Armin Laschet - Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021"
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Flut vom 14. und 15. Juli hat unser Land schwer getroffen. Sie ist für die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen eine Jahrhundertkatastrophe. Mehr als 180 Menschen haben in Deutschland ihr Leben verloren, und sie hinterlassen Familien und Freunde, einige auch kleine Kinder.
Wir sind in Gedanken zuallererst bei den Opfern der Katastrophe und ihren Angehörigen. Aber wir müssen auch an die denken, die zwar überlebt haben, aber die ihre gesamte Lebenserinnerung verloren haben. Eine Frau hat mich in ein Haus geführt – es war ein einziger Trümmerhaufen – und gesagt: Das war, nachdem mein Mann vor zwei Jahren gestorben war, das Letzte, was ich noch hatte: meine Wohnung, die Möbelstücke, das Familienalbum als Erinnerung – alles weg. – Ein Großteil des Elends in diesen Tagen spielt sich auch hinter den Mauern der vielleicht nicht zerstörten Häuser ab, wo man Freunde und andere im direkten Umfeld verloren hat. Das alles lässt sich nicht wieder heilen, auch nicht mit vielen Milliarden.
Die Verantwortung von Bund und Ländern ist es, zu tun, was wir tun können. Das heißt, wir müssen denen helfen, die durch die Flut vor den Trümmern ihrer wirtschaftlichen Existenz stehen. Wir haben deshalb direkt nach der Hochwasserkatastrophe gesagt: Jeder Einzelne wird beim Wiederaufbau, beim Neuanfang auf die Solidarität unserer Gesellschaft zählen können, und wir tun alles dafür, dass jede Stadt, jedes Dorf wiedererstehen kann. – Dieses Versprechen halten wir heute gemeinsam ein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb haben wir in Nordrhein-Westfalen gleich in den ersten Tagen mit der Auszahlung der Soforthilfe begonnen. Auch das muss unbürokratisch sein. Auf dem Formular stehen der Name, der Schadensort und die Kontonummer, eidesstattlich versichert, dass alles stimmt. Keine langen bürokratischen Verfahren; denn der, der nichts mehr hat, der vielleicht nicht mal mehr eine EC-Karte hat, braucht Bargeld, braucht schnelle Unterstützung. Und so sind in wenigen Wochen 185 Millionen Euro an die Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt worden, 65 Millionen Euro an die Kommunen und 26 Millionen Euro an Unternehmen.
Und die Unternehmen trifft es doppelt. Das eine ist: Das Unternehmen, kleiner mittelständischer Betrieb, ist zerstört; es hat Abnehmer, für die es ein Spezialprodukt herstellt, es ist vielleicht das einzige, das das kann. Da wird der Abnehmer sagen: Ja, ich muss mir jetzt das Produkt woanders besorgen. – Die erste Sorge des Unternehmens ist dann: Kommt der Abnehmer denn danach wieder zurück? Und ist dieser Betrieb in dieser Region danach noch wettbewerbsfähig? – Das Zweite ist: Gleichzeitig sind die Mitarbeiter des Betriebs hart getroffen; denn sie sind diejenigen, deren private Häuser zerstört worden sind.
Insofern brauchen wir Antworten. Wir brauchen Antworten für die Unternehmen: Die Insolvenzantragspflicht muss ausgesetzt werden, damit die betroffenen Unternehmen in dieser Zeit nicht auch noch Insolvenz anmelden müssen. Die Zeit bis Oktober war uns dafür etwas zu kurz. Deshalb haben wir mit der Bundestagsfraktion gemeinsam den Vorschlag entwickelt, sie bis in das nächste Jahr hinein auszusetzen. Entscheidend ist, dass das Geld jetzt schnell ankommt.
Deshalb danke ich dem Deutschen Bundestag für diese Sondersitzung, die es ermöglicht, dass dieser Gesetzentwurf am 7. September hier endgültig verabschiedet werden kann. Gemeinsam mit Malu Dreyer habe ich eine Sondersitzung des Bundesrates beantragt. Dieser kommt am 10. September auch extra deswegen zusammen, und dann sind auch wir mit einem Nachtragshaushalt, den der Landtag in Kürze beschließen wird, vorbereitet, sodass das Geld unmittelbar nach der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt bei den Menschen ankommen wird.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Entscheidend ist darüber hinaus – auch da ein Dank an den Bund dafür, dass wir das gemeinsam hingekriegt haben –, dass derjenige, der jetzt schon anfängt, es nachher verrechnen kann und es ihm nicht zum Nachteil wird, wenn er jetzt schon aktiv wird.
Entscheidend ist außerdem, dass gleichzeitig die Tonnen und Berge von Müll schnell beseitigt werden, damit der Wiederaufbau vorangehen kann. Auch da ist wieder die Solidarität aller Länder wichtig. Es hat mich am Tag nach der Katastrophe besonders beeindruckt, dass aus allen anderen 14 Ländern das Signal kam: Wir machen da mit; wir tragen es mit. – Am schnellsten kam dieses Signal übrigens aus den ostdeutschen Ländern.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Thüringen!)
