Claudia MollSPD - Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021"
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht einmal acht Wochen ist es her, dass sich für viele Menschen alles änderte. Zehntausende verloren ihr Haus, ihr Geschäft, ihre Existenzgrundlage. 183 Menschen verloren ihr Leben. Nichts wird für ihre Angehörigen jemals wieder so sein wie zuvor.
Auch in meiner Heimat, der Städteregion Aachen, wütete das Hochwasser. Ich habe die Bilder der Zerstörung noch vor Augen: Bilder aus Eschweiler, Stolberg und Roetgen, Bilder der zerstörten Dörfer und Städte, wie kleine Bäche zu reißenden Flüssen wurden, wie das Wasser ganze Straßen überflutete, Geschäfte und Wohngebäude komplett verwüstet wurden. Ich werde die Bilder von meinem zerstörten Krankenhaus und die Verzweiflung in den Gesichtern der Menschen nicht vergessen.
Ein älteres Ehepaar erzählte mir, dass ihr Haus, in dem sie all die Jahre lebten, komplett zerstört ist. Sie haben sich auf ihren Lebensabend gefreut und müssen sich nun eine neue Bleibe suchen – Menschen in einem Alter, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Nichts standen. Ich werde auch nie mehr diesen Gestank vergessen, den Gestank von Schlamm, Öl, Benzin und Fäkalien.
Doch statt ohnmächtig zu beobachten, wie das Hochwasser unsere Heimat zerstörte, zogen die Menschen die Gummistiefel an, krempelten die Ärmel hoch, leerten Keller und Gebäude und befreiten diese von Schlamm und Geröll. Ich war begeistert, als ich gesehen habe, wie Landwirte und Unternehmer schweres Gerät bereitgestellt haben, um all den Schutt wegzuräumen – ohne Geld, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.
Vor Ort und aus ganz Deutschland ist uns eine enorme Solidarität entgegengekommen. Menschen fuhren Hunderte Kilometer, bewaffnet mit Schaufeln, Schneeschiebern und Bautrocknern, um zu helfen. Sie erzählten mir, wie gerührt sie waren, dass die Menschen, die so schwer getroffen waren, sich auch noch um sie kümmerten und selbst hilfsbereit zu ihren Helfern waren. Der Zusammenhalt war und ist unglaublich. Das ist gelebte Nächstenliebe und verdient großen Respekt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Markus Herbrand [FDP])
Ob Brötchen schmieren, Kaffee ausgeben, Spenden sortieren oder Wasser abfüllen: Bis heute wird Unglaubliches geleistet, um die Menschen zu versorgen und zumindest ein Stück Normalität zurückzubringen.
Die Menschen in den betroffenen Gebieten lassen sich nicht unterkriegen. Sie haben jetzt vor allem eines redlich verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen: Hoffnung,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
die Hoffnung darauf, dass ihre Dörfer und Städte wieder ihre Heimat werden, dass es ein bisschen wie früher, vor der Katastrophe, wird. Lassen Sie uns heute im Deutschen Bundestag ein Stückchen Hoffnung geben.
Einer, der Hoffnung gibt, ist Olaf Scholz.
(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der FDP)
Kollegin Moll, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Von wem?
Aus der AfD-Fraktion.
Ach Quatsch, nein.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin unserem Finanzminister dankbar – dankbar dafür, dass er früh in die Hochwassergebiete gekommen ist, in meine Heimat. Er hat die richtigen Worte gefunden. Er sagte: Das Leid, die Verluste, die schrecklichen Erinnerungen können wir nicht ungeschehen machen. Aber was wir mit Geld ersetzen können, das werden wir mit Geld ersetzen. – Das ist das Versprechen, um das es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin daher froh, dass wir heute über 30 Milliarden Euro abstimmen werden: 30 Milliarden Euro, weil wir es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sehen und eben nicht Regionen und Länder alleinlassen; 30 Milliarden Euro, mit denen wir unsere Städte, unsere Gemeinden, unsere Heimat wieder aufbauen werden.
Aber nicht nur Häuser, Straßen und Brücken sind zerstört; auch Arbeitsplätze sind gefährdet. Das wird oft vergessen. Olaf Scholz hat deshalb zu Recht Betriebsräten, Gewerkschaftern und Geschäftsführern regionaler Firmen zugesichert, dass wir es nicht zulassen werden, dass durch das Hochwasser Arbeitsplätze verloren gehen, und sie auf unsere Hilfe zählen können.
(Beifall bei der SPD)
Die Katastrophe ist für uns noch nicht vorbei. Auch wenn einige Keller inzwischen trockengelegt sind und das Geröll teilweise beiseitegeräumt ist, stehen wir vor zerstörten Ladenzeilen, Wohnhäusern, Straßen und Brücken. Machen wir uns nichts vor: Der Wiederaufbau wird lange dauern und Kraft, Nerven, vor allem aber Geld kosten. Wichtig ist, dass das Geld über die Soforthilfe hinaus schnell und unkompliziert kommen muss. Bund und Länder müssen sich auf Hilfen mit möglichst wenig Bürokratie und kurzen Verfahren einigen. Wir dürfen die Hoffnung, die wir heute geben, nicht durch Vorschriften und Auflagen zerstören.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns Hoffnung geben – Hoffnung geben für die Menschen, die vor ihren zerstörten Häusern stehen, die nicht wissen, wann ihre Kinder wieder in die Dorfschule gehen können, die nicht wissen, ob sie jemals wieder in ihr Haus können, ihren Laden eröffnen können, und die nicht wissen, wann ihr normales Leben zurückkehrt.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Martin Sichert das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7531996 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 239 |
Tagesordnungspunkt | Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021" |