15.12.2021 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 8 / Tagesordnungspunkt 1

Lars KlingbeilSPD - Regierungserklärung durch den Bundeskanzler

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ein bedeutender Tag: die erste Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz. Es sind insgesamt bedeutende Tage hier im Parlament: Wir haben eine neue Regierung aus FDP, Grünen und Sozialdemokraten, wir haben in der letzten Woche den Kanzler gewählt, wir haben das neue Kabinett vereidigt, und eine Fortschrittsregierung hat die Arbeit aufgenommen.

Es sind aber noch in anderer Hinsicht bedeutende Tage, und den Dank dafür will ich, ebenso wie Rolf Mützenich das am Anfang seiner Rede getan hat, an Sie adressieren, Herr Brinkhaus. Das ist eine neue Rolle für die Union, Oppositionskraft zu sein, stärkste Oppositionskraft zu sein. Aber ich glaube, Ihre Rede, an der mir vieles nicht gefallen hat –

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: So soll es auch sein!)

auf manches komme ich zu sprechen –, hat gezeigt, dass wir jetzt endlich wieder eine stärkste Oppositionskraft in diesem Parlament haben können, die diesen Anspruch hat und diese Rolle mit Würde wahrnimmt. Das halte ich für ganz wichtig für die demokratische Kultur in diesem Land.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Herr Brinkhaus, eine Kritik von Ihnen war, dass Olaf Scholz zu viele Inhalte vorgetragen hat.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Zu kleinteilig!)

Das gebe ich zu. Aber daran müssen Sie sich gewöhnen.

(Heiterkeit des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP])

In der letzten Regierung war es so, dass wir vieles wollten und Sie nicht. Jetzt haben sich drei Partner gefunden, die vieles vorhaben in diesem Land. Deswegen wird das eine Ampelregierung sein, die viele Inhalte in diesem Land umsetzen will und bei der nicht mehr so auf die Bremse getreten wird, wie Sie das in der letzten Legislatur getan haben.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: An diesen Satz werden wir Sie erinnern!)

Darauf freuen wir uns. Aber Sie werden das ja entsprechend begleiten.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: An Ihren Taten wollen wir Sie messen!)

– Ja, das können Sie gerne tun.

Was ich am Anfang der Rede hier aber auch sagen will, ist Folgendes – und ich bitte darum, dass wir als Parlament, als Demokratie in Deutschland insgesamt stolz darauf sind –: Das, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, war ein sehr würdevoller Übergang der Macht, die Übergabe von Regierungsverantwortung. Wenn wir auf andere Länder dieser Welt gucken, dann wissen wir: Das ist nicht selbstverständlich, was wir hier in den letzten Tagen, in den letzten Wochen in diesem Parlament, in der Regierung erlebt haben. Und deswegen auch von mir noch mal ein großer Dank an die ehemalige Bundeskanzlerin, an alle, die in der ehemaligen Regierung Verantwortung getragen haben. Das war sehr würdevoll, und das ist wichtig, auch als Zeichen für die Menschen in diesem Land, dass das Gemeinsame und nicht das Trennende hier im Mittelpunkt unserer parlamentarischen Arbeit steht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich halte dieses Gemeinsame auch für wichtig, weil wir als Politik insgesamt große Herausforderungen vor uns haben in den nächsten zehn Jahren. Darüber ist heute schon viel geredet worden. Die nächsten zehn Jahre werden von Umbrüchen gekennzeichnet sein, die rasend schnell sind. Der Taktschlag der Veränderung wird schneller werden. Wir haben als Politik die Aufgabe, diesen Weg zu gestalten. Unser Anspruch muss sein, dass aus den Veränderungen, die auf uns zu kommen, Verbesserungen werden für unser Land und die Menschen in diesem Land. Das muss uns einen hier im Parlament.

