Carmen WeggeSPD - Recht
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben in den letzten Minuten viel über Aufbruch und viel darüber gehört, dass wir unser Land nun auch rechtspolitisch endlich im 21. Jahrhundert ankommen lassen. Daher möchte ich meine Zeit darauf verwenden, über unseren Mut zu sprechen, unseren Mut, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten nicht nur zu benennen, sondern sie auch zu überwinden,
(Beifall des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
unseren Mut, sich den Feindinnen und Feinden der Demokratie entschlossen in den Weg zu stellen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir haben diesen Mut, und das möchte ich Ihnen an zwei ganz konkreten rechtspolitischen Vorhaben in der nächsten Legislatur aufzeigen.
Wenn wir über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten sprechen, dann müssen wir auch über die strukturelle Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft reden, darüber, dass sie in vielen Fällen immer noch nicht selbst über ihre Körper bestimmen können und ihnen das Gesetz in einer der schwersten Situationen ihres Lebens im Wege steht. Aufgrund der Ausführungen der Opposition ist es, glaube ich, notwendig, dass ich hier noch einmal umfassend darauf eingehe.
Jedes Jahr werden in Deutschland bis zu 100 000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen; das sind bis zu 100 000 Situationen, in denen Frauen eine schwere Entscheidung treffen und auf der Suche nach Ärztinnen und Ärzten sind, die ihnen zur Seite stehen. In dem Bundesland, in dem ich wohne, in Bayern, gibt es laut Bundesärztekammer einige Städte und sogar Regionen, in denen Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr möglich sind. In Niederbayern, in der Oberpfalz und auch in größeren Städten wie Augsburg, Regensburg, Würzburg oder Ingolstadt gibt es offiziell keine einzige Klinik, die Schwangerschaftsabbrüche anbietet. In einem Freistaat mit mehr als 13 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern übernimmt ein Arzt knapp ein Drittel aller Schwangerschaftsabbrüche. Das ist vollkommen absurd!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Jetzt könnte man sich natürlich fragen: Wie kann das sein? Woran liegt das?
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Nicht am Werbeverbot!)
Das liegt daran, dass wir eine Regelung in unserem Strafgesetzbuch haben, die es sogenannten Lebensschützerinnen und Lebensschützern und radikalen Abtreibungsgegnerinnen und ‑gegnern ermöglicht, regelrecht Jagd auf Ärztinnen und Ärzte zu machen,
(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig, richtig!)
die Abbrüche durchführen, sei es durch Drohbriefe oder eben durch Anzeigen, weil sie allein dadurch Werbung machen könnten, dass sie den Abbruch in ihrem Leistungsprofil aufführen.
Die Folge ist eben doch, werter Kollege, dass immer mehr Ärztinnen und Ärzte sich aus diesem Bereich zurückziehen, sich auf die Durchführung von Abtreibungen ausschließlich bei ihren eigenen Patientinnen beschränken und diese dann eben nicht mehr generell anbieten. All das erschwert also nicht nur die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten, sondern geht insbesondere auf Kosten von uns Frauen, und das ist ein unhaltbarer Zustand.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Deshalb sind wir mutig. Wir enttabuisieren Schwangerschaftsabbrüche. Wir stärken das reproduktive Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wir streichen § 219a aus dem Strafgesetzbuch – endlich!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und wissen Sie, was noch mutig ist? Wir halten unser rechtes Auge furchtlos geöffnet. Wir lassen uns nicht einschüchtern von Menschen, die mit Fackeln vor unseren Haustüren stehen, und wir lassen uns auch nicht einschüchtern von Menschen, die in Telegram-Kanälen zum Mord an Politikerinnen und Politikern aufrufen. Wir lassen uns nicht einschüchtern, sondern wir sehen, hören und handeln entsprechend.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und auch wenn einige das zu vergessen scheinen: Soziale Plattformen und der digitale Raum sind keine rechtsfreien Räume. Mit dem Digitalen Gewaltschutzgesetz – mein Kollege hat es angesprochen – werden wir genau dem entgegenwirken. Wir werden denen, die Hass und Hetze im Netz verbreiten, zeigen, zu was ein Rechtsstaat fähig ist.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)
Diesen Mut, den haben wir. Der zieht sich durch all unsere rechtspolitischen Vorhaben in dieser Legislatur. Das ist eine Handschrift, die Sie in den nächsten Jahren von uns und insbesondere von der SPD erwarten dürfen. Ich kann nur sagen: Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7532951 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 10 |
Tagesordnungspunkt | Recht |