Hermann Otto SolmsFDP - Förderung und Unterstützung des Handwerks
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Manfred Todtenhausen hat das Thema ausführlich und ausreichend behandelt, sodass ich mich auf einige persönliche Bemerkungen begrenzen möchte.
Lassen Sie mich beginnen mit der Aussage, dass ich mich besonders freue, unter Leitung des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble hier sprechen zu dürfen; denn – viele Jüngere wissen das nicht – wir haben in den 90er-Jahren, als wir die Regierungsfraktionen führten, sehr eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Damals wäre die Regierung gar nicht auf die Idee gekommen, über die Köpfe hinweg oder an den Köpfen des Parlaments vorbei Entscheidungen zu treffen. Das war völlig ausgeschlossen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nach nun insgesamt 37 Jahren scheide ich aus dem Deutschen Bundestag aus. Es war eine aufregende Zeit mit Siegen und Niederlagen, mit Überraschungen und mit Enttäuschungen, aber immer herausfordernd und immer begeisternd. Ich empfinde Dankbarkeit für all das, was ich als Parlamentarier erleben und mitgestalten durfte. Das war wirklich schön.
Schon kurz nach meinem Eintritt in den Deutschen Bundestag 1980 erlebte das Land eine fundamentale Auseinandersetzung: Sollten wir die Aufstellung sowjetischer Mittelstreckenraketen mit entsprechenden Reaktionen beantworten? In allen Parteien und in der Gesellschaft gab es entschiedene Widerstände. Ich erinnere mich gut an die 500 000 Demonstranten im Bonner Hofgarten, angeheizt unter anderem von dem FDP-Außenpolitiker William Borm, der später als Stasi-Agent enttarnt worden ist. Heute wissen wir: Ohne den Doppelbeschluss wäre die Abrüstung von Mittelstreckenraketen und wohl auch die deutsche Einheit nicht so schnell möglich gewesen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])
Es war also ein stürmischer Beginn für einen jungen Parlamentarier.
Als Deutschland geteilt wurde, war ich ein Kind. Als die Mauer gebaut wurde, war ich junger Soldat, auf das Schlimmste vorbereitet. Am 9. November 1989 war ich Abgeordneter. Die Nachricht vom Mauerfall im Plenum im Bonner Wasserwerk und das spontane Anstimmen der Nationalhymne durch die Kolleginnen und Kollegen waren für mich der bewegendste Augenblick in der Geschichte meiner parlamentarischen Tätigkeit.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)
Die deutsche Einheit war und ist das bedeutendste Ereignis der Nachkriegszeit. Es ist ja nicht nur die deutsche Einheit; es ist die Veränderung der Welt, die damit verbunden war.
Die größte Enttäuschung dagegen war das Scheitern der FDP an der 5-Prozent-Hürde bei der Wahl 2013 – für uns ein Schock. Wir haben aber schnell erkannt: In jeder Niederlage liegt auch eine Chance,
(Beifall bei der FDP)
und die muss man ergreifen. Diese Chance haben wir ergriffen und die Partei unter Christian Lindner neu aufgestellt. Sie sehen heute: Es ist gelungen. Wir sind zufrieden.
(Beifall bei der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den nächsten Deutschen Bundestag warten riesige Aufgaben. Damit will ich mich kurz befassen. Deutschland ähnelt heute der Romanfigur des Gulliver: Eigentlich groß und außerordentlicher Stärke fähig, wird er von Tausenden Fesseln am Boden gehalten. Unser Land hat sich selbst gefesselt. Mit zahllosen überflüssigen Vorschriften, Auflagen, Geboten und Verboten sind wir handlungsunfähig geworden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU])
Corona hat allen vor Augen geführt, wie unkoordiniert und unflexibel die staatliche Verwaltung in der Not agiert. Sie hat sich als unfähig erwiesen, schnell und unbürokratisch zu reagieren. Das ist auch kein Wunder; denn dafür sind die Beamten auch gar nicht ausgebildet; das ist nicht ihre Aufgabe.
