Thorsten FreiCDU/CSU - Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021"
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Nacht zum 15. Juli gab es ein unglaubliches und lange nicht mehr dagewesenes Starkregenereignis, das ganze Teile des Ahrtals und der Eifel zerstört hat. Viele von Ihnen werden die Bilder noch im Kopf haben: die verzweifelten Gesichter, die Schäden, die an Kriegsgebiete erinnert haben. Wenn wir heute ein großes Aufbauhilfegesetz im Volumen von 30 Milliarden Euro beschließen, dann ist das nicht nur eine gewaltige wirtschaftliche Hilfestellung; es ist vor allen Dingen ein Zeichen der Solidarität mit dieser Landschaft, mit dieser Region und mit den Menschen, die dort leben und so schlimm zu leiden hatten und haben.
Dass wir uns 30 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe leisten können, dass wir es uns leisten konnten, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie mit 300 Milliarden Euro auszugleichen,
(Peter Boehringer [AfD]: Das sind 300 Milliarden auf Pump und nichts anderes!)
das ist die Leistung einer Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung in den vergangenen zehn Jahren. Liebe Frau Lötzsch, Sie haben gesagt, Sie wollen vor der Wahl wissen, wie die Rechnung bezahlt wird. Ich kann es Ihnen sagen: Zwischen 2014 und 2020 haben wir jedes Jahr ausgeglichene Haushalte gehabt. Diese Solidität in der Finanzpolitik ist die Grundlage dafür, dass wir solche Herausforderungen bewältigen können. Die Entfesselung der Wirtschaft wird es uns auch in Zukunft ermöglichen, diese Kosten zu bezahlen und das wieder auszugleichen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Boehringer [AfD]: Alles auf Pump!)
Wir setzen auf Entfesselung und nicht umgekehrt auf Knebelung der Menschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der Bereitstellung von Geld haben wir auch weitere Maßnahmen ergriffen, beispielsweise die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, worüber ich froh bin. Die Bundesregierung und das Bundesjustizministerium hatten vorgeschlagen, diese bis Ende Oktober auszusetzen – ziemlich weltfremd, um ehrlich zu sein. Denn in der jetzigen Situation geht es ja nicht darum, dass man irgendwelche Rechnungsbelege aus dem Schlamm rekonstruiert; in der jetzigen Situation geht es ums nackte Überleben von Betrieben und um den Schutz von Arbeitsplätzen. Deswegen war es der Vorschlag von Armin Laschet, diese Regelung bis Ende Januar des nächsten Jahres mit Verlängerungsoption zu machen, damit man die Prioritäten richtig setzen kann, damit man das eine nach dem anderen tun kann,
(Beifall bei der CDU/CSU)
damit man den Menschen die Luft zum Atmen gibt. Das war der Vorschlag von Armin Laschet. Wir setzen ihn heute um.
Ich fand es sehr bemerkenswert, was hier gesagt worden ist zu der zweiten großen Krise und Herausforderung, die wir parallel zu bewältigen haben: den Weg raus aus der Covid-19-Pandemie. Deswegen, lieber Herr Kubicki, habe ich auch nicht so ganz verstanden, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben.
Wir setzen heute etwas gesetzlich um, was wir in der vergangenen Sitzung postuliert haben. Das allein ist kein Eingriff in Grundrechte. Das, was wir heute machen mit der Änderung des § 28a Infektionsschutzgesetz, ist der Weg aus der Pandemie heraus. Wir schaffen mehr Freiheit, mehr Möglichkeiten. Und das machen wir verantwortungsvoll, weil wir auf die Situation reagieren und weil wir sagen: Die Inzidenz der Neuinfektionen sagt zwar etwas über die Dynamik aus – und die ist gewaltig: am 28. Juni hatten wir 431 Neuinfektionen, heute haben wir 14 000 täglich; das ist der Unterschied – –
Kollege Frei, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Dehm?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Frei, ich habe den Kollegen Kubicki verstanden und möchte Sie fragen: Warum gibt es keine kostenlosen Antikörpertests? Mit Antikörpertests, wenn sie kostenlos ausgegeben werden, haben Sie zwar nicht die Kontrolle, woher die Antikörper kommen – unbemerkt Genesene, vielleicht auch Sputnik V oder andere Impfstoffe –, aber Sie können damit Antikörper nachweisen, und Antikörper in einer gewissen Menge sind ausreichend, den Krankheitsausbruch einer neuen Infektion erheblich zu beeinflussen.
Letzte Frage: Sie haben die Finanzpolitik des Bundes so gepriesen. Der Deutsche Städtetag, die Gemeinden ächzen auf dem letzten Loch. Es sind die eingesparten Warnsysteme, wodurch die Feuerwehren bei der Überschwemmung in Bedrängnis waren. Wäre es angesichts einer solchen Überschwemmungskatastrophe nicht an der Zeit, das Loblied über die Vergangenheit etwas kritischer zu sehen, um in Zukunft mehr in die Warnsysteme zu setzen?