Bevor ich auf die großen Veränderungen der nächsten zehn Jahre zu sprechen komme, möchte ich auch etwas zur aktuell größten Herausforderung in diesem Land sagen, nämlich zur Coronapandemie. Die Bewältigung der Coronapandemie hat oberste Priorität; dafür bin ich der neuen Bundesregierung dankbar. Die Ernsthaftigkeit, mit der die neue Regierung jetzt die Pandemiebekämpfung begonnen hat und dabei auch an das anknüpft, was die alte Regierung getan hat, ist sichtbar: Die Logistik wird professioneller organisiert, wissenschaftliche und fachliche Expertisen werden systematischer einbezogen, beispielsweise durch den neuen Krisenstab im Kanzleramt. Das unterstreicht den Anspruch der neuen Regierung, die Pandemie zu bekämpfen.

Ich sage hier aber auch für uns als Parlament: Pandemiebekämpfung sollte weiterhin keine Parteifarben kennen. Es ist wichtig, dass wir – mit der Regierung, der Opposition, mit dem Bund, mit den Ländern – uns alle zusammen unserer gemeinsamen Verantwortung bewusst werden. Wir haben als Politik die Verantwortung, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sicher durch die kommenden Monate zu bringen, und dafür muss jede Maßnahme ergriffen werden, die wichtig ist. Das muss uns einen in der Bekämpfung dieses furchtbaren Virus.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Es geht um das Zusammenbringen von wissenschaftlicher und praktischer Expertise; es würde uns übrigens guttun, wenn wir das in vielen anderen Bereichen der Politik auch machen würden, so wie wir das gerade in der Pandemiebekämpfung machen.

Ich will aber auch auf etwas zu sprechen kommen, was in den letzten Tagen öffentlichkeitswirksam immer eine Rolle gespielt hat. Mit Blick auf die Coronapandemie ist viel über die Spaltung des Landes geredet worden. Ich sage Ihnen aber: Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Ja, es gibt Sorgen, es gibt Unsicherheiten, es gibt Zweifel, es gibt berechtigte Fragen. Politik muss hinterfragt werden. Politik muss kommunizieren. Sie muss erklären, und sie muss auf die Sorgen der Menschen eingehen. Da, wo Menschen Sorgen haben, beispielsweise dass das Impfen einen gesundheitlichen Schaden für sie bedeuten könnte, da muss aufgeklärt werden, da muss diskutiert werden, da muss mit Argumenten überzeugt werden. Ich glaube, das können wir als Politik insgesamt noch besser machen. Das sage ich auch selbstkritisch.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber, ich will hier in aller Klarheit sagen: Es ist keine gesellschaftliche Spaltung, wenn auf der einen Seite Zigmillionen Menschen dieses Landes stehen, die seit 20 Monaten einen solidarischen Weg des Miteinanders, einen solidarischen Weg des Impfens, des Boosterns gehen, und auf der anderen Seite wenige Tausend stehen, die sich radikalisiert haben. Das ist keine Spaltung dieses Landes. Wir können froh sein, dass so viele Menschen diesen Weg solidarisch mittragen. Nur weil die anderen, die wenigen, laut sind, ist das nicht ansatzweise eine große Gruppe in diesem Land. Das sollten wir uns in diesen Tagen immer wieder bewusst machen.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage in aller Deutlichkeit: Wer mit Fackeln vor den Wohnhäusern von Politikerinnen oder Politikern aufmarschiert, wer in Telegram-Gruppen Mordpläne an Politikern schmiedet, der nimmt nicht mehr an demokratischen Debatten über die Coronapolitik teil. Das sind Menschen, die sich aus dem demokratischen Miteinander rausgezogen haben. Sie säen ein Klima des Hasses; sie wollen diese Gesellschaft zersetzen. Wir haben erst vor wenigen Monaten an diesem grausamen Mord in Idar-Oberstein gesehen, wohin dieses gesellschaftliche Klima führen kann. Deswegen muss jedem, der sich da einreiht, ganz deutlich gesagt werden: Wer sich in die Reihen von rechten Hetzern einsortiert, wer mit Fackeln durchs Land marschiert, wer versucht, andere einzuschüchtern, der ist kein besorgter Bürger; der ist ein rechter Hetzer. – Daran darf es keinen Zweifel geben. Das muss klar benannt werden, auch hier im Parlament.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich bin unserer neuen Bundesinnenministerin Nancy Faeser dankbar, dass sie deutlich gemacht hat, hier eine klare Priorität zu setzen. Wir lassen uns von Querdenkern, Fackelträgern, Hetzern und Spaltern nicht unsere Politik diktieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Zusammenhalt, von dem ich gerade geredet habe, brauchen wir aber auch für andere große Herausforderungen, die vor uns liegen. Die 20er-Jahre werden ein Jahrzehnt des Umbruchs in diesem Land. Wir wollen das Land sozial gerecht gestalten. Die neueste Studie des ZEW hat gerade aufgezeigt, dass der Koalitionsvertrag insbesondere Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zugutekommen wird, dass genau für diese Gruppen Politik gemacht wird.

