24.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 236 / Tagesordnungspunkt 8

Christian LindnerFDP - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, heute haben Sie die voraussichtlich letzte Regierungserklärung zu einem Europäischen Rat abgegeben. Historiker werden dereinst bewerten, was in Ihrer Kanzlerschaft erreicht wurde und was versäumt wurde. Aber eines kann man heute sagen: Sie haben in den vergangenen 16 Jahren Ihre Kraft und Ihre intellektuellen Gaben stets uneigennützig in den Dienst Deutschlands und Europas gestellt, und damit haben Sie sich große Verdienste erworben.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Die Rednerin der AfD hat über Fehlentscheidungen gesprochen. Eine wesentliche Fehlentscheidung hat sie aber vergessen, nämlich die Fehlentscheidung des AfD-Bundesparteitags, dass Deutschland aus der Europäischen Union austreten soll.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Konsequenterweise, Frau Dr. Weidel, hätten Sie dann hier auf Ihre Rede auch gleich verzichten können. Es hätte Ihnen niemand zum Vorwurf gemacht.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für uns ist klar – wie Hans-Dietrich Genscher gesagt hat –: Europa ist unsere Zukunft, wir haben keine andere. – Dessen müssen wir uns als Parteien des demokratischen Zentrums hier nicht vergewissern.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Diese Debatte hier hat aber einen anderen Charakter, wie die Rednerliste zeigt. Es ist keine Debatte, die die Gegenwart oder die Vergangenheit bewertet. Vielmehr weist beispielsweise gerade der Beitrag des Bundesfinanzministers nach vorne; denn er hat hier als Kandidat für die Kanzlerschaft gesprochen. Deshalb wird man Frau Baerbock, Herrn Laschet und Herrn Scholz in dieser Debatte auch daran messen müssen, was sie konzeptionell für die Zukunft vorschlagen.

Herr Scholz, der zentrale und wesentliche Punkt Ihrer Rede war doch, das Schuldenmachen zur neuen Staatsphilosophie zu verklären.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Und die Rückzahlungen!)

„Next Generation EU“ ist eine Antwort auf die Krise, auf diese Pandemie gewesen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Da macht die FDP doch mit!)

Dass es jetzt eine Konditionalität bei der Auszahlung der Mittel gibt, verdankt sich nicht der deutschen Bundesregierung; das verdankt sich beispielsweise Herrn Rutte und Herrn Kurz.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Frank Steffel [CDU/CSU] – Zurufe von der SPD)

Bei der Bewertung der Konditionalität ist es beklagenswert, dass Italien mit 44 Reformvorschlägen aufwarten kann, Deutschland aber nur mit 14. Da haben Sie die Latte gerissen.

(Beifall bei der FDP – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es kommt nicht nur auf die Zahl an!)

Nun stellt sich nach vorne hin die Frage: Wie wird das zukünftig sein? „ Next Generation EU“ war von Frau Merkel und Ihnen, Herr Scholz, zusammen mit der französischen Regierung und Herrn Macron geplant gewesen. Von Rückzahlung war dort keine Rede; von Reformvorhaben war dort keine Rede. Erst durch die Intervention der „Sparsamen Vier“ kam es zu dieser anderen, im Übrigen richtigen Anlage. Nun stellt sich die Frage an Armin Laschet, wenn er den Anspruch auf die Kanzlerschaft erhebt: Wo wird Deutschland zukünftig stehen? Werden wir Vertreter einer eher mediterran geprägten Fiskalpolitik in Europa sein, oder wird Deutschland wieder Anwalt von Stabilität und Marktwirtschaft in Europa sein?

(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Frage stellt sich. Jeder kann sie für sich beantworten; aber sie muss beantwortet werden. Für uns ist klar: Staatsschulden sind eine Gefahr für die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Krise von vor zehn Jahren ist noch nicht überwunden. Die Europäische Zentralbank ist bisher nicht in den Normalmodus zurückgekommen, Inflationsgefahren drohen. Und deshalb muss klar sein: Finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist ein Garant für Stabilität und für Solidität.

