Ralph BrinkhausCDU/CSU - Regierungserklärung durch den Bundeskanzler
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Vorbereitung auf den heutigen Tag habe ich mir mal die Oppositionsreden der letzten 70 Jahre durchgelesen,
(Christian Dürr [FDP]: „Der letzten 70 Jahre“!)
von bemerkenswerten Persönlichkeiten: Kurt Schumacher, Fritz Erler, Erich Ollenhauer. Da waren Leute dabei wie Rainer Barzel, wie Helmut Kohl, wie Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und viele, viele andere. Das waren teilweise brillante Reden, es waren begeisternde Reden, die dort gehalten worden sind, Reden mit viel Inhalt; aber es waren Reden in der Opposition, die immer auch durchzogen waren von zwei Elementen: Bitterkeit und Enttäuschung und Empörung darüber, dass man nicht selbst in der Regierung ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte deswegen hier und heute ganz anders anfangen. Es ist so: Wir haben eine Bundestagswahl gehabt. Olaf Scholz ist mit der Mehrheit der frei gewählten Abgeordneten zum deutschen Bundeskanzler gewählt worden. Das ist Demokratie. Das haben Sie sich verdient. Und deswegen: Herr Bundeskanzler, herzlichen Glückwunsch, alles Gute und Gottes Segen für Ihre Aufgabe!
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir wollen eine gute Bundesregierung, weil eine gute Bundesregierung gut für das Land ist. Und das allein ist der Maßstab für Regierungspolitik, aber auch für Oppositionspolitik: Was ist gut fürs Land? Ich habe es Ihnen auch schon persönlich gesagt: Großer Respekt vor dem Weg, den Sie bis dahin zurückgelegt haben, der von Höhen und Tiefen geprägt war.
Herr Habeck, großer Respekt auch vor den Grünen, die sich aus 16 Jahren Opposition herausgearbeitet haben.
Herr Lindner, auch Ihnen großer Respekt. Ich habe Ihr Buch aus der APO-Zeit noch mal durchgeblättert. Sie hatten dunkle Tage gehabt. Sie sitzen jetzt hier, und darauf können Sie zu Recht stolz sein. Das respektieren wir.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, Respekt ist aber keine Einbahnstraße. Eine Demokratie braucht eine starke Opposition auf Augenhöhe. Ob Sie das begriffen haben, können Sie in den nächsten Tagen zeigen. Sie können das zeigen im Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien, die nicht Ihr Parteibuch haben. Und Sie können es auch dadurch zeigen, dass Sie die 70 Jahre alte Sitzordnung in diesem Parlament respektieren und nicht mit Ihrer Mehrheit umwerfen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)
Ich habe mitbekommen, meine Damen und Herren, dass Sie das morgen mit einem Antrag ohne Debatte hier durch den Deutschen Bundestag peitschen wollen. Wie klein ist das? Wie klein ist das, meine Damen und Herren?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie werden eins respektieren müssen: Sie werden respektieren müssen, dass wir in dieser Opposition auch zuspitzen; denn das ist unsere Aufgabe. Wenn ich mit dem Zuspitzen gleich anfangen kann, meine Damen und Herren: Ich erwarte von einem Bundeskanzler in der ersten Regierungserklärung nicht, dass er kleinteilig den Koalitionsvertrag referiert,
(Beifall bei der CDU/CSU)
sondern ich erwarte, dass er die großen Linien zeigt.
Bitte, Herr Scholz, noch eins kann man von Ihnen erwarten: Sie sprechen viel über Fortschritt und Zukunft. Fortschritt und Zukunft braucht Begeisterung. Diese Begeisterung habe ich in den letzten 90 Minuten nicht gesehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Meine Damen und Herren, Opposition bedeutet auch, dass wir uns natürlich die Freiheit nehmen, da, wo es notwendig und nötig ist, Nein zu sagen, wie wir das auch bei den ersten Versuchen des Infektionsschutzgesetzes gemacht haben. Aber Opposition bedeutet auch, dass wir uns die Freiheit nehmen, da, wo es möglich ist, Ja zu sagen, weil wir unsere Verantwortung in diesem Land sehen. Wir wissen auch, dass nicht jeder Entwurf perfekt sein kann; da sind wir Profi genug. Deswegen haben wir letzte Woche auch Ja zu einem Infektionsschutzgesetz gesagt, das wir alleine besser gemacht hätten.