– Das ist ein ostdeutsches Land; aber es gibt auch noch andere ostdeutsche Länder, die die Zusage gemacht haben, die selbst eine Flut erlitten haben. – Insofern ist es ein großes Signal der Einheit in Deutschland, dass die, die wissen, was Flut bedeutet, jetzt im Westen helfen: also eine Hilfe von Ost nach West – ein wunderschönes Signal.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das, was wir heute beschließen, ist eine gigantische Summe – 30 Milliarden Euro –, die über die Jahre abgezahlt wird. Aber, ich glaube, es ist auch ein Signal gesamtgesellschaftlicher Solidarität und des Zusammenhalts. Deshalb, Frau Weidel: Ich weiß nicht, warum es Ihnen selbst bei einem solchen Thema nicht gelingt, mal sechs Minuten ohne Ressentiments zu sprechen,
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zum Beispiel gegen die Bundeskanzlerin. Es muss doch möglich sein. Sie haben doch den ganzen Tag Zeit dafür, gegen die Bundeskanzlerin, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gegen den Staat als solchen zu wettern. Sie erwecken den Eindruck, als wenn dieses Land gespalten wäre.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir stellen nur dar, was ist, Herr Laschet! – Tino Chrupalla [AfD]: Ist es doch! Es ist gespalten! – Weitere Zurufe von der AfD)
– Er sagt auch noch: Es ist es auch! – Ich lade Sie einmal ein, in die Region zu kommen
(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])
und zu sehen, wie viel Solidarität, wie viel Engagement es da gab. Es stimmt nicht, dass unser Land gespalten ist; es stimmt nicht!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Abg. Kay Gottschalk [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage!)
Herr Ministerpräsident.
Nein, nein. Wir haben es ja gehört. Wer es sechs Minuten nicht schafft, keine Ressentiments zu äußern, schafft das auch in einer Zwischenfrage nicht; nein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Kay Gottschalk [AfD]: Eine Zwischenfrage der Opposition nicht zuzulassen, das ist kein guter Auftakt als Kanzler! Vergessen Sie’s! Sie haben versagt!)
Wir haben das doch erlebt: Leute sind losgefahren, Landwirte, mit Generatoren und Traktoren, Leute aus der ganzen Republik, die nicht danach gefragt haben, ob sie die Spritkosten erstattet bekommen oder nicht, die sich freigenommen haben, Urlaub genommen haben, um da zu helfen. Das ist das, was in unserer Gesellschaft lebendig ist. Es ist nicht Ihre Tonlage,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ihr Versagen!)
sondern das Engagement für die Mitmenschen. Und deshalb ist das eine gute Zeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Das gilt übrigens auch für die Helfer des Technischen Hilfswerks, meistens Leute, die einen Beruf haben, die sich eine Uniform anziehen, die in den Dienst gehen und dafür freigestellt werden,
(Kay Gottschalk [AfD]: Haben Sie mal mit dem BBK gesprochen, warum es nicht gewarnt hat, Herr Laschet? Warum?)
und für Soldatinnen und Soldaten, die in diesen Tagen international gefragt sind, die bei der Coronapandemie geholfen haben. Hunderte und Tausende Soldatinnen und Soldaten waren und sind immer noch da und haben auch bei den großen Aufräumarbeiten, bei dem Freiräumen der Wege mit ihrem Material geholfen. Auch ihnen einen ganz besonderen Dank in diesen Stunden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Jetzt wenige Sätze zu den Lehren aus der Flut:
Erstens. Der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel hat
(Widerspruch bei der AfD)
– es war zu erwarten, dass es da wieder Widerspruch gibt – die Wahrscheinlichkeit von Flutkatastrophen erhöht. Deshalb gibt es eine Vordringlichkeit, an diesem Thema in der nächsten Wahlperiode mit allem Ehrgeiz zu arbeiten,
(Uwe Witt [AfD]: Es gibt einen Unterschied zwischen Wetter und Klima, Herr Laschet!)
vor allem mit dem Ziel, die Wirtschaft und die Arbeitsplätze klimaneutral zu gestalten, sie zu erhalten, aber einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel zu leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Zweite. Ich habe lange mit Gerd Müller gesprochen, der ja jetzt die Leitung der Organisation für industrielle Entwicklung bei den Vereinten Nationen übernehmen soll. In Afrika sind 450 Kohlekraftwerke geplant. Das würde alles auffressen, was wir an Anstrengung unternehmen. Wir müssen unsere Anstrengungen leisten; wir müssen Vorbild sein. Aber wir brauchen auch globale Antworten. Zu glauben, dass das nur hier gelingt, ist falsch. Wir müssen Afrika und anderen Regionen mit unserer Kompetenz, mit einer europäischen Cleantech-Initiative helfen,
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist doch Unsinn!)
ebenfalls dort ihre Aufgabe zu erfüllen. Das ist das Ziel, das wir uns vornehmen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Zu diesem Punkt passt auch das Thema Klimaanpassung. Die Folgen des Klimawandels werden in Zukunft Städte und Dörfer überall in Deutschland erreichen können. Das Phänomen an diesem Hochwasser war, dass es nicht dort auftrat, wo man es erwartet hat. Wenn in Dresden die Elbe steigt, weiß man in Torgau, was das bedeutet. Wenn in Mainz der Rhein steigt, weiß man in Köln, wann das Hochwasser Köln erreicht. Aber hier sind aus kleinsten Bächen, die wenig Wasser führen, 8, 9 Meter hohe Wellen geworden. Insofern wird Klimaresilienz und Widerstandsfähigkeit ein wichtiger Punkt sein.
Wir haben im Mai bereits einen Antrag in den Bundesrat eingebracht. Das Bundesumweltministerium hat gesagt, es prüft. Es ist gut, dass geprüft wird; die Prüfung sollte nur bald mal zu einem Ergebnis geführt werden, damit wir beim Thema Klimaanpassung endlich ebenfalls vorankommen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Drittes Thema: Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Auch hier haben wir, weil die Gefahrensituationen unterschiedlich sind, erlebt, dass unsere Alarmierungen und Warninformationen nicht ausreichen. Wenn es in den Meldungen heißt: „Es gibt Starkregenereignisse im Westen“, empfindet das noch nicht jeder für sich als Aufforderung, nun seine Wohnung zu verlassen. Deshalb muss das zielgenau sein. Deshalb hätten wir längst Cell Broadcasting gebraucht. Es ist gut, dass jetzt im Gesetzentwurf Cell Broadcasting, die Warnung auf das eigene Smartphone, enthalten ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir werden weitere Maßnahmen brauchen, die wir prüfen müssen, und wir werden auf die Erfahrung der Praxis hören. Der langjährige Präsident des THW, Herr Broemme, ist bereit, eine Analyse bis Ende November vorzunehmen – bei uns und möglicherweise auch in Rheinland-Pfalz – und aufzuschreiben, wo wir besser werden können, damit wir schon bei der Bildung der nächsten Bundesregierung ein Dossier haben mit Erfahrungen von einem, der ein echter Praktiker ist, und dann schon wissen, wie man sich in Zukunft besser aufstellen kann.
Der vierte und letzte Punkt – ich will es kurz machen, weil die Zeit zu Ende geht –: das Projekt Wiederaufbau. Wir müssen für den Wiederaufbau unser Planungsrecht auf den Prüfstand stellen. Wenn man jetzt in einem Dorf überlegt, ein Haus vielleicht nicht mehr an dieser Stelle, wo das Wasser nah ist, neu zu bauen, sondern etwas davon entfernt, wenn man Gebietstausch machen will, wenn eine Kommune ein Rathaus neu bauen will, dann geht das mit unserem bisherigen Planungsrecht und mit europaweiten Ausschreibungen nicht. Wir brauchen für die, die jetzt in ihre Wohnung oder ihr Haus zurückmüssen, Verfahren, die schneller sind. Deshalb ist die Frage der Beschleunigung im Planungsrecht eine ganz entscheidende.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darf ich mal fragen, wer seit 16 Jahren regiert?)
Das gilt übrigens auch für den Kampf gegen den Klimawandel.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert hier denn seit 16 Jahren? 16 Jahre Regierung, Innenminister von CDU/CSU!)
– Verehrte Kollegin aus Ostwestfalen,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lippe!)
wenn irgendwer sagt, wir müssen schneller werden, wir müssen eine Instanz wegnehmen, wir müssen bei Stromtrassen schneller bauen – wir haben in Nordrhein-Westfalen inzwischen sogar Klagen gegen Radschnellwege –, wenn jemand sagt, wir müssen beschleunigen, ist Ihre Fraktion immer die, die sagt: Nein, es wird nichts beschleunigt. – Das ist so.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe doch nur gefragt, wer seit 16 Jahren regiert hat!)
Mit dem Tempo, das wir an den Tag legen, werden wir diese Aufgaben nicht lösen.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fällt Ihnen ja früh ein!)
Wenn Sie schon nicht generell für Bürokratieabbau sind, aber vielleicht wenigstens der Meinung sind, dass nicht alle Vorschriften sinnvoll sind,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fällt Ihnen wirklich früh ein!)
dann ist es vielleicht möglich, dass wir zumindest beim Thema „Kampf gegen den Klimawandel“ den Konsens erzielen,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 16 Jahre, und plötzlich kommt die Entfesselung!)
dass bei Bahntrassen, bei Stromtrassen und bei vielen anderen mehr diese Blockadehaltungen durchbrochen werden und wir mehr Tempo machen müssen, damit wir all die Ziele erreichen, die wir uns vornehmen.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Auch wenn er noch so viel Quatsch erzählt: Das reicht nicht!)
Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Gottschalk das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7531869 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 238 |
Tagesordnungspunkt | Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021" |