Herr Brinkhaus, Sie haben vorhin kritisiert, dass Olaf Scholz zu wenig zum Thema Familien gesagt hätte. Aber ich sage Ihnen: In diesem Koalitionsvertrag steht ganz viel dazu. Sie fordern ein. Wir handeln – das ist die Politik dieser Regierung. Wenn Sie den Koalitionsvertrag genau lesen, sehen Sie: Darin enthalten sind 12 Euro Mindestlohn, die neue Kindergrundsicherung, das stabile Rentenniveau, bezahlbare Mieten für 400 000 Wohnungen, die gebaut werden. Das sind ganz konkrete Maßnahmen für eine Politik des sozialen Zusammenhalts, und das wird diese Ampelregierung umsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen eine langfristige Politik, die die Weichen Richtung Zukunft stellt. Deutschland hat die Chance, Technologieführer in Europa zu sein. Wir haben die Chance, langfristig Innovations- und Industriestandort zu sein, das Ganze abzusichern, Standards zu setzen und die Arbeitsplätze der Zukunft hier in Deutschland zu schaffen. Das, was BioNTech geschafft hat, muss keine Ausnahme sein. Medizinischer Fortschritt, ökologische Transformation, digitale Transformation – es geht jetzt darum, in einem klugen Zusammenspiel aus Staat und Markt dafür zu sorgen, dass Erfolge hier in Deutschland, in Europa stattfinden.

Das heißt übrigens auch für Sie als Union, aus den Grabenkämpfen der 90er-Jahre rauszukommen. Es geht darum, dass der Staat das Ganze klug gestaltet, dass er in Bildung, Qualifizierung, Forschung, Infrastruktur investiert und dafür sorgt, dass neue Geschäftsmodelle entstehen können. Ich will das hier mal sagen: Ich bin Christian Lindner dankbar dafür, dass er jetzt einen solchen Nachtragshaushalt vorgelegt hat, der genau diese Zukunftsinvestitionen ermöglicht. Sie als Union sind dagegen; Sie blockieren das. Sie wissen gar nicht, was Sie wollen. Aber passen Sie bitte auf, dass Sie nicht die neue Dagegen-Fraktion sind. Wir müssen Zukunft in diesem Land ermöglichen, und das tut die Ampel hier sehr konkret.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Der letzte Punkt, Herr Präsident, ist, dass Transformation nur gelingt, wenn es mit der Politik des Abwartens vorbei ist. Wir brauchen eine Regierung, die handelt, eine Regierung, die Entscheidungen trifft, eine Regierung, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist. Ich bin mir sicher – das haben die Koalitionsverhandlungen gezeigt; das hat der Aufbruch in der neuen Regierung gezeigt –: Wir wissen, was zu tun ist in den nächsten vier Jahren und darüber hinaus. Ich bin froh, dass wir diese neue Regierung haben. Packen wir es an!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Zu seiner ersten Rede erteile ich das Wort Stefan Seidler.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7532733
Wahlperiode 20
Sitzung 8
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung durch den Bundeskanzler
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