(Zurufe von der SPD: Ah!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eins gehört auch zu Regierung und Opposition dazu: Zu Regierung und Opposition gehört, dass Sie sich Ihre Mehrheiten alleine besorgen müssen,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
dass wir erwarten, dass Sie Position beziehen, auch zu Fragen wie beispielsweise der Impfpflicht, und das nicht an das Parlament delegieren, weil Sie sich selber in Ihrer Regierung nicht einig sind.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!)
Um mal aus einer Rede einen Gedanken von Kurt Schumacher aufzugreifen – das war der erste SPD-Fraktionsvorsitzende –: Es ist nicht Aufgabe der Oppositionspolitik, der Regierung zu gefallen. – Ein zweiter Gedanke: Es ist auch nicht das Recht und die Aufgabe der Regierung, Oppositionspolitik zu bewerten, zu bewerten, was konstruktiv ist und was nicht konstruktiv ist. Sie können nicht gleichzeitig Regierung, Partei und Richter sein, und das werden wir uns hier auch nicht bieten lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Aber um eine andere Sache auch mal ganz, ganz klarzustellen: Es wird keine Koalition in der Opposition geben. Aus unterschiedlichen Gründen werden wir nicht mit den Linken und der AfD zusammenarbeiten.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Wir mit euch auch nicht!)
Ich will Ihnen das bei der AfD auch begründen: Wir verstehen uns als Opposition innerhalb unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie. Sie verstehen sich als Opposition zur parlamentarischen Demokratie. Und deswegen können wir nicht zusammenarbeiten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Um den neuen Kolleginnen und Kollegen der AfD, die da vielleicht noch zögernd sind, einen Satz mit auf den Weg zu geben: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, zu Respekt gehört auch dazu, Respekt zu zeigen vor dem, was die Vorgängerregierungen geleistet haben.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie sollten mal Respekt zeigen vor den demokratischen Kräften!)
Sie, Olaf Scholz, haben die Haltung von Angela Merkel gelobt. Wir loben auch die Ergebnisse der Arbeit von Angela Merkel, weil die letzten 16 Jahre gute Jahre für dieses Land waren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
„Gute Jahre für dieses Land“ heißt, dass wir ein Ansehen in der Welt haben und in Europa, wie wir es noch nie gehabt haben. Das ist eine hohe Latte für Sie. „ Gute Arbeit“ heißt, dass wir gegenüber der Regierungszeit von Gerhard Schröder die Arbeitslosigkeit halbiert haben, dass die Beschäftigung gestiegen ist, dass die Löhne gestiegen sind, dass wir es sechsmal hintereinander geschafft haben, die schwarze Null zu kriegen,
(Norbert Kleinwächter [AfD]: … dass die Leute nicht mehr wissen, wovon sie ihr Leben finanzieren sollen!)
