Alexander DobrindtCDU/CSU - Epidemische Lage von nationaler Tragweite
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute die Zahl von 100 Millionen verabreichten Impfdosen überschritten. 100 Millionen Impfungen wurden in sechs Monaten in Deutschland durchgeführt. 65 Prozent der Menschen in Deutschland sind damit mindestens einmal geimpft. Wir haben ein Impfangebot für jeden Menschen in Deutschland, der das nutzen will. Wer hätte vor wenigen Monaten gedacht, dass wir an dieser Stelle sagen können, dass es uns gelingt, in diesem Sommer für jeden Menschen ein Impfangebot zur Verfügung zu stellen? Viele hatten Zweifel. – Es war möglich, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben noch vor Monaten darüber diskutiert, ob es in dieser Pandemie überhaupt eine Chance auf eine schnelle Impfung gibt. Ich kann mich an Gespräche erinnern mit herausragenden Managern von großen Pharmakonzernen, die Zweifel daran hatten, ob das in so einer kurzen Zeit überhaupt möglich ist und ob der Impfstoff in der gewünschten Qualität und Quantität überhaupt zur Verfügung stehen kann.
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Ich empfinde es als einen großen Segen, dass es gelungen ist, mit klugen Forscherinnen und Forschern gerade in Deutschland dafür zu sorgen, dass Impfstoffe in ausreichender Art und Weise zur Verfügung stehen und dass neue Technologien zur Anwendung kommen. Ich verweise auf die mRNA-Technologie, die hier bei uns entwickelt worden ist. Ich bin froh und dankbar, dass diejenigen, die für das Impfen werben, eine höhere Akzeptanz und Zustimmung in der Bevölkerung haben als diejenigen, die dagegen polemisieren und damit die Bevölkerung in Gefahr bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir wollen jetzt wieder mehr Normalität erreichen. Es war immer das Ziel, durch das Impfen schneller zurück in die Normalität zu kommen. Und jetzt gilt es eben, dass wir die Balance herstellen zwischen Sicherheit auf der einen Seite und Eigenverantwortung auf der anderen Seite. Wir haben nach wie vor ein dynamisches Infektionsgeschehen; die Infektionszahlen steigen, aber wir impfen Gott sei Dank auch weiterhin.
Es gilt, dass wir alles nutzen, um uns vor diesem Infektionsgeschehen auch weiterhin zu schützen. Deswegen brauchen wir beides: Wir brauchen die Verlängerung der epidemischen Lage, um das Risiko zu beherrschen, das mit dem Infektionsgeschehen verbunden ist, und wir brauchen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, um deutlich zu machen, dass die Inzidenz als Maßstab zur Beurteilung des Infektionsgeschehens ihre Bedeutung verloren hat. Wir wollen Normalität erreichen, und dazu gehört mehr Eigenverantwortung, dazu gehören Impfen und Testen. Das ist der Weg in die Normalität, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir wollen die Inzidenz als Maßstab ersetzen, und wir wollen einen neuen Maßstab einführen: Hospitalisierung, das heißt die Intensivbettenauslastung. Wir wollen die Krankenhauseinweisung zum entscheidenden Kriterium machen. Wir wollen eine Krankenhausampel erstellen, die anzeigt, wie stark das Gesundheitswesen belastet ist. Das ist der richtige Weg in die Normalität. Wir wollen das gesellschaftliche Leben wieder umfänglich ermöglichen. Wir wollen, dass die Schulen offen bleiben. Sie müssen offen bleiben, aber sie müssen auch sicher sein. Und deswegen muss neben dem Impfen auch das Testen in den Schulen weiterhin gewährleistet werden.
Jetzt geht es darum, dafür zu sorgen, dass wir die Normalität mit Vorsicht und Umsicht erreichen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass diese Balance zwischen Normalität und Vorsicht und Umsicht nicht immer von allen geteilt wird. Wir haben eine Debatte in der Öffentlichkeit, bei der man manchmal nur mit Befremden zur Kenntnis nehmen kann, wie nach wie vor Risiken und Gefahren ignoriert, negiert und geleugnet werden.
(Martin Reichardt [AfD]: Ihr Impfrisiko zum Beispiel!)
– Ich habe gestern wieder eine Veranstaltung gehabt, und auch da musste ich wieder damit zurechtkommen, dass – wie immer, wenn man in solche Veranstaltungen geht – jemand dabei ist, der von „Diktatur“ redet oder der „Mörder“ ruft und alles, was man in diesem Zusammenhang so kennt.
(Stephan Brandner [AfD]: Hat doch gar keiner gemacht!)
Dann erhält man auch Anrufe, und man bekommt zurzeit viele E-Mails.
(Zuruf von der AfD: Bekommen wir auch! – Weitere Zurufe von der AfD)
– Ich höre ja Ihre Zurufe.
