24.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 236 / Zusatzpunkt 8

Oliver KaczmarekSPD - Aktuelle Stunde – Sichere Jobs statt Dauerbefristung in der Wissenschaft

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin denjenigen, die sich unter dem #IchBinHanna nicht nur bei Twitter, sondern auch in vielen Publikationen an der Debatte beteiligt haben, sehr dankbar für die Schilderungen aus dem Alltag, weil das etwas bewegt hat und dafür gesorgt hat, dass wir überhaupt über dieses Thema auch hier im Deutschen Bundestag und an anderer Stelle diskutieren können.

Worum es geht, das sind zwei grundsätzliche Dinge, die wir zusammenführen müssen. Natürlich haben wir ein Interesse daran, dass die Wissenschaft leistungsfähig bleibt, dass sie Lösungen für die Menschheitsfragen entwickelt. Aber das muss sich auch darin ausdrücken, dass wir Wertschätzung dokumentieren für die, die diese Arbeit machen, für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir haben es offensichtlich mit einer Generation zu tun, deren Leben nicht nur aus Wissenschaft besteht, sondern auch aus Familie, aus Wohnen, aus Freizeit. Was viele offensichtlich noch nicht mitbekommen haben, ist, dass wir diese Generation für die Wissenschaft gewinnen müssen, damit sie Zukunftslösungen erarbeiten kann. Und das geht nur durch gute Arbeit, durch verlässliche Karrierewege und stabile Arbeitsverhältnisse. Dafür müssen wir sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt werden verschiedene Erklärungen veröffentlicht, warum das alles nicht so einfach ist. Auch ich habe mir das Video vom BMBF angeguckt, sogar bis zum Ende. Nicht jeder kann in der Wissenschaft bleiben. Ich bin der Meinung, da wird ein ordentlicher Popanz aufgebaut – das sollten wir gar nicht mehr erwähnen –; denn von den 28 000 bis 29 000 Menschen, die derzeit jedes Jahr eine Promotion abschließen, wollen etwa 20 Prozent in der Wissenschaft verbleiben. Genau für diese Gruppe brauchen wir geregelte Verhältnisse auf dem wissenschaftlichen Arbeitsmarkt. Das Recht auf gute Arbeit gilt für uns nicht nur in den Betrieben, sondern auch in der Wissenschaft. Es ist unser Auftrag, da jetzt ranzugehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will auch sagen: Die Sache ist langfristig auch nicht gut für das Wissenschaftssystem; zu viel Flexibilität und zu viel Befristung führen doch langfristig dazu, dass wir zumindest in der Gefahr sind, exzellente Fachkräfte zu verlieren.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen haben wir das Gesetz verändert, Herr Kollege!)

Ich bin deshalb überzeugt: Gute Arbeit ist im Interesse der Hochschulen und der Forschungseinrichtungen. Ich sage sogar: Langfristig können nur die Hochschulen und Forschungseinrichtungen exzellent sein oder bleiben, die für stabile Arbeit sorgen und nicht Selbstausbeutung und prekäre Arbeit hinnehmen. Sie müssen gemeinsam mit uns für gute Arbeit sorgen, und wir müssen den Rahmen dafür schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will sagen, Frau Ministerin: Ich war jetzt gerade schon ein bisschen irritiert, als Sie gesagt haben: „Na ja, das ist alles schon richtig, was die da unter #IchBinHanna geschrieben haben, und herzlichen Dank dafür; das sind schreckliche Verhältnisse“, aber auf der anderen Seite „Das Gesetz ist ausreichend“ gesagt und mit ausgestrecktem Finger auf die Hochschulen gezeigt haben. Na, die Hochschulrektoren werden sich gefreut haben, als sie heute gesehen haben, dass sie selbst dafür verantwortlich sein sollen,

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Haben die Verträge mit dem BMBF oder mit der Uni?)

dass prekäre Arbeit an den Hochschulen organisiert wird. Deswegen sage ich: Wir als Gesetzgeber müssen in der Lage sein, darauf zu reagieren und eben auch deutlich zu machen: Wir wollen ein Arbeitsrecht, das mehr Stabilität schafft.