Lieber Herr Kollege Dehm, ich möchte Ihre zwei Fragen gerne beantworten. Zum Ersten: Wir haben genügend Möglichkeiten zum Schutz und zur Immunisierung. Jeder hat die Möglichkeit und die Gelegenheit, sich impfen zu lassen. Wer das nicht möchte, hat die Möglichkeit, sich testen zu lassen, um dann am gesellschaftlichen Leben auch mit anderen, auch mit denen, die er nicht kennt, entsprechend teilhaben zu können.
(Enrico Komning [AfD]: Und die Gesunden? – Beatrix von Storch [AfD]: Schwachsinn!)
Die zweite Frage, die Sie gestellt haben, möchte ich Ihnen auch gerne beantworten. Wir haben im letzten Jahrzehnt ein Jahrzehnt der Rekordsteuereinnahmen gehabt: jedes Jahr höhere Steuereinnahmen als im Jahr zuvor. Das galt nicht nur für den Bund, das galt auch für die Länder, und es galt auch für die Kommunen. Die Kommunen hatten Investitionshaushalte wie seit Langem nicht mehr.
Deswegen ist es an jeder politischen Ebene, ihre Aufgaben entsprechend zu bewältigen. Im Bereich des Katastrophenschutzes ist die Zuständigkeit nach unserer Verfassung den Ländern und den Kommunen zugeordnet. Viele kriegen das ja auch ganz hervorragend hin, und der Bund unterstützt es. Deswegen haben wir beispielsweise Warn-Apps. Deswegen haben wir jetzt beispielsweise auch in der analogen Alarmierung ein 88-Millionen-Euro-Programm aufgelegt, um Sirenen zu beschaffen. Wir hatten mal 80 000 funktionstüchtige Sirenen in Deutschland; heute sind es 15 000. Es war nicht der Bund, der eine solche Entwicklung herbeigeführt hat, sondern es waren die Kommunen, die diese Sirenen abgebaut haben. Wir unterstützen sie jetzt, dass sie sie wieder ertüchtigen und aufbauen können. Wir investieren in das Cell Broadcast – meine Kollegin Schön hat das erwähnt –, um sozusagen den Teppich an Warnsystemen dichter zu weben und damit den Schutz der Bevölkerung weiter zu verbessern. Das ändert aber nichts daran, dass es eine eigene originäre Zuständigkeit des Bundes in der Katastrophenhilfe nicht gibt. Das ist die verfassungsrechtliche Lage. Das sollte man auch zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Kollege Frei, ich halte die Uhr noch immer an. Ich habe noch zwei Meldungen, bin aber gehalten, dafür zu sorgen, dass sich Ihr Redebeitrag nicht verdoppelt oder verdreifacht. Ich habe eine Meldung des Kollegen Kubicki zu einer Frage oder Bemerkung, und ich habe eine Meldung des Abgeordneten Kleinwächter. Lassen Sie diese noch zu? Schaffen Sie es, wenn beide das hintereinanderweg gemacht haben, sie gemeinsam zu beantworten?
Das schaffe ich.
Gut. – Dann, bitte.
Herr Kollege Frei, dass Sie mich nicht verstanden haben, habe ich an Ihren Ausführungen festgestellt. Deshalb versuche ich, noch mal zu erklären, worum es mir geht.
Mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes im März letzten Jahres hat der Gesetzgeber die Idee verfolgt, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Jetzt steht da: eine erhebliche Belastung des Gesundheitssystems. Die Idee war und ist immer noch: Wenn alle vulnerablen Gruppen und die Älteren, zu denen ich auch gehöre, geimpft sind – jeweils bei einer Quote von ungefähr 85 Prozent –, dann besteht keine Gefahr mehr, dass das Gesundheitssystem überlastet würde, weil die jüngeren Jahrgänge, selbst wenn sie infiziert sind, nur einen schwachen Verlauf haben, wenn sie überhaupt Symptome zeigen – je jünger, desto weniger intensiv. – Das ist die Idee der Dänen, die vor acht Wochen genau dem gefolgt sind. Sie haben erklärt: Wir haben alle über 50‑Jährigen, soweit sie wollten, geimpft; deshalb können wir alle Maßnahmen aufheben. – Zum 10. September heben sie alle Maßnahmen auf, weil klar ist: Das Gesundheitssystem kann nicht überlastet werden.
