Josip JuratovicSPD - Bundeswehreinsatz in Kosovo KFOR
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute führen wir erneut eine Debatte über die Verlängerung des KFOR-Mandats; ich bitte um Zustimmung.
Zuerst will ich mich – auch im Namen unseres Hauses – bei den Soldatinnen und Soldaten für ihren unermüdlichen Einsatz für die Sicherheit der Menschen in Kosovo und der Region bedanken, da die Regierung vor Ort offensichtlich nicht dazu imstande ist, die Sicherheit zu gewährleisten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Leider hat auch die Politik der Weltgemeinschaft beim Zerfall Jugoslawiens schwerwiegende Fehler begangen, aus denen wir heute lernen müssen. Das 1977 nach der nötigen Anzahl an Ratifizierungen der UN-Charta in Kraft getretene Recht auf Selbstbestimmung der Völker war ein Segen für die Wiedervereinigung Deutschlands, für Ex-Jugoslawien jedoch verhängnisvoll. Selbstbestimmung der Völker ohne Festhalten an der Charta der Menschenrechte verhindert Demokratie und schafft Nationalismen und somit jene schrecklichen Folgen, die wir aus dem blutigen Zerfall Ex-Jugoslawiens kennen.
Es klingt zynisch: Die EU hat die politischen Zustände auf dem Westbalkan selbst mit ermöglicht – und stellt nun die EU-Beitrittsperspektive dieser Länder mangels demokratischer Werte infrage. Warum sollten Nationalkommunisten Ex-Jugoslawiens, die das Land ausgeplündert, die Völker in kriegerisches Verderben geführt und die Länder inzwischen im Nationalismus eingekerkert haben, für Rechtsstaatlichkeit sorgen? Eine demokratische Wertegemeinschaft auf dem Westbalkan war von deren politischen Eliten nie gewollt.
Diese Eliten haben inzwischen in der EU ein neues Vorbild gefunden: Viktor Orban und die sogenannten Visegrad-Staaten. Orban ist inzwischen das trojanische Pferd Chinas in der EU und nutzt den Westbalkan zunehmend als ein Übungsgelände für jede Schweinerei. Beispiel: sogenannte Non-Papers, die Orbans Handschrift tragen.
Als mir vor ein paar Jahren ein bosnisch-herzegowinischer Politiker beim Thema „Einhaltung der demokratischen Grundrechte“ argumentativ nichts mehr entgegenbringen konnte, sagte er folgenden Satz: Juratovic, Europa ist schwach, und wir haben Zeit. – Er scheint inzwischen recht zu haben. Wenn man sieht, dass eine kleine rechtsradikale Partei Bulgariens im Falle der Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien über die Zukunft Europas bestimmt, dann ist die Balkanisierung Europas nicht mehr weit.
Kolleginnen und Kollegen, der Westbalkan ist nicht unmenschlicher oder menschlicher als der Rest der Welt. Was wir lernen müssen, ist, dass die Ursache für Krieg auf dem Westbalkan nicht die lange Historie der Region ist. In Wirklichkeit ist die Ursache das politische Versagen der jüngsten Geschichte, welches es aufzuarbeiten gilt. Wir müssen lernen, dass ein Srebrenica auch in der EU inzwischen jederzeit und überall möglich ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa befindet sich heute am Scheideweg in der Frage: Wollen wir ein Europa der wirtschaftlichen Interessen und eines politischen Konsenses auf dem Niveau von Orban, oder wollen wir ein institutionell starkes Europa der Menschenrechte und demokratischen Werte? Ich stehe für die Vereinigten Staaten von Europa.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])
Dieses Projekt wird wohl nicht auf Anhieb mit 27 Mitgliedstaaten funktionieren, sondern zu Beginn zunächst mit Staaten, die willig sind. Es ist aber die einzige Möglichkeit, wenn wir die Balkanisierung der Europäischen Union verhindern wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Kolleginnen und Kollegen, die letzten vier Minuten meiner Redezeit im Deutschen Bundestag neigen sich dem Ende zu. Ich möchte mich bei allen unter Ihnen bedanken für den fairen Umgang mit mir als bekennendem Arbeiter und Gastarbeiter im Deutschen Bundestag. Als Sozialdemokrat und gläubiger Christ bitte ich Sie: Verbinden Sie bei all Ihren politischen Entscheidungen den Gottesbezug in der Präambel unseres Grundgesetzes mit Artikel 1 unserer Verfassung! Seien Sie wachsam; denn wer in der Demokratie schläft, wird in der Diktatur aufwachen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und Gott segne Sie!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Alles Gute, Herr Kollege Juratovic!
Ich möchte noch einmal auf Tagesordnungspunkt 31 zurückkommen. Wir schließen in fünf Minuten die Abstimmung. Wer also noch abstimmen möchte, den bitte ich, das jetzt zu tun.
Nächster Redner ist der Abgeordnete Rüdiger Lucassen, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7530764 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 236 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Kosovo KFOR |