dass die Straftaten zurückgegangen sind, dass wir mehrere internationale Klimapakete auf den Weg gebracht haben, dass es so ist, dass wir die erneuerbaren Energien vervierfacht haben, dass wir den CO2-Ausstoß um 25 Prozent gesenkt haben trotz Wachstum des Bruttoinlandsproduktes, trotz Bevölkerungswachstum und trotz mehr Mobilität, und das als Industrieland. Dazu gehört auch, dass wir unglaublich viel für Familien getan haben, und das war beileibe nicht nur die Erhöhung des Kindergeldes.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Scholz, Sie haben in Ihrer Rede mehrfach mit dem Finger auf die Vorgängerregierung gezeigt. Ich habe während Ihrer Rede eine SMS gekriegt: War der eigentlich dabei? – Ja, Sie waren dabei, Herr Scholz! In den letzten 16 Jahren haben Sie 12 Jahre mitregiert.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen, dass Sie sich aus der alten Regierung rausschleichen und so tun, als wenn Sie nichts damit zu tun gehabt hätten. Ich kann Sie nur vor einer Sache warnen: Wenn Sie mit dem Finger auf die alte Regierung zeigen, dann zeigen Sie immer mit dem Finger auf sich selbst, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ist alles gut in diesem Land? Nein, natürlich nicht. Es ist viel zu tun; das haben Sie auch richtig adressiert. Um mal einen Satz aus dem alten italienischen Roman „Der Leopard“ zu zitieren: „Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.“ Auch das Gute! Deswegen müssen wir uns weiterbewegen, deswegen müssen wir was tun in diesem Land. Und das wollen wir auch, das wollen wir mit Begeisterung.
Meine Damen und Herren, ich habe dort vorne oft gesessen und mir Oppositionsreden angehört, gute Reden von Herrn Lindner, von Herrn Bartsch. Herr Bartsch, weil Sie jetzt nicken: Ich habe immer sehr genau verstanden, was Sie nicht wollten; aber ich habe nie verstanden, was Sie eigentlich wollten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dementsprechend wollen wir eine andere Opposition machen. Wir wollen eine gestaltende Opposition machen. Wir wollen eine Opposition machen, wo wir unser Bild vom Land durch unsere Anträge, Debattenbeiträge und durch unsere Diskussionen dieser Regierung aufzwingen werden. Das wird unser Ansatz in den nächsten vier Jahren sein, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben ein Bild von diesem Land. Wir wissen, wo wir hinwollen. Wir haben die großen Linien, und wir haben auch die kleinen Linien.
Natürlich – Sie haben es auch gesagt – ist das Wichtigste erst mal, dass wir aus dieser Coronakrise rauskommen, dass wir gemeinsam aus dieser Coronakrise rauskommen. Wir wissen nicht, wie viel Mutanten und Wellen noch vor uns stehen. Aber wir wissen eins: Wir wissen, dass schnelles und beherztes Handeln notwendig ist. – Das kann ich Ihnen jetzt leider nicht ersparen, Herr Scholz: Dieses schnelle und beherzte Handeln war nicht Ihre Politik in den letzten Monaten. Im Gegenteil: Sie und die A-Ministerpräsidenten, die Ministerpräsidenten der SPD, haben notwendige Konferenzen aufgehalten; das gehört zur Wahrheit auch dazu.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich kann nur eins machen: Ich kann Ihnen die Hand dazu reichen, dass meine Fraktion, dass unsere Fraktion jederzeit bereit ist, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, übrigens auch, wenn es unpopuläre Maßnahmen sind; da haben Sie uns an Ihrer Seite.
Meine Damen und Herren, wir wollen aber auch ein nachhaltiges, generationengerechtes Land. Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit bedeuten, dass wir natürlich dafür sorgen müssen, dass die nachfolgenden Generationen in einer intakten Umwelt leben. Das kriegen wir hier in Deutschland nicht alleine hin, Herr Habeck; aber wir können unseren Teil dazu leisten, und das haben wir auch gemacht. Wir haben 2019 – übrigens zusammen, Herr Mützenich, in der Großen Koalition – das ehrgeizigste Klimaprojekt einer Industrienation auf den Weg gebracht. Wir haben viel, viel Geld für Technologie und Innovation ausgegeben.
Es war die damalige Bundesregierung, die den Kohleausstieg beschlossen hat. Wir waren übrigens auch diejenigen, die den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen haben.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)
Die Gesetze sind da. Das Geld ist da. Jetzt geht es ums Umsetzen: umsetzen, umsetzen und umsetzen.
Herr Habeck, Sie haben die Wahl nicht damit gewonnen – das hat nicht ganz geklappt –, aber Sie haben die Wahl damit erfolgreich gestaltet, dass Sie da viel versprochen haben. Wir werden Sie daran messen. Wir werden jedes Gramm CO2 zählen; wir werden jede Kilowattstunde Windenergie zählen;
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Jawohl!)
wir werden jedes Kilo Müll zählen; wir werden jeden Meter Stromleitung zählen; wir werden jeden Kilometer Bahntrasse zählen. Das wird unsere Politik sein.
Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, weil Sie im letzten Bundestag noch nicht dabei waren: Wir hatten zusammen mit der SPD in der letzten Legislaturperiode beschlossen, dass es in diesem Bundestag Nachhaltigkeitstage gibt, nicht nur Haushaltstage und Haushaltswochen, sondern Nachhaltigkeitstage; dass wir uns einmal im Jahr Zeit nehmen, darüber zu diskutieren und Rechenschaft abzulegen, inwieweit wir unsere Nachhaltigkeitsziele erreicht haben. Wir sollten das fortsetzen.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Lassen Sie uns gemeinsam nicht nur einen Finanzhaushalt, sondern auch einen Klimahaushalt aufstellen, wo wir die wichtigen Kennzahlen, die wir brauchen, messen und hier im Deutschen Bundestag debattieren, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zum Thema Nachhaltigkeit gehört auch das Thema „nachhaltige Finanzen“. Jetzt ist es ja so – das muss ich Ihnen zugestehen –: Sie von der SPD und Sie von den Grünen sind nicht unbedingt gewählt worden für nachhaltige Finanzen;
(Zuruf von der SPD: Doch!)
Sie von der FDP aber schon. Das war die Erwartungshaltung: FDP sorgt für nachhaltige Finanzen. FDP sorgt mit dafür, dass die nachfolgenden Generationen nicht die Schulden ihrer Eltern abbezahlen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)
FDP sorgt dafür, dass diejenigen Leute, die hier in 30 Jahren sitzen, auch noch Gestaltungsspielraum haben und nicht allein damit beschäftigt sind, Schulden abzubezahlen oder Zinsen aufzubringen.
Wie lange hat dieses Versprechen gehalten? Keine fünf Tage. Fünfmal ist die Sonne aufgegangen, danach brach Christian Lindner das Versprechen zu soliden, nachhaltigen Finanzen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Lindner, zu dem, was Sie morgen mit Ihrem Nachtragshaushalt machen wollen, wo Sie Coronamittel für Ihre Ampelprojekte umschreiben wollen, hat jemand gesagt: Da macht der Herr Lindner einen Taschenspielertrick. – Nein! Ich mag diesen Begriff auch nicht: Taschenspielertricks in der Politik. Es ist kein Taschenspielertrick, sondern es ist ein Sägen an den Fundamenten der Schuldenbremse und der finanziellen Solidität.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Lindner, wissen Sie, wenn Sie bei den Staatsfinanzen nach fünf Tagen schon mit so was anfangen, dann warte ich nur darauf, wie lange es dauert, bis Steuererhöhungen kommen. Wir sind gespannt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zum Thema Nachhaltigkeit gehört auch Nachhaltigkeit der Sozialsysteme. Wir hätten bei der Rente liefern müssen, Hubertus Heil. Wir haben es nicht gemacht. Sie haben es nicht gemacht; wir haben auch nicht drauf gedrängt. Keine Kritik! Aber wir müssen jetzt liefern, weil wir genau wissen, dass unser Rentensystem 2025 eine Reform braucht. Ich finde es gut und richtig, dass Sie eine Aktienrente und kapitalgedeckte Elemente einführen wollen. Aber wir alle wissen doch: Das reicht nicht. Wir brauchen eine grundlegende Rentenreform.
(Zuruf von der FDP)
Sie hingegen machen Versprechen. Sie machen Versprechen über Mindesthaltelinien, die nicht gegenfinanziert sind. Sagen Sie den Menschen doch bitte: Das wird zu höheren Abgaben führen. Das wird zu weniger Leistungsgerechtigkeit führen. Das wird dazu führen, dass die Leute weniger Netto vom Brutto haben.
(Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich kann Ihnen eins anbieten, Herr Scholz und Herr Heil. Ich glaube, die Auswirkungen der Reform des Rentensystems werden mehrere Regierungen überdauern. Auch wenn Sie sich wahrscheinlich vorgenommen haben, hier lange zu regieren, wird es länger wirken, als Sie hier regieren werden. Da sind wir uns einig. Deswegen brauchen wir da einen nationalen Konsens. Diesen nationalen Konsens bieten wir Ihnen an. Lassen Sie uns bei der Rente zusammenarbeiten. Das Thema ist zu wichtig für Parteipolitik. Herzliche Bitte: Kommen Sie auf uns zu, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es geht aber nicht nur um Nachhaltigkeit, sondern wir wollen ein Land der wirtschaftlichen Stärke, weil wir der Meinung sind – das hätte man im Koalitionsvertrag an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein bisschen ausführen können –, dass all das, was verteilt wird, auch erwirtschaftet werden muss. Und erwirtschaftet wird es durch möglichst viele gut bezahlte Arbeitsplätze. Diese gut bezahlten Arbeitsplätze müssen wir sicher machen. Meine Damen und Herren, zu diesen gut bezahlten Arbeitsplätzen – das sage ich hier ganz ausdrücklich auch für meine Fraktion – gehören auch Industriearbeitsplätze.
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Es muss als Industrienation unser Ansatz sein, dass wir die industrielle Basis, die Stärke dieses Landes, nach vorne bringen und stärken.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, dazu brauchen wir ein wettbewerbsfähiges Unternehmensteuerrecht. Ich sehe das nicht. Dazu brauchen wir ein Arbeitsrecht, das in das 21. Jahrhundert passt. Ich sehe das nicht. Dazu müssen wir uns vor allen Dingen mit zwei großen Herausforderungen beschäftigen:
Herr Scholz, Sie haben es gesagt: Da sind die großen Techunternehmen, die großen Plattformen, die mittlerweile mehr Macht haben als einzelne Staaten, die mehr investieren als Staatengemeinschaften. Wir müssen die deutschen Mittelständler vor dieser Herausforderung schützen. Wir müssen daran arbeiten, dass wir in Europa wettbewerbsfähig bleiben.
Es gibt eine zweite große Herausforderung – ich glaube, es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle über diese Herausforderung reden –: Das ist das Thema China. China ist für unseren Mittelstand, für unsere Wirtschaft, für unseren Wohlstand eine größere Herausforderung als alle Steuer- und Sozialgesetze, die wir falsch oder richtig zusammen machen können. Deswegen brauchen wir eine China-Strategie. Deswegen müssen wir uns auch in der Außenpolitik damit beschäftigen.
Frau Baerbock, eine wertegeleitete Außenpolitik ist wichtig. Menschenrechte sind wichtig. Aber Sie haben auch eine Funktion: Sie haben die Funktion, unsere Interessen, unsere wirtschaftlichen Interessen zu vertreten. Auch daran werden wir Sie messen, Frau Baerbock.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie, Herr Scholz, haben leider erst am Ende Ihrer langen Rede über Sicherheitspolitik gesprochen. Die äußere Sicherheit ist in Gefahr, ist bedroht, und zwar – nennen wir es beim Namen; auch Sie haben es beim Namen genannt – in Europa durch Russland. Punkt! Ich würde mir wünschen, Herr Mützenich, dass auch Sie das mal so eindeutig benennen
(Beifall bei der CDU/CSU)
und in der SPD nicht immer wieder changieren zwischen Ihrer Russlandfreundlichkeit und dem, was tatsächlich ist. Ich sage das auch für meine Fraktion: Wir wissen, auf welcher Seite wir stehen. Wir sind überzeugte Transatlantiker, weil wir wissen, wer unsere Freunde sind und wer nicht unsere Freunde sind, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sicherheit bedeutet aber auch innere Sicherheit. Da reicht es nicht, mehr Bundespolizei auf den Weg zu bringen, da reicht es nicht, den Pakt für den Rechtsstaat fortzusetzen, sondern dazu gehören auch Respekt für und Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden. Diesen Respekt und dieses Vertrauen sehe ich nicht in Ihrem Koalitionsvertrag.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich sehe da immer wieder Misstrauen. Das ist nicht gut. Die brauchen unsere Unterstützung. Die brauchen auch die gesetzlichen Grundlagen, um ermitteln zu können. Dazu gehört auch der Zugriff auf Daten. Daten bekämpfen Terror, Daten bekämpfen Kindesmisshandlung.