Jetzt steht die spannende Frage im Raum: Warum machen wir das nicht in gleicher Weise? Was ist die Sorge, die Sie haben? Das müssten Sie der deutschen Bevölkerung vielleicht erklären. Wann ist denn der Punkt erreicht, bei dem Sie sagen: „Wir hören mit allen Maßnahmen auf.“? Wenn alle Null- bis Zwölfjährigen geimpft sind? Oder wie soll ich mir das vorstellen?
(Beifall bei der FDP)
Der Abgeordnete Kleinwächter hat noch das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege Frei, ich möchte noch einmal an die Frage des Herrn Dr. Dehm anschließen, die Sie meiner Einschätzung nach nicht wirklich beantwortet haben, nämlich nach den Antikörpertests.
Was ist das für eine Strategie, die Sie hier fahren? Sie misstrauen grundsätzlich gesunden Menschen, die sich keine Impfung gegeben haben, und wollen gleichzeitig Privilegien für diejenigen ausstellen, die geimpft oder genesen sind. Gleichzeitig aber negieren Sie einen medizinischen Indikator, der uns eine relativ verlässliche Aussage darüber gibt, ob sich jemand noch mal reinfizieren kann und ob in diesem Fall eine starke Infektiosität, ein besorgniserregender Krankheitsverlauf auftreten kann.
Ein solcher medizinischer Hinweis ist in der Tat das Vorliegen von neutralisierenden Antikörpertests. Das kann im Labor durchgeführt werden. Weshalb negieren Sie die Existenz dieser Tests und binden sie überhaupt nicht in die entsprechende Coronastrategie der Bundesregierung ein? Warum lassen Sie Menschen, die beweisen können, dass sie Antikörper haben, dass sie keine Gefahr für die Gesundheit sind, komplett abblitzen und stellen sie im Prinzip in eine diskriminierte Position zusammen mit all denen, die ohnehin gesund sind und sich jetzt mit Tests qualifizieren müssen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen? Warum keine kostenlosen Tests? Warum überhaupt Tests zur Teilnahme an der Gesellschaft? Das ist diskriminierend, und es ist vor allem medizinisch nicht angezeigt.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf von der AfD: Und verfassungswidrig!)
Sie haben das Wort zur Antwort.
Geschätzter Herr Kollege Kubicki, bei allem Respekt, Sie haben mir eine gesundheitliche Frage gestellt und haben eine eigene Einschätzung gegeben. Ich würde Ihnen in gesundheitspolitischer Hinsicht höchstens ein bisschen mehr vertrauen als dem Bundesaußenminister, aber ich würde mich nicht darauf verlassen. Deswegen will ich Ihnen ganz klar sagen: Natürlich haben wir Menschen in unserer Gesellschaft, die sich nicht impfen lassen können. Dazu gehören beispielsweise Schwangere, dazu gehören bestimmte Krankheitsindikationen, und dazu gehören auch 9 Millionen Kinder unter zwölf Jahren, für die ich diese pauschale Aussage, dass sie in dieser Situation ungefährdet sind und eine Durchseuchung völlig unproblematisch wäre, unverantwortlich finde. Deswegen schließe ich mich dem ausdrücklich nicht an.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr Kleinwächter, ich kann nur noch mal das Gleiche wiederholen: Es gibt eine umfassende Schutzstrategie, es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie man das machen kann und wie man darlegen kann, dass man nicht infektiös ist. Das Ganze ist immer auch eine Frage von Ressourcen, eine Frage von Geld. Wir geben allein für Testungen Milliardenbeträge in diesem Jahr aus.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja, das ist Wahnsinn!)
Deswegen, glaube ich, ist es sinnvoll, sich hier auch entsprechend zu konzentrieren.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Schaffen Sie die Pflicht ab!)
Damit wäre ich am Ende der Fragen. – Lassen Sie mich an dieser Stelle einen letzten Punkt anführen: Wir haben in diesem Gesetz auch deutlich gemacht, dass es ein Fragerecht des Arbeitgebers geben muss, beispielsweise in Seniorenheimen, in Kitas, in Schulen. Dass wir es nicht geschafft haben, das auch auf andere Arbeitgeber zu übertragen, finde ich sehr, sehr bedauerlich. Ich will nur an einem Beispiel demonstrieren, was es bedeutet: Gehen Sie als Gast in ein Restaurant, dann müssen Sie geimpft sein, dann müssen Sie getestet sein. Aber der gleiche Wirt darf seinen Koch und seinen Kellner nicht fragen, ob er geimpft oder getestet ist. Das ist doch an Absurdität überhaupt nicht zu überbieten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deswegen finde ich es schlimm, dass wir das allein deshalb nicht hingekriegt haben, weil die Gewerkschaften dagegen waren. Mit Klientelpolitik sollten wir Schluss machen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7531999 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 239 |
Tagesordnungspunkt | Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021" |