Tino SorgeCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zur SARS-CoV-2-Impfpflicht
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesundheitsminister hat sich ja geweigert, einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten. Deshalb finde ich die Orientierungsdebatte auch vor dem Hintergrund sehr interessant, dass er uns vielleicht heute verraten wird, wie sein Vorschlag genau aussieht. Ich glaube, auch die 80 Millionen Menschen in Deutschland interessiert das. Insofern möchte ich zu Beginn meiner Rede kurz darauf hinweisen, dass es wirklich schade ist, dass bei diesem Thema, über das wir heute in einer Orientierungsdebatte diskutieren, keinerlei – ich sage jetzt mal – Richtung des Bundeskanzlers oder auch des Gesundheitsministers vorgegeben worden ist.
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Ihnen die Orientierung fehlt, ist Ihnen anzumerken! – Zuruf der Abg. Heike Baehrens [SPD])
Das erinnert mich so ein bisschen an ein Versteckspiel. Man spielt zusammen Verstecken und hofft, dass irgendjemand ein Konzept zur Impfpflicht vorlegt, wenn man nur lange genug darauf wartet.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich möchte in diesem Kontext jedenfalls darauf hinweisen, dass wir als Union diese Debatte sehr begrüßen. Aber wir hätten uns gewünscht, dass wir diese Debatte schon viel früher geführt hätten, nämlich vor Weihnachten, nachdem wir einen langen Fragenkatalog an das Bundeskanzleramt geschickt hatten. Wir hätten im Vorfeld dieser Debatte gern gewusst, wie bestimmte Fragen seitens der Bundesregierung einsortiert werden.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ist der schon beantwortet?)
Die Fragen – ja, das muss man sagen – sind zwar gestern beantwortet worden. Aber auf die 22 wichtigsten Fragen wurde in sage und schreibe zwölf Zeilen geantwortet.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ehrlich? – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ist das die angebotene Hilfe?)
Insofern frage ich mich: Ist das der Anspruch der Bundesregierung? Ich hoffe, nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesundheitskrise, in der wir uns befinden, hat historische Ausmaße. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir uns überlegen: Wie können wir aus dieser Pandemie herauskommen? Insofern ist es im Rahmen dieser Debatte ganz wichtig, voranzustellen, dass Impfen der Weg aus der Pandemie ist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns darüber verständigen, wie eine Impfpflicht denn aussehen könnte, und nicht nur Plattitüden in den Raum stellen und sagen: „allgemeine Impfpflicht“, „keine Impfpflicht“, was auch immer. Wir müssen uns vielmehr darüber verständigen, wie wir die Impfpflicht ausgestalten können.
(Zuruf von der FDP: Machen Sie mit!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns auch die fachlichen Bedenken ernster nehmen. Wir hätten uns gewünscht, dass schon im Vorfeld der Debatte auf Fragen eingegangen worden wäre wie: Wie kann so eine Impfpflicht genau ausgestaltet werden?
Verfassungsrechtliche Fragen spielen dabei eine Rolle. Juristen sagen uns: Angesichts der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen ist es nicht so einfach, zu sagen: „Wir machen eine allgemeine Impfpflicht“, wenn nicht erklärt wird, wie denn diese Impfpflicht aussehen könnte. Die Mediziner sagen uns: Impfen schützt bei Corona. – Wir wissen aber mittlerweile, dass die Impfstoffe nach einer gewissen Zeit an Wirksamkeit verlieren. Das sind alles Punkte, die wir bereits im Vorfeld hätten diskutieren müssen. Das sind alles Fragen, die uns die Bürger jeden Tag stellen, und niemand, gerade bei den Bürgern, hat Lust, sich alle drei oder vier Monate boostern zu lassen. Boostern ohne Ende kann nicht die Option sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ein wichtiger Punkt!)
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die pauschalen Lösungen fast immer die schlechtesten Lösungen sind. Deshalb sollten wir in der Debatte differenzieren. Es muss doch gerade darum gehen, neben der Frage des Ob einer Impfpflicht auch zu diskutieren, wie diese Impfpflicht aussehen könnte. Da sollten wir genauer hinschauen und überlegen: Wie könnte das denn geschehen? Zu der Frage hätte ich mir gewünscht, dass der Bundesgesundheitsminister nicht nur in Talkshows eine Meinung äußert und eine allgemeine Impfpflicht fordert, sondern dass er auch mal sagt, wie er sich das vorstellt. Geht es dabei um konkrete Gruppen? Wie ist das Risiko einzelner Gruppen zu bewerten?
