Christian SchmidtCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank. – Frau Baerbock, ich kann Sie von einer Sorge befreien: Eine Bewerbungsrede war das nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein eitler Mann weniger! – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das sind ja grüne Aggressionen! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir gehen einfach diese Typen auf die Nerven!)
Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Europa ist ein Europa mit Grenzen, die nicht trennen. Mein Europa ist ein Europa vieler: vieler Menschen, vieler Länder. Mein Europa steht für Vielfalt, für Frieden, für Demokratie.
Helmut Kohl hat mit Blick auf die europäische und deutsche Geschichte immer gemahnt: Vergesst die Kleinen nicht! – In gewisser Weise ist das die Doktrin unserer Außen- und Europapolitik. Wir pflegen auch und gerade mit den Staaten enge Beziehungen, die nicht im Konzert der Großen mitspielen.
Meine Zukunft in Europa spielt sich in Zukunft zwei Flugstunden von hier ab. Keine 1 500 Kilometer von hier entfernt leben Menschen in einem wunderschönen Teil Europas, die davon träumen, dazuzugehören: zu Frieden und zu guten Lebenschancen, zu Europa, zu uns. Am 1. August trete ich in Sarajevo das Amt des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina an. Ich danke der Bundeskanzlerin und der gesamten Bundesregierung für diese im Kontext der verstärkten Befassung mit der Situation der Länder im Westbalkan entstandene Initiative und der internationalen Gemeinschaft für die Übertragung dieser spannenden, herausfordernden, sicher nicht einfachen Aufgabe.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich tue das mit dem festen Willen, durch klugen Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel aus den Friedensvereinbarungen von Dayton einen entschiedenen Beitrag dahin gehend zu leisten, dass die Narben in der Region nicht wieder aufbrechen. Dazu ist dieses immer noch nötige Amt, auch mit seinen exekutiven Möglichkeiten, da. Es gewährleistet neben der Unterstützung des Landes auf dem Weg in die EU auch die politische Präsenz der Weltgemeinschaft, zuvorderst für die Sicherstellung der territorialen Integrität Bosnien-Herzegowinas. Nach manchen Non-Papers der letzten Wochen konnte man seine Sorgen darüber haben.
Insbesondere unsere Freunde und Partner in Washington haben mit europäischen Staaten und der Weltgemeinschaft in Dayton so in und für Europa gehandelt, wie Präsident Biden letzte Woche in Brüssel die amerikanische Verpflichtung für die Sicherheit Europas genannt hat: „a sacred obligation“, eine heilige Verpflichtung. Gut für uns, dass die USA wieder zurück sind! Und wir Europäer werden unseren Beitrag leisten, ob im Baltikum, auf dem Balkan oder wo immer in Europa oder seiner Nachbarschaft.
Der Genozid von Srebrenica und andere monströse Kriegsverbrechen müssen im kollektiven Bewusstsein von uns allen, von uns Europäern als Mahnung gegenwärtig bleiben. Nicht nur wegen dieser schlimmen Erfahrungen dürfen wir den Westbalkan, diese Schlüsselregion Europas, unseren südöstlichen Campus der Vielfältigkeit, nicht vergessen und müssen den Blick darauf richten.
Der Weg dorthin ist aber so fordernd und bringt auch viele Verpflichtungen für diese Länder und ihre Gesellschaften mit sich, dass wir gut daran tun, in Sichtweite liegende Zwischenstationen zu markieren – Zwischenstationen, damit für die Bürgerinnen und Bürger Vorteile und Nutzen der EU nicht nur als ein utopisches Konstrukt erscheinen, sondern erfahrbar werden, Realität werden können. Europa darf nicht stehen bleiben. Europa muss sich weiterentwickeln und Wege suchen, die konkrete Antworten geben, die erreichbar und verlässlich sind.
Die entscheidende Frage ist: Machen wir aus der Größe Europas eine Schwerfälligkeit oder doch eine Stärke Europas? Europa spielt in einer globalisierten Welt nur dann eine gewichtige Rolle, wenn unsere Werte in einem konzentrierten Ringen miteinander zu einer gemeinsamen Agenda reifen. Wir brauchen einen offenen Binnenmarkt und Solidarität in der Krise und danach. Wir brauchen aber keine Transfer- und Schuldenunion. Wir brauchen auch eine vernünftige Sicherung der europäischen Außengrenzen. Wir alle wollen unsere Eigenständigkeit, aber das ist kein Argument gegen eine gemeinsame europäische Verfassung. Jeder kann seine Identität pflegen. Das heißt aber nicht, dass nationalistische Überheblichkeit den Ton angeben darf.
Auf dem Balkan waren wir – die EU, die USA – noch vor wenigen Jahren militärisch gefordert. Lassen Sie uns gemeinsam alles daransetzen, dass wir dort und anderswo in Europa in Zukunft nur friedlich gefordert sind.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Bundeskanzlerin, lieber Herr Ministerpräsident, vor 31 Jahren, am 20. Dezember 1990, saß ich das erste Mal in diesem Hohen Haus, noch nicht in diesem Saal – das war noch vor dem Umbau –, ein Jahr nach der Wende, in einer anderen Zeit. Helmut Kohl war Bundeskanzler, der Kanzler der Einheit, der Kanzler Europas. Hans-Dietrich Genscher war sein Außenminister, Theo Waigel war mein Parteivorsitzender, und Willy Brandt war Alterspräsident.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)
31 Jahre ist das her, 31 unglaubliche Jahre. Damals wurde deutsche Geschichte geschrieben. Die deutsche Einheit, für die ich 1981 noch vor diesem Haus mit meinen Freunden der Jungen Union demonstriert hatte, war friedlich erreicht, der Zwei-plus-Vier-Vertrag gerade auf den Weg gebracht und die Zukunft Deutschlands von anderen mitgetragen. Ohne diese vier anderen Länder und ihre Einigkeit wären wir heute nicht da, wo wir stehen.
Ich bin dankbar: für diese Zeit, für unsere Demokratie, Ihnen für konstruktive Politik, für das Bestreben, die Welt ein Stück besser zu machen. Ich bin dankbar: meinen Wählern für ihr Vertrauen, den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag über alle Fraktionen. Direkt ansprechen möchte ich die CSU-Landesgruppe, meine politische und fraktionelle Heimat, Alexander Dobrindt, stellvertretend für die CSU-Landesgruppe, meine Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus und alle anderen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Meiner Familie danke ich für das Verständnis in all den Jahren.
Viele von Ihnen werde ich, so hoffe ich, in meiner neuen Aufgabe wiedersehen, ob in Brüssel, Berlin oder Sarajevo. Ich freue mich darauf.
Danke sehr.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN und des Abg. Martin Hohmann [AfD])
Lieber Kollege Christian Schmidt, Sie haben sich in den über drei Jahrzehnten Ihrer parlamentarischen Arbeit in vielen Funktionen große Verdienste für unser Parlament und unser Land erworben. Dafür danke ich Ihnen.
Wir alle wünschen Ihnen für Ihre neue Aufgabe als Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen in Bosnien und Herzegowina alles Gute und viel Erfolg.
(Beifall)
Nächster Redner ist der Abgeordnete Martin Schulz, SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7530600 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 236 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |