Malu Dreyer - Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021"
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen Abgeordnete! Ich bin sehr dankbar, liebe SPD-Fraktion, dass ich hier ein paar Worte sprechen darf. Eine Hochwasserkatastrophe dieses Ausmaßes hat Deutschland noch nie erlebt. Ich muss für mich persönlich sagen: Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine solche Zerstörung gesehen. Noch nie gingen solche Regenmengen in so kurzer Zeit nieder, noch nie wurden solch extreme Pegelstände verzeichnet.
Ich will Ihnen sagen: Rheinland-Pfalz kennt die Gefahren von Hochwasser. Wir geben seit Jahren viel, viel Geld für Hochwasserschutz aus und im Übrigen auch für Klimaanpassungsmaßnahmen, seit wir Starkregenereignisse haben: 1,2 Milliarden Euro in den letzten 20 Jahren. Aber diese Flutkatastrophe hat Rheinland-Pfalz tief, bis ins Mark getroffen. Bei uns haben 134 Menschen durch die reißenden Wassermassen ihr Leben verloren, 766 Menschen wurden verletzt, und noch heute vermissen wir 4 Personen. Insgesamt sind rund 65 000 Rheinland-Pfälzer und Rheinland-Pfälzerinnen durch die Flutkatastrophe zu Schaden gekommen, allein im Ahrtal 42 000. Unser ganzes Land trauert mit den Hinterbliebenen, und wir wünschen den Verletzten gute Besserung. Wir stehen tatkräftig denen zur Seite, die ihre Existenz verloren haben und tiefe Wunden an ihren Seelen erlitten haben.
Meine sehr verehrten Herren und Damen, das menschliche Leid ist riesig und die materielle Zerstörung immens. Um Ihnen ein paar Beispiele zu nennen: Von 75 Brücken sind allein im Ahrtal 62 Brücken beschädigt oder zerstört. 40 Schulen, 55 Tageseinrichtungen für Kinder und 5 Krankenhäuser müssen wieder instand gesetzt werden. Bis zu 3 000 Unternehmen sind von der Flutkatastrophe unmittelbar betroffen. Die Ahr ist eines unserer herausragenden Weinanbaugebiete. Von 65 Weinbaubetrieben im Haupterwerb sind nur 3 verschont geblieben. Rebflächen in einer Größenordnung von 32 Fußballfeldern sind völlig zerstört.
Inmitten der ganzen Verwüstung ist es überwältigend, zu erleben – das haben schon mehrere hier angesprochen –, wie viele Menschen vor Ort im Einsatz sind, wie viele ihre ganze Kraft, geeignetes Gerät, aber auch Know-how zur Verfügung gestellt und Millionen gespendet haben. Man kann sagen: Handwerker helfen Handwerkern, Winzer helfen Winzern, Menschen helfen einfach Menschen, und sie kommen von überallher, und es hört auch nicht auf. Das ist schön so. Dafür will auch ich mich wirklich von ganzem Herzen bedanken.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)
Allen Hilfswerken, der Blaulichtfamilie, der Bundeswehr, den Betrieben, den Landwirten, den Lohnunternehmern und natürlich allen ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen spreche ich meinen großen Respekt aus. Sie sind mit ihrem Gerät, mit ihrer Hacke, mit Gummistiefeln gekommen und haben einfach angepackt. Sie haben bei den Leuten angeklopft und haben gefragt: Kann ich hier bitte helfen? Das ist wirklich eine großartige Leistung. Auch hier will ich sagen: In solchen Krisen hat sich immer wieder gezeigt, dass Deutschland am Ende doch ein sehr solidarisches Land ist und die Menschen zusammenstehen, gerade in dieser großen Not.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)
Meine sehr verehrten Herren und Damen Abgeordnete, die Betroffenen fragen die Politik: Werden wir hier je wieder ein sicheres Zuhause haben? Wann wird mein Haus, mein Betrieb wiederaufgebaut sein? Ich verstehe die Ungeduld, und ich verstehe auch die Verzweiflung. Es ist eine Herkulesaufgabe, vor der wir stehen. Meine Landesregierung ist eng mit Fachleuten, mit den Kommunen und den Menschen vor Ort im Gespräch, und gemeinsam wollen wir in den nächsten Wochen entscheiden: Wie sieht in Zukunft Hochwasserschutz aus? Was muss bei der Bebauung beachtet werden? Wie bringen wir die unterschiedlichen Interessen bestmöglich in Einklang? Wir wollen den Betroffenen eine ganz konkrete Hoffnung, einen klaren Fahrplan für die Zukunft ihrer Heimat geben. Der Ministerrat hat nach der Katastrophe umgehend gemeinsam mit dem Bund unbürokratisch Soforthilfen in dreistelliger Millionenhöhe an Privathaushalte, Betriebe, aber auch an Kommunen ausgezahlt. Mit der Aufbauhilfe 2021 geben Bund und Länder den Menschen die Sicherheit, dass sie langfristig unterstützt werden. Denn die Menschen sagen uns immer wieder: Wir haben Angst, dass wir verlassen werden, dass wir keine dauerhafte, langfristige Hilfe erhalten.
Das Aufbauhilfegesetz ist die Grundlage dafür, dass wir eine gute Zukunft für die betroffenen Regionen schaffen können. Die materiellen Schäden sind so immens, dass einzelne Bundesländer die Situation alleine schlicht und ergreifend nicht bewältigen können. Um Ihnen noch mal ein Bild zu geben: Allein das Beseitigen der Müllberge, von Schlamm, von Hausrat, von Schrott kostet in Rheinland-Pfalz weit über eine halbe Milliarde Euro. Aufbauhilfen in Höhe von 30 Milliarden Euro sind eine bisher nie dagewesene Summe für solche Ereignisse. Ich bin mir mit der Bundeskanzlerin und mit dem Bundesfinanzminister darin einig, dass in dieser Situation der investierende Staat, der ermöglichende Staat gefragt ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Gelder sollen den Menschen die Möglichkeit geben, ihre Heimat wiederaufzubauen. Schnelle, passgenaue Hilfen stehen an allererster Stelle. Doch auch beim Hochwasserschutz, bei der Besiedlung und beim Bauen wird Nachhaltigkeit und vor allem seine Bedeutung ein ganz wichtiger Maßstab sein.
Ich weiß, dass die betroffenen Menschen sich wünschen, sofort Geld aus dem Aufbaufonds zu bekommen, um ihr Haus wiederaufzubauen, ihre verwüstete Wohnung zu sanieren und ihren Betrieb wiederaufzubauen. Ich versichere Ihnen: Wir arbeiten rund um die Uhr daran. Aber bei 30 Milliarden Euro Steuergeld – auch das will ich sagen – müssen wir sicherstellen, dass das Geld dort ankommt, wo es gebraucht wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz danke ich Ihnen, sehr verehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, dass Sie mit dieser heutigen Sondersitzung so schnell und so zügig die Gesetzgebung auf den Weg gebracht haben. Ich danke der Bundesregierung für ihre Unterstützung und für die wirklich sehr gute Zusammenarbeit in diesen Wochen. Der Vizekanzler war sehr schnell in unserer Region, die Bundeskanzlerin war da, und wir waren im permanenten Austausch und Kontakt, damit wir diesen großen Fonds auf den Weg bringen können.
Ich will natürlich auch meinen Ministerpräsidentenkollegen und meiner Ministerpräsidentinkollegin ganz herzlich danken; denn Sie müssen realisieren: Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sich die Bundesländer, die gar nicht betroffen sind, trotzdem solidarisch an einem Aufbaufonds dieses Volumens beteiligen. Herr Laschet hat es schon gesagt: Das hat für sie niemals infrage gestanden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die klare Solidarität und tatkräftige Unterstützung, die Rheinland-Pfalz aus dem Kreis der Länder und des Bundes erfährt, berührt uns sehr. Der kooperative und solidarische Föderalismus zeigt sich auch heute noch einmal als wichtiges Rückgrat der Bundesrepublik Deutschland.
Ich will zum Abschluss noch ganz kurz drei Dinge sagen: Die Aufgaben der Zukunft sind zum Teil klar beschrieben. Wir werden selbstverständlich die Abläufe der Flutnacht analysieren. Wir werden und müssen auch den Hochwasser- und Katastrophenschutz weiterentwickeln. Und schließlich ist bei den meisten hier im Haus unbestritten – von der Wissenschaft und vielen Kollegen hier im Bundestag wurde es gesagt –, dass der Klimawandel die Entstehung von Extremwetterereignissen begünstigt. Wir müssen noch viel mehr Anstrengungen unternehmen, um ihn zu begrenzen. Das geht nur gemeinsam, als Verantwortungsgemeinschaft aller Bundesländer und des Bundes, aber natürlich auch darüber hinaus. Von den Fluten am 14. und 15. Juli 2021 waren nicht nur Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen betroffen, sondern auch unsere europäischen Freunde. In Belgien waren 36 Todesopfer zu beklagen. In Luxemburg wurde die historische Altstadt getroffen. In den Niederlanden wurde für die Region Limburg der Notstand ausgerufen. Der Klimaschutz ist eine Menschheitsaufgabe, die keine Grenzen und keine Nationen kennt. Und vor allem: Der Klimaschutz duldet keinen Aufschub.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich. Ich freue mich darauf, dass wir auch dieses Thema miteinander gestalten können. Die Gesetzgebung, die der Bundestag heute auf den Weg bringt, ist das starke Signal an alle Betroffenen, dass wir an ihrer Seite bleiben.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Das Wort hat der Abgeordnete Peter Boehringer für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7531877 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 238 |
Tagesordnungspunkt | Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021" |