15.12.2021 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 8 / Tagesordnungspunkt 1

Alexander DobrindtCDU/CSU - Regierungserklärung durch den Bundeskanzler

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Bundeskanzler Scholz, auch ich wünsche Ihnen für Ihre Arbeit alles Gute, eine glückliche Hand und Gottes Segen zum Wohl unseres Landes. Ich kann Ihnen versichern, dass wir Ihre selbsternannte Fortschrittskoalition fair, fordernd und auch fortschrittlich begleiten werden – sowohl konstruktiv kritisch als auch, wenn es sein muss, lautstark.

Wir sind die Opposition der Mitte in diesem Deutschen Bundestag, und wir repräsentieren die breite Mitte der Gesellschaft. Wenn Sie für diese breite Mitte der Gesellschaft arbeiten, haben Sie unsere Unterstützung. Wenn Sie dieser breiten Mitte schaden, dann haben Sie unsere Kritik. Wir sind diejenigen, die in diesem Deutschen Bundestag fair mit Ihnen umgehen. Aber wir sind nicht Ihre Claqueure; wir sind Ihre Kontrolleure, und diese Aufgabe nehmen wir wahr.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler, ich hatte den Eindruck, dass Sie hier weniger eine Regierungserklärung als eine Regierungsverklärung abgegeben haben. Die Prosa stimmt, aber der Plan verstimmt. Sie sprechen über Chancen, planen aber Belastungen für Millionen von Bürgern. Sie sprechen über gleichwertige Lebensverhältnisse, planen aber Belastungen für die ländlichen Räume, für Pendler, für Landwirte.

(Christian Petry [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

Sie sprechen über solide Finanzen, schleusen aber mit Ihrem ersten Haushalt 60 Milliarden Euro an der Schuldenbremse vorbei und planen die gemeinsame Haftung für Schulden in Europa. Das ist nicht „Fortschritt wagen“; das ist „neue Risiken eingehen“, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ampel hat ja in ihren Verhandlungen vor einem kleinstmöglichen Nenner gewarnt. Und ich kann Sie beruhigen: Sie haben ihn in weiten Teilen auch überhaupt nicht gefunden. Stattdessen haben Sie jetzt schon an vielen Stellen für unterschiedlichen Widerspruch innerhalb der Koalition gesorgt.

Für die FDP scheint ja zu gelten: Was vor der Wahl grundfalsch war, ist jetzt plötzlich goldrichtig.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Die Aussage ist grundfalsch! – Stephan Brandner [AfD]: Bei Ihnen ist es andersrum!)

Steuersenkungen versprochen, versteckte Steuererhöhungen vereinbart. Solide Haushalte gefordert, Schlupflöcher für neue Schulden gefunden. Ordnung der Migration beschworen, Anreize für irreguläre Migration beschlossen. „ Nie gab es mehr zu tun“, haben Sie im Wahlkampf gesagt. Ich kann Ihnen sagen: Das heißt doch nicht, dass man alles von Links-Grün mitmachen muss, liebe FDP.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In Ihrem Koalitionsvertrag steht das Bekenntnis zu soliden Finanzen und zur Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023. Ich muss ausdrücklich sagen: Das gefällt mir gut. Aber Ihr Nachtragshaushalt, Herr Bundeskanzler, ist nicht solide; er ist dreist. Sie, Olaf Scholz, haben jetzt mit Ihrem Nachtragshaushalt Ihren eigenen Haushalt korrigiert: nicht um Mehrausgaben in diesem Jahr zu finanzieren, nicht um Mehreinnahmen ins nächste Jahr zu übertragen, nicht um Bürger zu entlasten, wie Sie es versprochen haben. Nein, Sie nehmen heute Schulden auf, die Sie nicht brauchen, um in der Zukunft Ausgaben zu finanzieren, die Sie heute noch nicht kennen. Das hat einen einzigen Grund: Sie wollen die Schuldenbremse betrügen.

Herr Bundesfinanzminister, Finanzpolitik lässt sich nicht durch Finanzakrobatik ersetzen. Finanzpolitik durch Finanzakrobatik zu ersetzen, das heißt, sich schnell außerhalb des Rechtsrahmens zu befinden. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Dürr: Ob dieser Haushalt verfassungswidrig ist, das wird ein Gericht entscheiden.

(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

Aber für die FDP wäre er auf jeden Fall früher sittenwidrig gewesen; da bin ich mir ganz sicher.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man muss Sie, Herr Dürr, nach Ihrer eindrucksvollen Rede für diesen Nachtragshaushalt vielleicht einmal daran erinnern, was Sie im Deutschen Bundestag noch vor wenigen Monaten, am 2. Juli, gesagt haben. Ich zitiere wörtlich:

Ich verstehe nicht, warum man in der SPD … nur Karriere machen kann, wenn man verfassungswidrige Haushalte vorlegt …

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Möglicherweise machen Sie gerade eine Lernkurve durch; ich bin mir da nicht ganz sicher.

(Christian Dürr [FDP]: Das bezog sich auf den Haushalt, dem Sie zugestimmt haben, Herr Dobrindt! Dem haben Sie doch zugestimmt, nicht ich!)

Nehmen Sie Ihre Wahlversprechen doch einfach mal ernst! Sie wollten einen Tilgungsturbo für Coronaschulden. Jetzt starten Sie einen Verschuldungsturbo für die Ampel. Das hat mit soliden Finanzen schlichtweg nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Herr Dobrindt, dem haben Sie damals zugestimmt! Dem haben Sie doch zugestimmt!)

– Weil Sie hier ständig dazwischenrufen, Herr Dürr:

(Christian Dürr [FDP]: Ja, Sie müssen es nur dem Publikum sagen! Sie haben dem Haushalt zugestimmt! – Stephan Brandner [AfD]: Er kann sich ja nicht benehmen!)

Ich könnte hier weitere Teile aus Ihrer Rede zitieren, die Sie hier vor wenigen Monaten gehalten haben. Ich könnte sie eigentlich auch ganz vorlesen;

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Wird eine gute Rede dann!)

sie würde zu diesem Haushalt eindrucksvoll passen. Aber lassen wir’s!

(Christian Dürr [FDP]: Sie haben damals neue Schulden gemacht, um sie einem Sondervermögen zuzuführen, Herr Dobrindt!)

Besonders große Freude habe ich an einer Textstelle: die „Helfershelfer eines möglichen Verfassungsbrechers“. – Wunderbar! Vielleicht wollen Sie sich Ihre eigene Rede an der Stelle noch mal durchlesen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Aber dem haben Sie doch zugestimmt! Ich wiederhole es noch mal!)

Ich rate Ihnen, Christian Lindner – Sie haben es ja jetzt umgeframt –: Passen Sie auf, dass Ihr wirtschaftspolitischer Booster nicht zum finanzpolitischen Rohrkrepierer wird! Genau das werden wir überprüfen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sparen ja in Ihrem Koalitionsvertrag und in Ihren Reden jetzt auch nicht mit ganz großen Worten: Klimaschutzziele haben oberste Priorität. Die soziale Marktwirtschaft soll neu begründet werden. Das Regelwerk soll den Weg frei machen für Innovationen. – Ich finde das alles ausdrücklich gut. Vieles von dem, was man da findet, kenne ich übrigens auch aus der letzten Wahlperiode: Den Emissionshandel haben Sie übernommen. Die CO2-Preisgestaltung haben Sie übernommen. Neue Klimaschutzziele haben Sie nicht formuliert. Ein neues, fixes Ausstiegsdatum für die Kohle haben Sie auch nicht gefunden. Es kann ja sein, dass das, was früher grundfalsch war, heute grünrichtig ist; alles okay. Aber die Geschichte mit dem Rotmilan müssen Sie noch klären und auch in der Koalition besprechen.

Herr Bundeswirtschaftsminister, ich unterstütze Ihre Initiative an dieser Stelle, zu mehr Planungsbeschleunigung zu kommen. Ich fordere Sie sogar auf: Legen Sie dem Deutschen Bundestag schnell ein Planungsbeschleunigungsgesetz vor!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber gestatten Sie mir den Hinweis: Die Blockierer sitzen in Ihren eigenen Reihen und nicht bei uns, und das war in der Vergangenheit auch schon so.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das letzte Gesetz gemacht, das nicht europakonform war?)

– Sie haben es abgelehnt.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha! Scheuer hieß der!)

Herr Bundeskanzler, Sie haben hier über die Sicherung der Rente, über das Mindestrentenniveau, über die Stabilität der Rentenbeiträge gesprochen und als neues Element die Aktienrente eingeführt. Sie haben dabei verschwiegen, dass diese Aktienrente ein einziges Mal mit 10 Milliarden Euro gestützt wird und vollkommen unterdimensioniert und unambitioniert ist. Sie wissen, dass es deutlich mehr braucht. Sie hätten die Chance gehabt, mit einem Paradigmenwechsel bei der Rente jetzt eine echte vierte Säule aufzubauen: eine Generationenrente als Altersvorsorge von Anfang an. Aber es fehlt Ihnen offensichtlich die Bereitschaft,

(Christian Dürr [FDP]: Aber der Vorschlag zur Plünderung der Rentenkasse kam doch von Herrn Söder im Wahlkampf!)

für jedes Kind jeden Monat bis zum Erreichen des 18. Lebensjahrs bereits in die Rente einzuzahlen, renditeorientiert anzulegen. Das vermeidet Altersarmut. Das stellt die Rente auf neue Füße. Ihre 10 Milliarden Euro einmalig eingezahlt, das ist nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Der jährliche Zuschuss des Bundes in die Rente beträgt über 100 Milliarden Euro.

(Christian Dürr [FDP]: Durch Ihre Politik, Herr Dobrindt! Das haben Sie verursacht! Das ist nach dem Motto: Haltet den Dieb! Unfassbar!)

Was Sie machen, ist zu wenig, es ist falsch, und es reicht schlichtweg nicht aus, die Rente zu sichern.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Jede Legislatur ein Geldgeschenk von der CSU! – Christian Dürr [FDP]: Das sind die Rentengeschenke der CSU gewesen, die Sie jetzt beklagen!)

Sie beschreiben Deutschland in Ihrer Rede als ein modernes Einwanderungsland. Wenn das heißen soll, dass wir ein weltoffenes Land sind, dass wir Leistungsbereiten Perspektiven geben, dass wir Verfolgten Schutz bieten, dann kann man das auch so formulieren. Aber dazu gehört zuvorderst ein klares Konzept für gelingende Integration, und das beginnt mit der Ordnung der Migration. Oder um es anders zu formulieren: „ Die Kontrolle des Zugangs zu einer Gesellschaft ist die Voraussetzung für soziale Stabilität und für jede öffentliche Ordnung“ , so Christian Lindner hier im Bundestag am 24. Juni.

Aber das, was Sie heute hier tun, ist das krasse Gegenteil. Sie schaffen neue Anreize in Ihrem Koalitionsvertrag: keine Zurückweisung mehr an den Außengrenzen, Bleiberecht nach drei Jahren, Identitätsklärung an Eides statt, Erhöhung der Asylleistung, Spurwechsel. Sie glauben offensichtlich nicht, dass das, was Sie hier tun, in der Welt neue Fluchtbewegungen auslösen kann. Das ist kein modernes Einwanderungsrecht, das ist das Gegenteil davon, nämlich das Auflösen der Unterscheidung zwischen Arbeitsmigration und Asyl. Wir wollen aber, dass genau diese Unterscheidung bestehen bleibt. Es muss ein Unterschied sein, ob man in den Arbeitsmarkt integriert werden will oder ob man für sich Asyl und Flucht in Anspruch nimmt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Genau so ist es! Genau das machen wir!)