Deshalb hat die SPD drei ganz simple Regeln für eine Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz entwickelt – ich bin, weil hier viele Fraktionen in solch eine Richtung argumentieren, ganz zuversichtlich, dass wir nach der Bundestagswahl mit den richtigen Stärkeverhältnissen in der Regierung dann auch Veränderungen hinbekommen –:

(Beifall bei der SPD)

Erstens. Wir brauchen sichere Rahmenbedingungen für eine Promotion, und das – Wiebke Esdar hat darauf hingewiesen – für die gesamte Dauer der Promotion. Das ist eine wichtige Grundlage.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das steht im Gesetz!)

Zweitens. Wir brauchen danach in möglichst überschaubaren Zeiträumen Klarheit für diejenigen, die in der Wissenschaft bleiben wollen

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das steht auch im Gesetz!)

und aufgrund ihrer Leistung auch bleiben können. Für sie brauchen wir, weil wir die Besten in unserem System halten wollen, entweder einen verlässlichen Karrierepfad – zum Beispiel jetzt schon durch eine Ausweitung der Tenure-Track-Option – oder eine unbefristete Beschäftigung, insbesondere in der Lehre.

Drittens. Für Daueraufgaben braucht es auch dauerhafte Stellen.

Das sind drei Leitlinien, mit denen wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz als Befristungsinstrument überwinden und zu einem Gesetz für gute Arbeit in der Wissenschaft weiterentwickeln wollen. Lassen Sie uns da für gemeinsame Mehrheiten kämpfen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE])

Natürlich ist der Rahmen gut gesetzt. Frau Mannes hat das gerade alles noch mal aufgeführt – teilweise wurde das in der Koalition ja auch kontrovers diskutiert, auch schon in der letzten Koalition –: Hochschulpakt verstetigt, Pakt für Forschung und Innovation, Exzellenzstrategie, Tenure-Track-Programm. Wir haben viele Dinge gemacht.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau so ist es! Das haben wir gemeinsam gemacht! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Fakten, Fakten, Fakten!)

– Alles gut! – Das haben wir gemeinsam in der Koalition erreicht, teilweise wurde auch darüber gestritten; aber wir haben es erreicht. Aber wenn wir dann sehen, dass das Ergebnis nicht befriedigend ist,

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Hast du das Ergebnis der Evaluation?)

dann müssen wir doch auch in der Lage sein, den gesetzlichen Rahmen auszufüllen und dafür zu sorgen, dass der gesetzliche Rahmen dem folgt, was wir wollen, nämlich stabile Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft schaffen.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Und? Was heißt das jetzt?)

Da gibt es einige weitere Optionen: das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, zu dem ich gerade unsere Leitlinien dargestellt habe, die Ausweitung des Tenure-Track-Programms. Da geht es um das, was Frau Esdar gesagt hat: 100 Prozent Arbeit muss bei der Bundesförderung auch eine 100-Prozent-Stelle nach sich ziehen. – Das sind alles wichtige Dinge. Damit würde der Bund Vorbildwirkung entfachen. Damit würden wir mehr leisten als mit dem, was Sie gemacht haben, nämlich auf die Hochschulrektoren zeigen und sagen, dass sie das nicht hinkriegen. Das ist nicht richtig.

Insofern glaube ich: Es gibt mehr Möglichkeiten, anzupacken. Wir sollten uns aus der Debatte nicht raushalten, sondern jetzt dafür sorgen, dass wir ein entschiedenes Handeln für gute Arbeit in der Wissenschaft hinbekommen. # IchBinHanna, das wird nachhaltig bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Dr. Petra Sitte für Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7530674
Wahlperiode 19
Sitzung 236
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde – Sichere Jobs statt Dauerbefristung in der Wissenschaft
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