Ich weiß, dass diese Koalition da ganz besonders ist: Die SPD sind Datenschützer. Die Grünen sind noch größere Datenschützer. Die FDP sind die allergrößten Datenschützer, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Aber vielleicht ein Hinweis dazu: Der Datenschutz muss den Menschen dienen und nicht die Menschen dem Datenschutz, und da ist einiges durcheinandergeraten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Das war doch Ihre Regierung, Herr Brinkhaus!)
Meine Damen und Herren, zu Sicherheit und Ordnung gehört auch das Thema Migration. Ich sage: Jedes Land hat das Recht, Migration zu steuern und zu kontrollieren.
(Zurufe von der AfD: Ah!)
Jedes Land hat das Recht, auch zu definieren, was seine Aufnahmebereitschaft und Aufnahmefähigkeit ist und was nicht. Sie sagen, Sie wollen das anders machen. Mir persönlich macht das Angst, was Sie vorhaben. Sie wollen offenere Grenzen haben. Sie wollen einen schnelleren Zugang zum Sozialsystem. Sie wollen einen besseren Zugang zum Gesundheitssystem, und Sie wollen vor allen Dingen durch Ihren Spurwechsel illegale Migration schneller legalisieren. Ich halte das für eine gefährliche Mischung. Das werden wir nicht mitmachen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der AfD)
Wenn Sie das Thema Integration ansprechen, was Sie dankenswerterweise gemacht haben, muss ich sagen: Wir haben es leider nicht geschafft, die Menschen, die 2015 und 2016 gekommen sind, in den Arbeitsmarkt zu integrieren, Hubertus Heil.
(Zuruf von der AfD: Warum wohl?)
Wir haben viel zu hohe Zahlen von Menschen, die im Hartz-IV-System sind. Ich denke, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, das zu ändern. Das haben Sie in der letzten Legislaturperiode nicht geschafft. Das müssen wir hinkriegen, und das müssen wir schaffen.
(Zuruf von der AfD: „Wir schaffen das!“)
Damit sind wir bei unserem Sozialstaat. Sozialstaat ist für uns die DNA. DNA bedeutet, dass wir einen behütenden Sozialstaat wollen, dass sich die Menschen darauf verlassen können, dass ihnen, wenn sie fallen, geholfen wird, dass ihnen, wenn sie in schwierigen Situationen sind, geholfen wird. Aber das bedeutet auch, dass sich die Gesellschaft darauf verlassen kann, dass jeder, der in diesem Sozialstaat drin ist, alles dafür tut, um da wieder rauszukommen. Deswegen geht es nicht nur um einen fördernden Sozialstaat, sondern es geht auch um einen fordernden Sozialstaat, und das Bürgergeld, das Sie auf den Weg bringen wollen, ist das Gegenteil davon. Das ist die Vorstufe zum bedingungslosen Grundeinkommen. Das werden wir nicht mitmachen, und das können wir nicht mitmachen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielleicht noch ein Aspekt, wenn es darum geht, wie wir uns das Land vorstellen: Wir stellen uns das Land und die Politik so vor, dass auch Politik für die leise Mitte und nicht nur für die Lauten, die Aggressiven und diejenigen gemacht wird, die sich besonders gut artikulieren können, die in den Talkshows, in den Medien vertreten sind.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach so!)
Diese leise Mitte der Gesellschaft, das sind insbesondere die Familien.