Ich teile übrigens, Herr Bundeskanzler, Ihre Leidenschaft für Europa. Aber Europa ist kein föderaler Bundesstaat. Europa ist ein Friedensprojekt, ein Wohlstandsprojekt, ja, für mich und die meisten auch ein Herzensprojekt. Gerade deswegen darf es auch keine Überforderung von europäischen Partnern geben. Das heißt, dass man dafür sorgt, dass es keine gemeinsame europäische Schuldenunion gibt, dass es keine Vergemeinschaftung der Schulden gibt, dass es keinen Eintritt in eine Schuldenunion gibt. Das, was Sie tun, ist, dass Sie überzeugten Europäern ihre Leidenschaft für Europa nehmen. Sie bringen Europa nicht näher zusammen, Sie treiben Europa auseinander mit Ihrem Bekenntnis zu einer Schuldenunion in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Scholz, was mich ausdrücklich gefreut hat, war Ihr klares Bekenntnis zum Auto, zumindest gegenüber dem Pferd.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Sie haben deutlich gemacht, dass viele Menschen gern mit dem Auto fahren, und so soll es auch bleiben. Ich will Ihnen sagen: Die meisten Menschen fahren gar nicht gern mit dem Auto; sie sind schlichtweg darauf angewiesen. Sie sind in den ländlichen Räumen darauf angewiesen. Sie brauchen das Auto für ihre Familie. Sie brauchen das Auto, um zur Arbeit zu fahren. Deswegen brauchen sie auch mehr als warme Worte. Sie haben verschwiegen, dass Sie das Autofahren teurer machen werden, dass Sie die Mobilität verteuern, dass Sie den Dieselpreis erhöhen wollen. Sie schaden damit den Familien und den Pendlern in den ländlichen Räumen. Das ist eine Politik, die ausdrücklich gegen die ländlichen Räume gerichtet ist, und wir werden kritisieren, dass Sie die Mobilität so massiv verteuern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber ich vermute hinter diesem klaren Bekenntnis zum Auto noch einen weiteren Grund, nämlich dass Sie erklären wollten, dass in der Vergangenheit das Auto einen erheblichen Teil zum Wohlstand in Deutschland beigetragen hat. Das ist richtig. Das Auto hat aufgrund seiner Innovation und aufgrund seiner Modernisierungskraft mit zum Wohlstand in Europa und Deutschland beigetragen. Deswegen: Ja, wir brauchen in Deutschland und Europa auch in Zukunft eine stabile Automobilindustrie. Um die zu entwickeln, brauchen wir auch Technologieoffenheit. Ja zum Fortschritt – da bin ich bei Ihnen –, Ja auch zur Elektromobilität – da bin ich bei Ihnen –, aber dass ein Hightechprodukt, entwickelt in Deutschland, das den Wohlstand über Jahrzehnte mitgesichert hat, jetzt nicht mehr weiterentwickelt werden soll, weil Sie den Verbrennungsmotor aufgeben wollen, das ist grundfalsch. Der Verbrennungsmotor kann mit synthetischen Kraftstoffen weiter existieren. Das ist technologische Neutralität.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Markus Söder will das auch!)

Herr Bundeskanzler, wir werden Sie kritisch-positiv begleiten. Sie können sich auf uns verlassen, wenn Sie mit guten Vorschlägen dieses Land weiter modernisieren wollen. Wir sorgen aber nicht dafür, dass Sie Mehrheiten, die Sie nicht haben in Ihrer eigenen Koalition, bekommen. Deswegen, es bleibt dabei: Es gab nie mehr zu tun, vor allem für die Opposition bei so einer Regierung. Wir sind nicht die Claqueure. Wir sind Ihre Kontrolleure. Alles Gute! Wir packen es gemeinsam an. Ich freue mich auch auf die Zeit in der Opposition, nicht weil wir sie gern machen, sondern weil wir wissen: Sie brauchen Kontrolle, meine Damen und Herren.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7532725
Wahlperiode 20
Sitzung 8
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung durch den Bundeskanzler
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