Das Gleiche gilt für die Lösung der seit Jahren anstehenden nationalen und internationalen Probleme. Denken Sie unter anderem an die Energie- und Klimapolitik, an den noch immer nicht existenten digitalen Binnenmarkt in Europa, an die Migrationsproblematik. Denken Sie an die wirtschaftliche Stabilität und zunehmende Staatsverschuldung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zentrale Versprechen der jungen Bundesrepublik lautete: Wohlstand für alle. Es ist an Ihnen, dieses Versprechen zu erneuern. Lassen Sie dabei den Gedanken an die Generationengerechtigkeit Grundlage Ihres Handelns sein. Die Lösung der Probleme kann und darf nicht sein, unseren Kindern und Enkeln die Schulden von heute in die Wiege zu legen.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der AfD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus der Krise können wir nur herauswachsen – das muss man endlich verstehen –, so, wie wir aus der Finanzkrise 2008/09 herausgewachsen sind. Schaffen Sie die Bedingungen für diesen Wachstumsprozess. Entlasten Sie die Gesellschaft und die Wirtschaft. 90 Prozent der volkswirtschaftlichen Investitionen stammen von privaten Haushalten und Unternehmen, nicht vom Staat.
(Albrecht Glaser [AfD]: So ist es!)
Was Millionen von Bürgern freiwillig mit ihrer Kreativität und Leistungsbereitschaft bewirken können, kann der Staat niemals leisten.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der AfD – Zuruf von der FDP: Bravo!)
Es steht Parlament und Regierung gut zu Gesicht, auf die Kreativität, die Schaffenskraft und die Eigenverantwortung der Menschen zu vertrauen. Dieses Vertrauen in die Menschen unseres Landes habe ich in den letzten Jahren schmerzlich vermisst. Damit unser Staat das Land entfesseln kann, muss er schlank, digital und effizient sein. Arbeiten Sie mit Anreizen statt Verboten. Geben Sie Raum für eine neue Gründerkultur. Gute Ideen sind millionenfach vorhanden. Sie brauchen aber Freiräume, um sie zu verwirklichen.
(Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Lassen Sie ideologische Scheuklappen auch mal fallen. Denken Sie doch etwas größer.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Das Rentensystem muss sich an unsere alternde Gesellschaft anpassen; auch hier ist mehr Flexibilität gefragt. Lassen Sie doch die Arbeitnehmer selbst entscheiden, wie viel und wie lange sie arbeiten wollen. Muss das denn vorgeschrieben werden?
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
Sie werden sehen, dass viele viel länger arbeiten werden wollen, wenn man ihnen den Freiraum und die möglichen Einkunftsquellen lässt.
(Albrecht Glaser [AfD]: So ist es!)
Es braucht zudem eine mutige, umfassende Reform, die das umlagefinanzierte Rentensystem modernisiert. Auch die Rentner sollen am Produktivitätsfortschritt der Weltwirtschaft beteiligt werden. Eine gesetzliche Aktienrente ist dafür ein richtiger Weg.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verlasse den Deutschen Bundestag in der Hoffnung, dass Sie sich der anstehenden Probleme mit Mut und Sachverstand annehmen werden. Besinnen Sie sich stets auf einen entscheidenden Grundsatz unserer Verfassung: Der Deutsche Bundestag ist das einzige direkt vom Volk legitimierte Staatsorgan. Er ist die Herzkammer der Demokratie. Die Parlamentarier repräsentieren den Willen des Volkes. Der Deutsche Bundestag gibt die Grundlinien der Politik vor und bedient sich der Regierung zu ihrer Umsetzung, nicht umgekehrt.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der AfD und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sehr gut! Richtig!)
Diese Aufgabe erfordert Demut vor dem Volk, aber auch Selbstbewusstsein gegenüber der Regierung. Leben Sie beides, ganz gleich, ob Sie einer Regierungskoalition angehören oder in der Opposition arbeiten.
Ich wünsche Ihnen allen trotz Wahlkampf eine erholsame Sommerpause, damit Sie anschließend die Kraft haben, Fesseln zu lösen und die neuen Goldenen Zwanziger einzuleiten. Vertrauen Sie auf die Schaffenskraft der Menschen – denen, die hier geboren sind, und denen, die auf der Suche nach persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit hier eine neue Heimat suchen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dankbar für nahezu vier Jahrzehnte in der Herzkammer der Demokratie. Erneut kommen jetzt spannende Zeiten; das wird ja nie aufhören. Nie gab es mehr zu tun. Das möchte ich den neuen Abgeordneten noch mal in ihr Tagebuch schreiben: Nie gab es mehr zu tun.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Fraktionen der FDP, der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Abgeordnete der AfD erheben sich)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7530616 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 236 |
Tagesordnungspunkt | Förderung und Unterstützung des Handwerks |