Die Familien müssen Kern unserer Politik sein, und zwar zuallererst Familien mit Kindern. Da geht es um das Thema Bildung – darüber ist in Ihrer Regierungserklärung viel zu wenig gesprochen worden –, gerade in Zeiten von Corona. Und es geht weiter mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und hört auf, wenn es um das Ende des Lebens geht. Ich kann Ihnen eins versprechen: Das wird Kern unserer Sozialpolitik sein: Familie in den Generationen. Wenn Sie da gute Dinge auf den Weg bringen, dann werden Sie uns an Ihrer Seite haben, Herr Scholz.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Eine weitere Sache, die uns im Wahlkampf wichtig war, weil wir in der letzten Legislaturperiode gesehen haben – das ist auch Selbstkritik –, dass wir da große Defizite haben, ist: Wir müssen unseren Staat modernisieren. Wir haben einen guten Staat, eine gute Verwaltung, wir haben ein gutes Gesundheitssystem, aber, ehrlich gesagt, wenn wir nichts tun, werden wir das alles in den nächsten Jahren verlieren.
Wir haben bei Corona gesehen, wo die Defizite sind, und ich möchte zwei Aspekte nennen:
Wir sind nicht genügend vorbereitet auf Katastrophen, wir sind nicht genügend vorbereitet auf Pandemien. Wahrscheinlich wird die nächste Katastrophe keine Pandemie sein. Wir haben da kein gutes Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern; wir haben keine Notstandsgesetzgebung dafür.
(Zuruf von der FDP: Wer trägt die Verantwortung dafür?)
Wir müssen da was tun; da haben Sie uns an Ihrer Seite.
Wir sind in der Verwaltung nicht digital genug. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Da sind wir wirklich schlecht. Was ich nur nicht verstehe, Herr Scholz: Warum machen Sie das nicht zur Chefsache? Warum lagern Sie alle Kompetenz für diesen Bereich – Digitalisierung der inneren Verwaltung – an andere Ministerien aus? Ist Ihnen das nicht so wichtig? Uns ist es wichtig, und wir werden in den nächsten Jahren dafür kämpfen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 16 Jahre lang nichts getan! Sehr wichtig!)
Meine Damen und Herren, wir haben viele Dinge zu tun, und wir haben als Unionsfraktion viele Ideen. Diese Ideen werden wir auch einbringen – selbstbewusst und wohl wissend, wo wir herkommen.
An dieser Stelle möchte ich auch noch mal eins klarstellen: Wir haben unsere Wurzeln, und unsere Wurzeln liegen in unseren Werten. Diese Werte sind christlich. „ Christlich“ bedeutet nicht, dass wir in der katholischen oder evangelischen Kirche sind, sondern „christlich“ bedeutet, dass wir wissen, dass wir nicht die letzte Instanz sind, dass wir nicht alles regeln müssen, dass wir nicht alles regeln können. Das immunisiert uns als Union gegen jegliche moralische Überheblichkeit,
(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
und das wird uns auch weiterhin immunisieren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
„Christlich“ bedeutet, dass wir ein Menschenbild haben, das von Eigenverantwortung, ein Menschenbild, das von Solidarität ausgeht, ein Menschenbild, das auch von Freiheit ausgeht.
(Lars Klingbeil [SPD]: Aserbaidschan!)
Es ist vor allen Dingen ein Menschenbild, wonach das Leben bedingungslos geschützt werden muss, und zwar vom Anfang des Lebens bis zum Ende des Lebens.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und wir sind demokratisch. „ Demokratisch“ bedeutet, dass wir hier für diese parlamentarische Demokratie kämpfen – gegen die Feinde von rechts. Aber es gibt auch Feinde von links, und auch gegen die werden wir kämpfen.
