24.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 236 / Tagesordnungspunkt 16

Susann RüthrichSPD - Bericht Kommission Antiziganismus

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie würde es Ihnen gehen, wenn Ihre Familie schon immer hier lebt, Sie aber dauernd als „Migrantin“ bezeichnet würden? Wie würde es Ihnen gehen, wenn ganz normale Menschen Begriffe verwenden, die Sie beleidigen, sich aber dann selbst zum Opfer einer angeblichen „Sprachpolizei“ machen,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

wenn so getan wird, als kämen diese Diffamierungen nur von rechts statt von allen Teilen der Gesellschaft? Wie würde es Ihnen gehen, wenn auf ein Haus, in dem Menschen Ihrer Bevölkerungsgruppe leben, ein Anschlag verübt wird und danach viele den Betroffenen eine Mitschuld geben, oder wenn im Unterricht die Vernichtungsgeschichte Ihrer Vorfahren kein Lehrstoff ist, stattdessen aber Klischees über Ihre Minderheit verbreitet werden? Wie würde es Ihnen gehen, wenn im Jobcenter Sanktionen gegen Sie etwas „robuster“ ausfallen, weil der Mitarbeiter dort meint, Menschen „wie Sie“ verstünden nur diese Sprache? Kurz: Wie würde es Ihnen gehen, wenn Sie Ihre Identität lieber unsichtbar machen, damit Sie dem allgegenwärtigen Ressentiment entgehen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hier sind verantwortlich dafür, dass diese unwürdigen Zustände endlich enden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])

Das geht nur, wenn wir das als Antiziganismus erkennen, wenn wir ihn wahrnehmen, ihn ernst nehmen, gerade auch dann, wenn wir selbst nicht betroffen sind. Erkennen heißt, diese spezifische und jahrhundertealte Form des Rassismus verstehen. Es geht nicht nur um einzelne, absichtsvoll handelnde Rassistinnen und Rassisten und Rechtsextreme. Nein, es geht um Bilder, um Zuschreibungen, um Tradierungen, die weit verbreitet sind und auch in unseren Normen, in unseren Gesetzen und Institutionen immer weitergegeben werden. Rassismus funktioniert als Platzanweiser in der Gesellschaft und steht damit einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft fundamental entgegen.

Antiziganistischer Rassismus endet aber leider nicht, nur weil wir ihn nicht wollen. Aktives Tun ist gefragt. Der Bericht der Bundesregierung ist daher von großem Wert. Die Arbeit fängt nun aber erst an, indem wir die Forderungen und Anregungen auch tatsächlich umsetzen, im künftigen Bundestag, aber eben auch in den Ländern, in den Kommunen, Institutionen, damit alle Kinder hier auch tatsächlich bestmögliche Chancen haben und sie keine höhere Hürde vor sich stehen sehen, nur weil sie einer Minderheit angehören, damit rassistischer Diskriminierung wirksam der Boden entzogen wird, etwa durch ein Antidiskriminierungsgesetz. Darauf achten wird dann hoffentlich eine entsprechende Beauftragte auf Bundesebene.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich werde Aufgaben wie diese nunmehr von anderer Stelle aus vorantreiben. Zu gerne hätte ich die Tür hier hinter mir zugemacht mit dem Wissen, dass die Demokratieinitiativen im Land gesetzlichen Rückenwind für ihre Arbeit haben,

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

unter anderem auch die, die Antiziganismus bekämpfen. Das Demokratiefördergesetz ist leider genauso gescheitert wie mein anderes Herzensanliegen, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Bretter sind dick; aber ich bin mir sicher: Beides wird kommen, allen Widerständen zum Trotz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Denn am Ende wird alles gut, und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht das Ende.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich setze mein Vertrauen in Sie, dass rechte Menschenhasser hier nie Einfluss nehmen werden.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])

Die früheren Nazis brauchten nicht die Mehrheit zu sein; sie brauchten nur diejenigen, die ihnen zur Mehrheit verhalfen. Ich vertraue Ihnen, dass Sie den heutigen Demokratiefeinden hier im Hohen Haus

(Stephan Brandner [AfD]: Dann treten Sie aus der SPD aus!)

nie zu einer Mehrheit verhelfen und sich auch niemals durch diese selbst eine Mehrheit verschaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Ihnen aus den demokratischen Fraktionen für die lehrreichen Jahre, meiner Fraktion für das Vertrauen, das sie in mich gesetzt hat, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen meiner kleinen Selbsthilfegruppen.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD] – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie mal still! Jetzt ist gut, Herr Brandner! – Gabriele Katzmarek [SPD], an Abg. Stephan Brandner [AfD] gewandt: Still jetzt!)

Ich danke auch den Mitarbeitenden in der Fraktion, in der Bundestagsverwaltung; denn ohne sie läuft hier gar nichts. Das gilt selbstredend auch für mein Team hier und zu Hause. Für jede stressige und jede fröhliche gemeinsame Stunde vielen Dank!

Sehr geehrte Damen und Herren, es war mir oft eine Freude und immer eine Ehre. Glück auf, Freundschaft und auf Wiedersehen!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Die Abgeordneten der SPD erheben sich)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7530735
Wahlperiode 19
Sitzung 236
Tagesordnungspunkt Bericht Kommission Antiziganismus
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