12.01.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 10 / Tagesordnungspunkt 2

Alexander Graf LambsdorffFDP - Außen, Europa und Menschenrechte

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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist merkwürdig, zwischen der AfD und Gregor Gysi zu reden. Das ist, wie zwischen den Chefredakteuren von Russia Today und der „Komsomolskaja Prawda“ zu reden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was hat der denn geraucht?)

Es ist eine etwas originelle Situation. Deswegen wollen wir mal damit starten, zu sagen, dass gute Politik mit dem Betrachten der Realität beginnt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

An der Grenze zur Ukraine zieht die russische Regierung 100 000 Soldaten, schweres Gerät und Luftfahrzeuge zusammen. In Genf treffen sich Russland und die USA zu Gesprächen. Es geht um Sicherheitsgarantien, Truppenbewegungen; es geht um Kurz- und Mittelstreckenraketen. Kurz: Es geht um Europas Sicherheit.

In Kasachstan lässt ein autoritärer Herrscher auf Demonstranten schießen. In Belarus missbraucht ein Diktator zynisch die Lebensträume zahlreicher Menschen für einen Angriff auf die Europäische Union. In Mali unterstützen Wagner-Söldner und jetzt auch russische Soldaten die Militärregierung, während diese Wahlen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt. Das ist alles sehr real.

Wer also in diesen Tagen die Realität betrachtet und genug Erfahrung mitbringt, fühlt sich an die Jahre des Kalten Krieges erinnert: globale Spannungen, teilweise harte Systemrivalität, Stellvertreterkonflikte, aber glücklicherweise keine große militärische Auseinandersetzung, kein heißer Krieg.

Dabei ist die internationale Lage heute sogar unübersichtlicher als zu Zeiten der Blockkonfrontation. Die Weltgemeinschaft, unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften sind vernetzter als in den 70er- und 80er-Jahren, aber gerade deshalb auch verwundbarer. Das macht die Lage eher noch schwieriger. Zu alten und bekannten Gefahren treten neue Risiken wie hybride Kriegsführung, Hyperschallwaffen und Terrorismus. Auch der Klimawandel hat eine sicherheitspolitische Dimension. Der Aufstieg Chinas fordert die freiheitlichen Demokratien heraus. Gleichzeitig geraten die Werte der Aufklärung – Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat – weltweit unter Druck, auch bei uns in Europa.

Wir erleben nicht einfach eine Wiederholung bekannter historischer Prozesse. Frau Baerbock hat es gesagt: Wir gehen nicht in einen neuen Kalten Krieg. Nicht ein Großkonflikt wird in den nächsten Jahren prägend sein, sondern mehrere. Bekannte Strukturen der Weltordnung zerfallen dabei. Gültige Normen werden missachtet. Das Recht des Stärkeren tritt immer häufiger an die Stelle der Stärke des Rechts. Dieser Wandel fordert Deutschland massiv heraus. Wir müssen Außenpolitik neu denken, teilweise auch in Kategorien, die uns gesellschaftlich mitunter schwerfallen, wie Geopolitik, Abschreckung, Resilienz.

Die Zielsetzung dieser Koalition ist klar: Wir wollen eine werteorientierte Außenpolitik; aber wir haben im Koalitionsvertrag auch für die schwierigen Fragen wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Und ja, Johann Wadephul, auch in den nuklearen Fragen ist der Koalitionsvertrag eindeutig und bündnistreu. Wir haben das in der letzten Debatte bereits herausgearbeitet.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Herbst werden wir eine nationale Sicherheitsstrategie vorlegen: eine Gesamtstrategie, die unsere Werte und Interessen, unsere Ziele und Prioritäten ausbuchstabiert und transparent macht. Das wird die Bundesregierung fordern, aber auch uns hier im Deutschen Bundestag; denn dem Parlament kommt in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu, meine Damen und Herren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kernbegriffe des Koalitionsvertrages sind „strategische Souveränität“ und „strategische Solidarität“. Mit Blick auf die Gespräche in Genf scherzte „Politico“ diese Woche: Die Verhandlungen zwischen den USA und Russland seien die wahre Konferenz zur Zukunft Europas. Eine Konferenz ohne die EU entscheidet über wichtigste Weichenstellungen in Europa. Die wirkliche europäische Zukunftskonferenz von EU-Institutionen und Mitgliedstaaten wird mit diesem Wortspiel abgewertet. Das werden wir nicht zulassen; das kann ich Ihnen versichern. Denn, an die Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU: Der europapolitische Ehrgeiz der Ampel ist definitiv größer als der der GroKo. Wir haben keine Angst vor mehr Europa. Im Gegenteil: Die Ereignisse dieser Woche zeigen doch dem Letzten, wie wichtig es ist, die europäische Souveränität strategisch zu stärken.

Wir wollen und müssen weniger abhängig, weniger verwundbar werden: in der äußeren Sicherheit, aber auch bei Energieversorgung, Rohstoffimporten und digitaler Technologie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Koalition hat sich auch das Ziel gesetzt, das Transatlantische Bündnis zu erneuern. Wir wollen mehr Westen wagen. Wir unterstützen Initiativen wie die Allianz der Demokratien. Wir werden die Beziehungen zu unseren freiheitlichen Wertepartnern weltweit ausbauen und vertiefen.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Jawohl. – Gerade im Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten wollen wir Solidarität mit unseren demokratischen Partnern üben. Das heißt für uns zum Beispiel: Staaten wie Australien, Litauen – –

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Ich bin dabei.

Ich merke das aber nicht so richtig. Das muss ein Schlusssatz werden.

Jawohl.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für uns heißt strategische Solidarität, unseren Partnern weltweit beizustehen, wenn sie von Ländern wie China unter Druck gesetzt werden, oder wie ganz konkret im Moment der Ukraine, wenn der Druck von Russland ausgeht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Sie sind aber streng!)

Aus den Reihen der SPD-Fraktion soll der Abgeordnete Bystron als Faschist bezeichnet worden sein. Wir werden dies prüfen, und deshalb behalte ich mir dafür einen Ordnungsruf vor.

Wir fahren in der Debatte fort. Für Die Linke erhält jetzt das Wort Dr. Gregor Gysi.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7532958
Wahlperiode 20
Sitzung 10
Tagesordnungspunkt Außen, Europa und Menschenrechte
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