Es gibt eine Entwicklung, die mir Sorgen macht. Es macht mir Sorgen, dass Aktivisten, Nichtregierungsorganisationen, die alle ihren Zweck, die alle ihre Berechtigung haben, zunehmend an Bedeutung gewinnen und Räte und Kommissionen mehr Bedeutung haben als die frei gewählten, repräsentativ gewählten Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Deswegen ist es so, dass wir darum kämpfen sollten. Wir hier sind das höchste frei gewählte Verfassungsorgan, und das sollten wir auch sehr, sehr selbstbewusst verteidigen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir sind die Union, und das bedeutet: Wir haben ein tiefes Verständnis dafür, dieses Land zusammenzuhalten. Übrigens: Die soziale Union ist auch deswegen sozial, weil wir wissen – und das haben wir bei Corona weidlich diskutiert –, dass Freiheit auch immer die Freiheit der Schwachen und nicht nur die Freiheit der Starken ist. Wir sind die Union und haben den tiefen Anspruch, dieses Land zusammenzuhalten –
(Zuruf von der SPD: Von wem reden Sie?)
nicht um jeden Preis, das wird nicht gehen; wir werden nicht immer alle mitnehmen können.
Wir haben daneben auch den tiefen Anspruch, Europa zusammenzuhalten, weil wir wissen, Herr Scholz, dass Europa die Lösung für ganz viele unserer Probleme ist – ob es außenpolitische Dinge sind, ob es die Integrationspolitik ist, ob es um ein Europa geht, das Technologie- und Industriepolitik macht und einen gemeinsamen Digital- und Kapitalmarkt hat. Deswegen müssen wir auch dieses Europa zusammenhalten.
Wir werden dieses Europa aber nicht zusammenhalten, wenn wir aus diesem Europa eine Schuldenunion machen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Albrecht Glaser [AfD])
Wir werden dieses Europa nicht zusammenhalten, indem wir eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung haben. Herr Lindner, Sie werden Anfang Januar hier Ihre Ausführungen machen. Wir setzen dabei auf Sie, dass Sie das verhindern, was Olaf Scholz und die Grünen eigentlich wollen, und wir werden das auch sehr genau bewerten.
Wir sind christlich, wir sind demokratisch, wir sind sozial. Wir sind die Union, wir sind getragen vom tiefen Willen, dieses Land in den nächsten Jahren zusammenzuhalten. Herr Bundeskanzler, deswegen bieten wir Ihnen auch die Zusammenarbeit an, wenn es um die Fragen der nationalen und europäischen Interessen geht. Sie werden aber Verständnis dafür haben, dass es uns nicht ganz gefällt, dass Sie da sitzen. Wir würden da lieber jemanden von uns sitzen haben – das ist doch überhaupt keine Frage –, weil wir glauben, wir könnten es besser.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Das merkt man gar nicht!)
Sie sehen das natürlich anders. Aber das ist Demokratie, und das kann auch Spaß machen.
Deswegen bieten wir Ihnen eins an: Wir bieten Ihnen an, dass wir die Debatte und den Streit führen, dass wir uns ringend darum bemühen, gute und bessere Lösungen für dieses Land zu finden. Wir haben, glaube ich, eine große Chance: Wenn wir das richtig machen und wenn wir das gut machen, wenn wir bei diesem Streit faire Standards setzen, dann können wir auch ein Vorbild für eine Gesellschaft sein, die insbesondere in den sozialen Medien, aber nicht nur dort, immer harscher und rauer wird. Ich glaube, es sollte unser Anspruch hier als Deutscher Bundestag sein, dass wir da ein Vorbild sind, indem wir die Diskussion so führen, dass die Menschen sich an diesen Diskussionen orientieren können.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, wir alle haben jetzt sicherlich das ganz große Ziel, Corona zu überwinden. Aber es geht nicht nur um die Überwindung der Infektion. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich noch an den Sommer 2006 erinnern kann, als wir die Fußballweltmeisterschaft gehabt haben und die Welt erstaunt war, dass Deutschland ein Land ist, das lächeln kann. Wir haben dieses Lächeln in den letzten Jahren – insbesondere in den letzten zwei Jahren – verloren. Es muss unser gemeinsames Ziel sein, dass wir dieses Lächeln wieder zurückgewinnen, und so wollen wir Politik machen, so wollen wir engagiert Politik machen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion erheben sich)
Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7532719 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 8 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung durch den Bundeskanzler |