13.01.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 11 / Tagesordnungspunkt 2

Carsten Schneider - Bundeskanzleramt (Ostdeutschland, Integration und Kultur)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist auch für mich ein Perspektivwechsel: Nach 20 Jahren in den Reihen der Abgeordneten hier links im Parlament komme ich jetzt von der Regierungsbank. Vielen herzlichen Dank für die Glückwünsche, die mich erreicht haben!

Ich will vor allen Dingen Doro Bär, deren Büro ich übernommen habe, vielen herzlichen Dank sagen. Die Machtübergabe, wie sie in Deutschland stattgefunden hat, war stilbildend und ganz fair. Ich will Ihnen zusagen, dass die Bundesregierung alles tun wird, um auch die Opposition ausführlich zu unterrichten, bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen und stark mit einzubinden.

Das meine ich vor allen Dingen bezogen auf den Themenkomplex, für den ich Verantwortung trage: Ostdeutschland. Wir führen jetzt eine Debatte zum Themenbereich Bundeskanzleramt. Wir werden auch über Kultur reden, meine Kollegin wird zur Integration sprechen. Ich werde den Aspekt Ostdeutschland herausgreifen und Ihnen ein Angebot machen.

Die Bundesregierung hat mit der klaren politischen Entscheidung des Bundeskanzlers Olaf Scholz, den Beauftragten für Ostdeutschland vom Wirtschaftsministerium – dort war mein Vorgänger, der Kollege Wanderwitz, angesiedelt – in das Kanzleramt zu transferieren, eine wichtige Weichenstellung vorgenommen. Das erste Mal war es schon unter Rolf Schwanitz so, und dann ist dieses Amt gewandert. Das hat sich nicht bewährt.

Wenn man sowohl die Sichtbarkeit als auch die politische Durchsetzbarkeit der Interessen, die man strukturpolitisch hat, um die Einheit zu vollenden, um die Wirtschaftskraft voranzubringen, um Universitäten zu stärken, erhöhen will, dann braucht man dieses Amt wirklich an der Spitze der Regierung. Das ist ein klares Bekenntnis von Olaf Scholz für die Region, für Ostdeutschland, und es ist eine klare Verpflichtung der Bundesregierung, dieser Entscheidung etwas folgen zu lassen. Das heißt, Sie können uns daran tatsächlich messen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich will aber auch eines sagen: Ich habe diese Debatten immer hier im Bundestag verfolgt – meine Kollegin Budde ist auch da; ich war immer eher Generalist als der Spezialist für den Osten; ich bin da geboren, ganz klar –, aber was mich gestört hat, war, dass die Debatte in Teilen nur unter Ostdeutschen geführt wurde. Ich möchte gern, dass das Interesse, die Neugierde, die wir aufeinander in diesem Land haben müssen – in der Bevölkerung, aber auch hier im Bundestag –, sich nicht an den Schubladen der Landesgruppen orientiert, sondern allgemein ist, dass wir die Debatten gemeinsam führen. Daran hat es in den letzten Debatten hier gemangelt. Es hat, glaube ich, in unserem Land auch gesellschaftlich in den letzten Jahren zu wenig Zusammenhalt und zu wenig Austausch gegeben.

Wir hatten die Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ mit wichtigen Ergebnissen und entsprechenden Beschlüssen der letzten Bundesregierung. Ich nehme sie, Kollege Müller, als Leitschnur, um die entsprechenden Empfehlungen umzusetzen. Einige sind Teil des Koalitionsvertrages, einige werden wir hier im Bundestag verhandeln müssen.

Es geht gar nicht um eine Sonderbehandlung, sondern es geht darum, dass es trotz unglaublich vieler Milliarden, die in den letzten 30 Jahren investiert wurden, unglaubliche Brüche in den Biografien der Bürgerinnen und Bürger gegeben hat: Ingenieure, die arbeitslos wurden, eine Umschulung gemacht haben und danach in einem viel niedriger bezahlten Beruf angefangen haben. Es geht immer noch um die Statistik zu den Löhnen: Wenn man sie auf einer bundesdeutschen Karte darstellt, dann erkennt man an den geringen Einkommen immer noch das Gebiet der ehemaligen DDR.

Das muss sich zwingend ändern, weil das Selbstbewusstsein, vor allen Dingen aber auch eine Integration in dem Sinne, ein ordentliches Leben zu führen und eine ordentliche Rente zu haben, davon abhängen, dass man ordentliche Löhne und Gehälter bekommt. Die Zeiten des Lohndumpings in Ostdeutschland müssen vorbei sein. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN und des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Ich weiß: Wir haben Tarifautonomie. – Aber wir haben seinerzeit eine klare politische Entscheidung getroffen, nämlich dass wir Mindestlöhne einführen. Ich hatte vorher bei mir in Erfurt die Situation, dass Leute für 3,50 Euro oder 4,50 Euro gearbeitet haben und davon nicht leben konnten. Jetzt wollen wir den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen, und wir wollen die Tarifbindung stärken. Das ist auch eine Frage der Selbstermächtigung und ‑befähigung. Das heißt allerdings, dass man auch bereit sein muss, einen Arbeitskampf zu führen. Man muss auch bereit sein, im Zweifel in eine Gewerkschaft einzutreten. Die Freiheit, die Verantwortung, diese Entscheidung zu treffen, will ich auch als Aufforderung verstehen, mit einem neuen, eigenen Selbstbewusstsein – das wollen wir als Regierung zumindest mit unterstützen – dafür zu kämpfen, dass wir mehr Tarifbindung und ordentliche, zukunftsfähige Arbeitsplätze in Ostdeutschland haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vielleicht noch ein Letztes: Es geht immer auch um strukturpolitische Fragen. In den ersten Jahrzehnten haben wir vor allen Dingen Autobahnen und Eisenbahnen gebaut. Die ICE-Trasse von Berlin nach München über Erfurt ist ein Beispiel. Jetzt geht es darum, dass wir Innovationen sowie Investitionen in Innovationen voranbringen. Das heißt, wir wollen keine nachsorgende Sozialpolitik, sondern wir wollen, dass in die neusten Trends – ich nenne zum Beispiel die Wasserstofftechnologie, die ganz klar im Mittelpunkt stehen wird – vorneweg in Ostdeutschland investiert wird, dass sie dort gefördert werden. Das kann der Zukunfts-Gamechanger sein.

Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen dafür, dass sie schon ihre Bereitschaft signalisiert haben, mich dabei zu unterstützen, dass die entsprechenden Entscheidungen so fallen, dass der Osten tatsächlich Selbstbewusstsein und Zukunft hat. Ich lade auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition zu einem kritischen Dialog dazu ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533104
Wahlperiode 20
Sitzung 11
Tagesordnungspunkt Bundeskanzleramt (Ostdeutschland, Integration und Kultur)
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