Aydan ÖzoğuzSPD - Regierungserklärung der BKn zur Lage in Afghanistan, Bundeswehreinsatz zur Evakuierung aus Afghanistan
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Debatte spiegelt die Realität in Afghanistan ja ganz richtig wider. Es ist bedrückend; es ist erschütternd. Während wir hier debattieren, zeigt sich einmal mehr, welch schwierige und wertvolle Arbeit unsere Soldatinnen und Soldaten und alle weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Flughafen in dieser gefährlichen Situation leisten. Ihnen allen gebührt unser aller Dank und unsere hohe Anerkennung für die professionelle Arbeit.
(Beifall bei der SPD)
Der am Ende überstürzte Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan hat die Situation für die afghanische Bevölkerung überall im Land noch einmal verschärft. Bei unserer letzten Mandatsverlängerung hatten wir uns ja mehr Zeit eingeplant. Es ist anders gekommen, und darüber wird natürlich zu reden sein.
Aber ich möchte an dieser Stelle auch anmerken: Viele von uns telefonieren in diesen Tagen mit Afghaninnen und Afghanen und deren Angehörigen und auch mit Deutschen, die dort sind. Sie alle wurden von dieser Entwicklung überrascht. Niemand hat es kommen sehen, dass die Taliban wirklich so schnell in Kabul einmarschieren.
(Zuruf von der LINKEN)
Deswegen finde ich es etwas wohlfeil, wenn man jetzt sagt: Na ja, wir haben es immer schon gewusst. – So ist es eben leider nicht. Wir hätten gerne den Menschen noch viel mehr Möglichkeiten geschaffen, dort rauszukommen.
(Zuruf von der LINKEN: Ach was!)
Meine Heimatstadt Hamburg ist schnell vorangegangen, denjenigen, die jetzt aus dem Land gebracht werden können, einen sicheren Hafen anzubieten. Ich freue mich über jedes Bundesland, das im Moment Solidarität mit diesen Menschen in großer Not zeigt.
(Beifall bei der SPD – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist doch Symbolpolitik! Reine Symbolpolitik!)
– Das ist ganz praktische Politik für die, die da sind.
Frau Kollegin Özoğuz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte im Moment keine. – Wir müssen als internationale Gemeinschaft jetzt wirklich schnell dem UNHCR finanzielle Mittel zukommen lassen; denn wir haben es schon einmal versäumt, dies rechtzeitig zu tun. Wir müssen den Menschen helfen, die sich in den Ländern um Afghanistan herum aufhalten. Wir müssen ihnen wirklich helfen, dass sie dort ordentlich aufgenommen und untergebracht werden können und zu essen bekommen.
(Beifall bei der SPD)
Es gibt jetzt wenig Spielraum für Verhandlungen; aber immerhin gibt es Gespräche in Doha und Kabul. Wenn die Taliban aus Doha nach Afghanistan zurückkehren, könnte es ja schwieriger werden. Wir müssen also die verbleibende Zeit nutzen. Dafür braucht es gemeinsame, klare Konditionen der internationalen Gemeinschaft, gerade gegenüber den Taliban.
Auch wenn die Taliban derzeit über finanzielle Mittel verfügen, wie es den Anschein hat, können wir davon ausgehen, dass Afghanistan auf eine humanitäre Katastrophe zusteuert, spätestens im kommenden Winter. Sie werden auf Hilfe angewiesen sein. Wir müssen versuchen, bei den Taliban genau an diesem Hebel anzusetzen. Wir müssen versuchen, zu retten, was zu retten ist.
Ich denke in diesen Tagen ganz besonders an Masar-i-Scharif und an Herat. In meiner letzten Rede hier hatte ich betont, wie viele studierte Frauen sich gerade dort befinden. Heute suchen sie nach Burkas, verstecken sich, zerreißen Fotos. Das ist alles wirklich erschütternd.
(Zuruf des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP])
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass das Durchschnittsalter in Afghanistan bei 18,4 Jahren liegt. Wir haben durch unser 20-jähriges Engagement einer Generation Zugang zu Bildung an Schulen und Universitäten und Zugang zum Gesundheitswesen gegeben. Wir haben humanitäre Hilfe geleistet. Die Hälfte der Bevölkerung kennt die Talibanherrschaft nicht; sie kennt sie nur aus Erzählungen. Ja, es gibt etwas zu verlieren in Afghanistan. Wir dürfen gerade in dieser Lage bei unseren Bemühungen, einige der Errungenschaften zu erhalten, eben nicht nachlassen.
(Beifall bei der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was träumen Sie nachts?)
Es gilt nun, in der nächsten Bundesregierung schonungslos aufzuarbeiten, was ist, und auch Lehren für künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr zu ziehen. Das sind wir uns selbst, unserem Land und allen, die in Afghanistan im Einsatz gewesen sind, schuldig.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Diether Dehm.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7531855 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 238 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung der BKn zur Lage in Afghanistan, Bundeswehreinsatz zur Evakuierung aus Afghanistan |