan

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum? Wer? Wie? Wo? Wann?

Warum? Peter Struck, zu Beginn der Operation in Afghanistan deutscher Verteidigungsminister, hat den berühmten Satz gesagt, dass die Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt wird. Und er hat damit – in Wahrheit – bis heute ein Stück weit recht gehabt. Unsere Sicherheit wurde im gerade genannten Global War on Terror, um den amerikanischen Begriff zu verwenden, mitverteidigt. Osama Bin Laden hatte sein Rückzugsgebiet in Afghanistan. Er war übrigens ein alter Kämpfer, der schon mit den Mudschahedin gegen die Sowjets in Afghanistan gekämpft und sie finanziert hatte. Er hatte seine Truppe gesammelt im Gebiet um Afghanistan und Pakistan – zu dem Punkt komme ich noch –; er wurde ja auch in Pakistan von einer amerikanischen Spezialeinheit zu Tode gebracht. Wir hatten zu dieser Zeit Sorge, dass der Terror direkt in unser Land kommt: Gehst du nicht nach Afghanistan, dann kommt der Terror zu dir. – Das war die Situation; alles andere ist Gewäsch.

Die zweite Frage, der zweite Punkt: Wer? Ja, die Bundeswehr, aber nicht allein, sondern sie hatte zusammen mit sehr vielen zivilen Kräften auch die Möglichkeit, Entwicklungsarbeit zu betreiben. Unser Projekt der PRTs, Provincial Reconstruction Teams, hat gezeigt, dass das funktioniert. Hier möchte ich auf die verquere Argumentation des Kollegen Bartsch eingehen, der irgendwie versucht hat, die Welt so zurechtzubiegen, dass sie in linke Vorstellungen und Argumentationen passt: Es ist gerade umgekehrt; die Frauen haben jetzt Sorge, weil sie erlebt haben, wie ein selbstbestimmtes Leben in einer Gesellschaft sein kann, was möglich ist, wenn sie sich entfalten können. Deswegen gibt es natürlich Sorgen, da wir uns in dieser Situation sehr schnell und international vielleicht nicht bestens positioniert aus Afghanistan zurückziehen.

Die dritte Frage: Wo? In Afghanistan. Aber Afghanistan ist nicht gleich Afghanistan. Afghanistan besteht aus sehr verschiedenen Teilen. Wenn man weit in die Geschichte zurückblickt, kann man sagen, dass die sogenannte Durand-Linie, eine britische Erfindung, dazu führt, dass ein großer Teil der Paschtunen, die einen wesentlichen Teil der Bevölkerung Afghanistans stellen und eine Schlüsselrolle bei den Auseinandersetzungen mit den Taliban spielen, heute pakistanische Bürger sind. Sie leben in den FATAs, den Federally Administered Tribal Areas. Eigentlich ist mancher der Konflikte, die wir jetzt in Afghanistan gesehen haben, nicht mit der ISAF gekommen, sondern die ISAF hat sich damit konfrontiert gesehen.

Wie? Ja, in der Tat, die Bundeswehr war – das zu sagen sei mir gestattet als jemand, der von Anfang an unzählige Male in Afghanistan war und auch Verantwortung mit getragen hat – mittelmäßig vorbereitet, um es vorsichtig zu sagen. Wir haben immer noch das Kraftfahrt-Bundesamt als dominierend in Erinnerung.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: ASU!)

Auf die Frage, ob beim Iltis die Sitzbank hinten umgedreht werden kann, um besseren Flankenschutz zu geben, sagte das Kraftfahrt-Bundesamt: Nein, dann erlischt die Allgemeine Betriebserlaubnis.

(Zustimmung des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP])

Das sind Dinge, mit denen wir zu kämpfen hatten – die Mentalität. Aber nicht nur das Kraftfahrt-Bundesamt, sondern auch wir im Deutschen Bundestag, auch die deutsche Bundesregierung mussten erst lernen, was es heißt, Krieg zu führen. Erst als Karl-Theodor zu Guttenberg das Wort „Krieg“ verwendet hat, erkannte man, dass wir hier nicht in einer irgendeiner Übungsmission sind. Daran müssen wir anknüpfen.

Das heißt für mich auch – damit komme ich zur Frage nach dem Wann –: Es geht weiter.

Wer? Vielen Dank, Frau Verteidigungsministerin, dass der Bundespräsident die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Kräfte im Rahmen eines großen Appells empfängt. Wir haben keine Willkommenskultur in Deutschland, auch nicht die Kultur, dass wir diejenigen, die wir hier aus diesem Hohen Hause in den Einsatz schicken – ich glaube, ich habe zusammengerechnet 150-mal für Auslandseinsätze gestimmt –, anständig begrüßen, wenn sie wieder da sind, wenn sie hoffentlich heil zurückkommen. Viele kommen nicht heil zurück. Ich habe selbst mal die traurige Pflicht gehabt, die sterblichen Überreste von jemandem aus Afghanistan – von Termes aus – begleiten zu müssen, begleiten zu dürfen, habe eine solche Situation also unmittelbar erlebt. Das heißt, ja, wir müssen eine Willkommenskultur haben.

Herr Kollege Schmidt.

Ich habe damit gerechnet, da das meine fast letzte Rede ist, dass der Präsident heute gnädig ist.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich dachte, Sie reden morgen noch mal.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ja. Ich habe ja gesagt: die fast letzte Rede.

Sie glauben gar nicht, wie sehr ich damit beschäftigt bin, ob es Ihre letzte oder Ihre vorletzte Rede ist.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)

Aber weil es Ihre vorletzte ist, müssen Sie sie jetzt zu Ende bringen.

Herr Präsident, das wissen Sie jetzt, und ich weiß es auch. Ich bringe deswegen meine Rede zu Ende: Danke an die Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7530155
Wahlperiode 19
Sitzung 235
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum geordneten Rückzug der NATO-Truppen aus Afghanistan
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