Reem Alabali-Radovan - Bundeskanzleramt (Ostdeutschland, Integration und Kultur)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, liebe Frau Widmann-Mauz, mich für die kollegiale Übergabe zu bedanken.
Die Koalition steht für einen neuen Aufbruch. Wir wollen mehr Fortschritt, Respekt und Zusammenhalt, damit wir ein modernes Einwanderungsland sind und alle 83 Millionen Menschen gleiche Chancen haben, damit unsere Vielfalt zu einer starken Einheit wächst.
Heute ist meine erste Bundestagsrede, und bis hierhin bin ich einen langen Weg gegangen. Ich weiß, was es heißt, in einer Erstaufnahme und in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Ich weiß, was es heißt, auf eine Entscheidung der Ausländerbehörde über den Aufenthaltstitel zu warten, und ich weiß, welche strukturellen Hürden wir für eine gleichberechtigte Teilhabe aller noch abbauen müssen. Die Themen meines Amtes als Staatsministerin begleiten mich schon mein ganzes Leben, privat wie beruflich. Ich weiß also auch, welche Chancen unser wunderbares Land bietet. Arbeiten wir gemeinsam daran, dass alle Menschen diese Chancen bekommen und nutzen können!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Alle, das heißt, egal welcher Herkunft, egal in welchem Stadtteil oder Dorf sie leben, egal ob hier in zweiter oder zwölfter Generation zu Hause: Alle sollen ihren Weg gehen können.
Wie wollen wir den Aufbruch nun konkret gestalten?
Mehr Fortschritt. Ein modernes Einwanderungsland braucht ein zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht. Die Einbürgerung ist eine wichtige Voraussetzung für gleichberechtigte Teilhabe. Nur dann kann man den Bundestag und den Landtag wählen und auch dorthin gewählt werden. Um die 5 Millionen Menschen sind seit über zehn Jahren ein fester Teil unserer Gesellschaft, doch sie haben aufgrund ihrer Staatsangehörigkeiten nicht dieselben Rechte. Es ist nicht gut für eine Demokratie, wenn Wohn- und Wahlbevölkerung auseinanderfallen. Darum werden wir schneller und besser einbürgern. Darum ermöglichen wir grundsätzlich die Mehrstaatigkeit. Damit klopfen wir den letzten Staub der Kaiserzeit aus dem Staatsangehörigkeitsgesetz.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zu Fortschritt gehört auch, dass die Vielfalt unserer Gesellschaft überall Stimme und Verantwortung hat. Im Bundestag sind wir weiblicher, jünger und diverser, und das muss überall so sein: in der Wirtschaft und in der Vorstandsetage, im Sportverein und im Stadtteiltreff. Es muss normal sein, dass alle die gleichen Chancen auf die Ausbildung oder den Job haben. Wir werden dafür sorgen, dass Qualifikation entscheidet, nicht der Name, nicht das Aussehen oder die Herkunft, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Mehr Respekt. Wir wollen, dass jeder Mensch einen guten Zugang zu Bildung und Beruf hat, gute Löhne für gute Arbeit, Wertschätzung für jede Lebensleistung. Das gilt auch für Geflüchtete und Geduldete. Viele sind hoch motiviert, aber leben in Unsicherheit. In jedem Wahlkreis gibt es dafür bewegende Beispiele. Bei mir ist das eine ukrainische Familie. Die Frau ist Pflegerin im Seniorenheim, der Mann ist Handwerker, die Kinder gehen zur Schule. Sie sind hier zu Hause; aber die Duldung wurde entzogen, die Abschiebung droht. Gleichzeitig sprechen wir über einen Fachkräftemangel. Das kann nicht sein; das kann niemand verstehen, auch die Unternehmen nicht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])
Respekt heißt deshalb auch: faire Bleibeperspektiven. Wir werden die Kettenduldung ablösen, Ordnung bei den Duldungstatbeständen schaffen und Wege raus aus der Duldung, rein in die Perspektive der Aufenthaltserlaubnis ebnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE])
Mehr Zusammenhalt. Wer über Aufbruch und ein modernes Einwanderungsland spricht, der muss auch die Kehrseiten klar benennen. Ferhat, Gökhan, Hamza, Said, Mercedes, Sedat, Kaloyan, Vili und Fatih – sie waren ein Teil von uns, aus unserer Mitte. Sie waren Deutschland. Sie hatten noch ihr ganzes Leben vor sich; doch sie wurden im Februar 2020 bei dem rassistischen und rechtsextrem motivierten Anschlag in Hanau aus dem Leben gerissen. Ich werde nie vergessen, was ich bei dieser Nachricht gefühlt habe. Das war eine Zäsur.
Weitere grausame Erinnerungen gehören dazu: Solingen, Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Halle und der Mord an Walter Lübcke. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Liste weitergeht.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])
Darum sage ich es noch einmal, auch wenn und gerade weil es einige hier im Saal nicht hören wollen: Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr in unserem Land.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Dazu mahnen auch jährlich über 20 000 Straftaten von rechts, alle etwa 22 Minuten eine Straftat. Oft fängt es mit Worten an – im Bus, im Supermarkt, im Tweet –, weil einige eben nicht wollen, dass wir alle dazugehören. Der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Antiziganismus und weitere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht uns alle an, nicht nur die Betroffenen. Wir sind mehr, und wir müssen das auch zeigen. Wir sind alle gegen rechts!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Götz Frömming [AfD]: Und links!)
Wir machen uns an die Arbeit. Der Aufbruch ist hier und jetzt. Für mehr Fortschritt, für mehr Respekt und für mehr Zusammenhalt in unserem Land – dafür treten wir an.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der Kollege Sepp Müller hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533110 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 11 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzleramt (Ostdeutschland, Integration und Kultur) |