(Martin Reichardt [AfD]: Wie schön!)
Und ich stelle hier Deckungsgleichheit fest. Ich frage mich manchmal: Sind Sie eigentlich der politische Arm der Querdenker, oder sind die Querdenker die Straßenabteilung der AfD?
Ich halte es, ehrlich gesagt, für unmöglich, was Sie hier an dieser Stelle immer wieder betreiben. Sie leugnen Corona. Sie leugnen, dass man mit Impfen dagegen etwas unternehmen kann.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Das stimmt doch gar nicht!)
Und ich sage Ihnen: Einer der größten Gegner des Impfens in den USA, Dick Farrel, der so geredet hat, wie Sie das immer tun, ist in den vergangenen Tagen an Corona gestorben. Ich bedaure das ausdrücklich.
(Zurufe von der AfD)
Das zeigt aber noch einmal die Gefährlichkeit dieser Pandemie.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Leugnen, das ist das Risiko, was Sie den Menschen auferlegen wollen.
Herr Kollege Dobrindt, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?
Ja.
Bitte, Frau Kollegin.
Lieber Kollege Dobrindt, Sie haben in Ihrer Rede sehr viel von Normalität gesprochen und davon, dass man auf der anderen Seite auch nicht unvorsichtig sein darf. Gleichzeitig werben Sie dafür, die Inzidenz als Kriterium vollständig aufzugeben und nur noch auf die Hospitalisierungsrate, also die Zahl der Menschen, die ins Krankenhaus eingewiesen werden, zu setzen.
Nun wissen wir alle, dass die Menschen nicht sofort nach einer Infektion, sondern erst nach geraumer Zeit ins Krankenhaus eingewiesen werden, sodass man das – und da wird mir wahrscheinlich auch der Herr Lauterbach von Ihrem Koalitionspartner beipflichten – wohl nur schlecht als Frühindikator dafür werten kann, wie sich die Infektion in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt.
Welchen Indikator planen Sie denn heranzuziehen, um frühzeitig neue Entwicklungen und Gefahren erkennen und identifizieren zu können, wenn Sie jetzt die Inzidenz vollständig aufgeben?
Ich glaube, dass Sie da etwas nicht richtig verstanden haben. Das Robert-Koch-Institut hat auch heute schon Messinstrumente, bei denen mit der Hospitalisierung, das heißt mit der Belastung des Krankenhauswesens, sehr klar Rückschlüsse auf die Infektionslage gezogen werden können. Die Belastung des Krankenhauswesens ist ja gerade ein Ausdruck dafür, dass das Inzidenz- und Infektionsgeschehen entsprechend berücksichtigt wird. Deswegen bleiben wir dabei: Wir gehen diesen neuen Schritt, der mehr Freiheiten ermöglicht, der zusammen mit dem Impfgeschehen einen aussagekräftigen Wert bildet und der darüber eine Aussage trifft, ob man in Deutschland eine akute Gefährdung in einer Region hat oder nicht. Es geht schlichtweg darum, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird, und das stellen wir mit dieser Regelung fest.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Kollege Dobrindt, auch der Kollege Dr. Schinnenburg aus der FDP-Fraktion würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Einverstanden?
Ja.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Kollege, was muss noch passieren, damit Sie dafür sind, die epidemische Lage von nationaler Tragweite zu beenden? Sie haben zu Recht gesagt, dass die Impfungen sehr erfolgreich waren. Wir alle haben erlebt, dass die Inzidenzen viel niedriger sind und dass das Gesundheitswesen nicht im Entferntesten gefährdet ist. Also meine Frage: Welche Parameter müssen eintreten, damit Sie endlich die epidemische Lage von nationaler Tragweite aufheben, die drastische Folgen für die Freiheit der Menschen, für unsere Wirtschaft und für Kulturschaffende hat?
Lieber Herr Kollege, ich hatte eigentlich die Hoffnung, dass Sie im Laufe der letzten Wochen und Monate dazugelernt hätten. Wir stellen fest, dass die Infektionszahlen weiter steigen. Wir können sie heute anders bewerten, weil wir einen Impffortschritt in erheblichem Maße haben. Aber das Infektionsgeschehen ist deswegen nicht weg. Sie wollten schon die zweite Infektionswelle leugnen und die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite per Antrag hier im Parlament aussetzen. Es wäre ein Fehler, auf diese Feststellung zu verzichten. Die Sicherheit geht an dieser Stelle weiterhin vor.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen heute diesen Weg in Richtung Normalität. Wir gehen ihn ausschließlich mit Vorsicht und Umsicht, und wir bringen an dieser Stelle den Gesundheitsschutz und die Lockerungen ohne Leichtsinn in die bestmögliche Balance. Das ist unser Weg in die Freiheit.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7531890 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 238 |
Tagesordnungspunkt | Epidemische Lage von nationaler Tragweite |