Aydan ÖzoğuzSPD - Menschenrechtspolitik
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 66-jährige Architektin Nahid Taghavi lebt seit 1983 in Köln, hat seit 2003 neben der iranischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Seit vergangenem Herbst sitzt sie im Evin-Gefängnis im Iran. Sie war nach ihrer Festnahme tagelang verschollen, über Wochen ohne notwendige medizinische Betreuung, über Monate ohne Anklage und fast 200 Tage in Isolationshaft. Am 16. Juni begann ihr Prozess; eine Klärung ist nicht absehbar. Der Zustand von Frau Taghavi ist ihren Angehörigen zufolge sehr schlecht. Der Iran entlässt nicht aus der iranischen Staatsbürgerschaft, gewährt aber auch keinen konsularischen Zugang bei gleichzeitiger deutscher Staatsbürgerschaft. Es gibt quasi kein Entkommen.
Ich hätte leider mehrere solcher Beispiele hier wählen können. Das zeigt auch der heute debattierte Bericht der Bundesregierung zu ihrer Menschenrechtspolitik auf erschreckende Weise. Die Liste der Staaten weltweit, in denen Menschen auf dramatische Weise in ihren Rechten eingeschränkt und furchtbar drangsaliert oder sogar getötet werden, ist lang.
Im Iran werden wir seit Jahren Zeugen einer erodierenden Menschenrechtslage. Die hohe Zahl vollstreckter Todesurteile, die Unterdrückung von Frauen, sexuellen Minderheiten, ethnischen und religiösen Gruppen und die zu Beginn angesprochenen Gefahren für Regimekritikerinnen und Regimekritiker und Menschenrechtsaktivistinnen und ‑aktivisten inklusive der Festnahme politischer Geiseln, das alles ist sehr besorgniserregend. Deshalb stellen wir heute auch den Antrag mit dem Titel „Menschenrechte ins Zentrum der Iranpolitik stellen“.
(Beifall bei der SPD)
Mit diesem Antrag machen wir klar: Sowohl auf bilateraler Ebene als auch im Verbund mit EU-Partnern und den Vereinten Nationen dürfen die Bemühungen der Bundesregierung nicht abreißen, alle sich ergebenden Chancen, die Menschenrechtslage positiv zu beeinflussen, auch zu nutzen. Gerade im Verhältnis zum Iran haben wir dies immer wieder getan und die Gesprächskanäle offengehalten. Es gibt diejenigen, die in solchen Fällen schnell rufen, dass man mit den Regierungen nicht mehr reden solle. Aber wem soll das eigentlich nützen? Den Drangsalierten wohl am allerwenigsten. Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, und deshalb danke ich umso mehr Außenminister Heiko Maas und dem Auswärtigen Amt für die Standhaftigkeit auf so vielen Baustellen trotz so vieler Angriffe von vielen Seiten.
(Beifall bei der SPD)
Leider müssen wir feststellen, dass die Entwicklungen weltweit, aber auch unmittelbar in unserer Nähe nicht so sind, dass wir auch nur annähernd den vielen schlimmen Menschenrechtsverletzungen in dieser Debatte gerecht werden könnten.
Einige der besorgniserregendsten Vorfälle beobachten wir ja seit einiger Zeit direkt vor den Toren Europas in Belarus. Seit der mutmaßlich gefälschten Wahl von Machthaber Lukaschenko wurde jeder Protest aus der Bevölkerung rigoros und mit Gewalt unterdrückt. Aktuell befinden sich mehr als 400 politische Gefangene in Haft, wie man hört, unter desaströsen Bedingungen. Gemeinsam mit mehreren Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause haben wir Patenschaften für Inhaftierte übernommen, ich für Tatsiana Kaneuskaya, die allein aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen nach belarussischem Strafgesetzbuch wegen der, wie es heißt, „Organisation von Unruhen“ zu sechs Jahren Straflager verurteilt wurde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht nachgeben, auf diese Schicksale aufmerksam zu machen und unsere Solidarität auszudrücken.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Die erzwungene Flugzeuglandung zum Zweck der Festnahme eines Oppositionellen ist der bisherige Tiefpunkt dieser erschreckenden Entwicklung. Es ist wichtig, dass wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier immer wieder diese Fälle sichtbar machen. Die Bilder, die uns erreichen, sind erschreckend genug, und der Mut der Bevölkerung ist bewundernswert. Aber diese Kraft ist nicht grenzenlos, und das weiß die Führung. Deshalb ist es so wichtig und war es so wichtig, dass die EU und andere Staaten mit den in Kraft gesetzten Wirtschaftssanktionen auch gehandelt haben.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Katja Leikert [CDU/CSU])
Damit möchte ich noch einmal kurz zum 14. Bericht der Bundesregierung kommen. Ich möchte aus unserem Antrag Folgendes nennen: Wir setzen uns ein im Kampf gegen Straflosigkeit, wir tragen zur Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag bei und waren beteiligt an der Schaffung des EU-Menschenrechts-Sanktionsregimes, welches zukünftig sicherlich und hoffentlich deutliche Wirkung entfalten wird.