(Zurufe von der FDP)
Wie ist die Variante Omikron vor dem Hintergrund der Hospitalisierungen zu bewerten? Auch zeitliche Komponenten wären zu konkretisieren.
Noch mal: Wir brauchen eine ordentliche Datengrundlage.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in dieser Debatte doch auch darüber sprechen, wie wir diese Datengrundlage verbreitern könnten. Ist dafür beispielsweise ein Impfregister der richtige Weg? Das ist ein wichtiger Punkt, über den wir sprechen müssen. Bei der Diskussion über die Frage, wie wir die Datengrundlage verbessern können, müssen wir auch darüber sprechen, wie diese feinen Nuancierungen und Abstufungen im Rahmen der Impfpflicht ausgestaltet werden können.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht immer nur alles schlechtreden; denn zu dieser Debatte gehört auch, die positiven Dinge anzusprechen. Wir tun immer so, als hätten wir im Rahmen der Debatte, insbesondere im Hinblick auf eine Impfpflicht, überhaupt nichts geschafft. Wenn wir auf die Zahlen schauen, stellen wir fest: 84 Prozent der Erwachsenen sind mittlerweile vollständig geimpft. 90 Prozent der Senioren sind mittlerweile geimpft. Das sollten wir nicht kleinreden. Aber wir sollten immer darauf hinweisen, dass Impfen der Weg aus der Krise ist.
Zum Thema Datengrundlage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Fallzahlen und Krankenhausinzidenz sind als Indikatoren gut; sie müssen aber durch weitere Parameter ergänzt werden. Wir brauchen einen fortlaufenden Überblick über die Auslastung der normalstationären Kapazitäten: digital, regional, differenziert. Das DIVI-Register beispielsweise könnte dafür ein gutes Vorbild sein. Wir müssen aber auch präziser erfassen, wo Arztpraxen an Belastungsgrenzen geraten. Genauso wichtig ist der Überblick über die Funktionsfähigkeit kritischer Infrastruktur.
Wir brauchen also ein präziseres Lagebild, wir brauchen aber auch in der Debatte weniger Aufgeregtheit. Wir müssen in der Debatte immer genau begründen, warum die Notwendigkeit für eine Impfpflicht in einzelnen Bereichen besteht. Denn Omikron – das sage ich wie viele andere auch – ist zwar eine dominante, aber auch eine mildere Variante. Deshalb werden wir, glaube ich, im Frühjahr einiges Althergebrachtes überdenken müssen und bei der Frage, welche Lösungen wir in den Blick nehmen, eher auf differenziertere statt pauschale setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach zwei Jahren Pandemie und erheblichen Grundrechtseingriffen, denke ich, sollten wir uns auch hier im Parlament im Rahmen der Debatte gegenseitig zugestehen, dass insbesondere im Hinblick auf die Impfpflicht ein breites Meinungsspektrum herrscht. Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass wir bei der Frage, wie wir diese Debatte führen, im Vorfeld zumindest einen Entwurf gehabt hätten, den man im parlamentarischen Verfahren hätte diskutieren können.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Wo ist Ihr Antrag?)
Das ist leider nicht passiert. Jetzt kann man sagen: Das ist vergossene Milch. – Mein persönlicher Wunsch ist allerdings, dass unser Koordinatensystem auch bei diesen ganzen Debatten nicht dafür verloren geht, was der Staat tun sollte und was nicht. Auch die Prinzipien der Eigenverantwortung der Bürger und der Zurückhaltung des Staates sollten wir nicht vergessen. Insofern werden wir bei der Frage hier im Parlament wie üblich letztendlich einen Kompromiss finden.
Noch mal: Das beste Instrument, um aus der Pandemie herauszukommen, ist das Impfen. Aber solange kein Instrument mit absolutem Schutz zur Verfügung steht, wäre auch eine absolute Impfpflicht der falsche Weg. Dennoch geht es darum, dass wir als Union einen pragmatischen Ansatz finden: Differenzieren statt Aktionismus, Pragmatismus statt Panik. Das ist für die Akzeptanz unverzichtbar; denn eine Impfpflicht, die wir vor Ort umsetzen müssen und wollen, wird nur dann akzeptiert, wenn sie tatsächlich umgesetzt werden kann und nachvollziehbar ist.
Und nicht zuletzt: Wir sollten uns in der politischen Kultur und in der gesellschaftlichen Debatte die Tür zur Versöhnung offen halten. Lassen Sie uns das nicht vergessen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533311 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 13 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zur SARS-CoV-2-Impfpflicht |