(Beifall bei der FDP)

Die zweite Frage, die sich stellt – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es angesprochen –: Wie halten wir es zukünftig mit der Migrationspolitik? Die Probleme und Konflikte des Jahres 2015 sind – bedauerlicherweise – weitgehend ungelöst. Das bezeugt die Tatsache, dass es neue Verabredungen mit der Türkei geben muss, die sich augenscheinlich allerdings inzwischen nun wirklich in eine autoritäre Präsidialdiktatur gewandelt hat. Horst Seehofer hat tatsächlich versucht, im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft richtige Initiativen zu ergreifen, aber zu einem grundlegenden Beschluss zur Verteilung und Rückführung von Flüchtlingen ist es nicht gekommen. Es fehlt ein Verteilmechanismus, der fair ist. Es gibt immer noch verheerende Zustände in den Lagern, die niemand mit humanitärem Anspruch tolerieren kann. Wir haben immer noch keine Konzepte für gelingende Rückführungen. Wir haben immer noch keinen Schutz unserer Außengrenzen.

Hier stellt sich nun die Frage, wie wir zukünftig darauf reagieren. Das wird insbesondere Frau Baerbock zu beantworten haben. Es waren die Grünen, die über Jahre etwa die Entscheidung, einzelne Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, blockiert haben. Wie würde das eine Bundeskanzlerin Baerbock machen? Sie versuchen mit Ihrer Kampagne erkennbar, von links in die politische Mitte zu zielen; also müssen Sie auch eine Politik der politischen Mitte machen. Und da gilt: Die Kontrolle des Zugangs zu einer Gesellschaft ist die Voraussetzung für soziale Stabilität und für jede öffentliche Ordnung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Volker Münz [AfD])

Wir müssen uns dem Klimaschutz widmen, eine große gemeinsame Aufgabe. Die Bundesregierung hat gerade ein Klimapaket beschlossen. Dieses Klimapaket verschärft die Ziele für Deutschland zu einer Zeit, in der die neue Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union, die sich aus dem 55-Prozent-Ziel ergibt, noch gar nicht beschlossen ist.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie will das eigentlich die FDP verteilen?)

Einseitig setzt sich Deutschland Ziele, ohne sie europäisch abzustimmen, mit dem Ergebnis, dass wir es uns schwerer machen, aber für das Weltklima im Zweifel gar nichts erreichen. Und hier stellt sich die Frage: Wird Deutschland das zukünftig weiter fortsetzen? Gerade in der Klimapolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt: Wir brauchen mehr europäische Gemeinsamkeit und weniger nationale Alleingänge.

(Beifall bei der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nachdem jetzt alle Noten verteilt sind, wäre es interessant, was Sie für eine bekommen, Herr Lindner!)

Herr Scholz, dazu hätte ich mir insbesondere von Ihnen Aussagen gewünscht; denn der Anspruch der Sozialdemokratie war immer, auch die Interessen der hochqualifizierten, leistungsorientierten Belegschaften der Industrie zu vertreten. Die Sozialdemokratie müsste uns doch zur Kenntnis geben, ob sie auch zukünftig daran festhält, zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie – ohne Beitrag für den Klimaschutz – einseitig schlechterzustellen, indem etwa die synthetischen Kraftstoffe, die im Wahlprogramm der CDU auftauchen, nicht auf die Flottengrenzwerte der Automobilindustrie angerechnet werden. Frau Baerbock hat neulich gesagt, sie nehme 200 000 abgebaute Arbeitsplätze in der Automobilindustrie hin. Sie auch? Darauf hätten wir eine Antwort gewünscht, genauso wie auf die Frage, ob die veränderte und verschärfte Regulatorik für die Chemieindustrie eine Zustimmung des Bundeskanzlers Olaf Scholz erfahren würde. Wir hätten uns gewünscht, von Ihnen zu erfahren, ob es mit einem Bundeskanzler Scholz eine neue Balance gibt zwischen einerseits den notwendigen ökologischen Veränderungen und Investitionen und andererseits den berechtigten wirtschaftlichen Interessen der deutschen Industrie und ihrer Beschäftigten. Dazu haben wir nichts gehört.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn?)

– Was wir wollen? Wir wollen einen europäischen CO2-Erlaubnisscheinhandel.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ETS gilt schon! Das kommt etwas spät!)

Wir wollen das Instrument des CO2-Markts auf Deutschland und Europa ausweiten, sektorübergreifend,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ETS haben wir doch schon!

weil wir dadurch nämlich eine Antwort geben, auf die die Welt wartet, nämlich dass Europa als Technologieführer die Innovationen entwickelt, die nicht nur bei uns CO2 einsparen, sondern die einen segensreichen Beitrag zu einer Menschheitsaufgabe leisten können.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt hat das Wort der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7530596
Wahlperiode 19
Sitzung 236
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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