Straflosigkeit, also die häufig ausbleibende Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen, haben wir als SPD-Bundestagsfraktion in dieser Legislatur zu unserem Schwerpunktthema im Menschenrechtsausschuss gemacht. Es geht darum, zu sehen, wie Kriegsverbrechen in Syrien, Verbrechen durch den sogenannten „Islamischen Staat“ oder auch Verbrechen infolge der Vertreibung der Rohingya in Myanmar durch Gerichte untersucht und bestraft werden können.
Von uns eingeladene Sachverständige wie Christoph Safferling von der Uni Erlangen-Nürnberg weisen darauf hin, dass wir der Straflosigkeit nur Herr werden können, wenn weltweit nationale Strafrechtssysteme mit einbezogen würden, so wie es in Deutschland zum Beispiel bei der Verfolgung von Straftaten im Syrienkrieg durch den Generalbundesanwalt erfolgreich praktiziert wurde.
Wir stehen vor einer wachsenden Zahl von kriegerischen Auseinandersetzungen, von Völkerrechtsverbrechen. Wir müssen mit ansehen, wie Folter, Vergewaltigung, Mord oder Chemiewaffeneinsätze gezielt angewandt werden, und in den allerwenigsten Fällen können die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir setzen uns mit einer breiten Mehrheit hier im Haus dafür ein – darin waren wir uns im Menschenrechtsausschuss Gott sei Dank auch immer einig –, dass sich das endlich ändert.
In diesem Zusammenhang muss ich noch einige Worte zu China sagen. Die Entwicklungen sind dramatisch. Ich hatte bereits bei der Debatte zur Religionsfreiheit angemerkt, dass es um mannigfaltige Formen religiöser Diskriminierung und Verfolgung geht, darunter übrigens auch gegenüber 80 Millionen Christen, die in China leben. Der Menschenrechtsbericht greift zu Recht die Lage in den Regionen Xingjiang und Tibet auf. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:
Darüber hinaus verfolgen viele Menschen auch in unserem Land mit größter Sorge, was in Hongkong passiert.
Die Volksrepublik China hat sich als Unterzeichnerin der UN-Charta und der Genozidkonvention in Völkerrechtsverträgen zur Achtung der Menschenrechte und zur Verhütung von Menschenrechtsverbrechen verpflichtet. Aber gleichzeitig müssen wir beobachten, wie sie sogar europäische Abgeordnete, die die Menschenrechtsverbrechen zum Thema machen, verfolgt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wie wir in dem Ausschuss für Menschenrechte gut zusammengearbeitet haben, so deutlich müssen wir auch in Zukunft diese Dinge hier nennen, dürfen uns nicht den Mund verbieten lassen und müssen sehr deutlich machen, dass das für uns nicht akzeptabel ist.
(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte zum Schluss allen Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss sehr danken, auch der AfD, die uns sehr viel zugemutet hat, die sich aber nicht beschweren kann, unfair behandelt worden zu sein; denn wir hatten eine hervorragende Ausschussvorsitzende: Gyde Jensen. Ganz herzlichen Dank noch einmal auch für deine Arbeit!
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD])
Vielen Dank, Aydan Özoğuz. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Jürgen Braun.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7530962 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 237 |
Tagesordnungspunkt | Menschenrechtspolitik |