26.01.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 13 / Tagesordnungspunkt 3

Takis Mehmet AliSPD - Vereinbarte Debatte zur SARS-CoV-2-Impfpflicht

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich mit dem Inhaltlichen anfange, möchte ich noch eine Sache loswerden. Wer diese Debatte heute verfolgt, der wird feststellen, in was für einer lebhaften Demokratie wir sind und dass wir solch eine Debatte in einer Diktatur gar nicht führen würden, anders als einige Verschwörungstheoretiker und einige Demokratiefeinde in diesem Land behaupten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte meine Aufmerksamkeit in meinem Redebeitrag den Einrichtungen der Eingliederungshilfe und den Menschen mit Behinderungen widmen. Wir haben ungefähr vor eineinhalb Monaten die partielle Impfpflicht eingeführt. Die wird bestimmte Konsequenzen mit sich bringen. Das spüren wir teilweise schon; das hört man auch in den Diskussionen mit der Freien Wohlfahrtspflege. Ich möchte aber klarstellen, dass nicht die partielle Impfpflicht das Problem ist, sondern insbesondere in der Eingliederungshilfe die seit 30, 40 Jahren ausbleibende Schaffung neuer Infrastrukturen. Wir haben teilweise eine Refinanzierungsstruktur in der Behindertenhilfe gehabt, die wirklich zu wünschen übrig lässt.

Ich habe Ihnen heute ein Rechenbeispiel mitgebracht, das die Situation in Baden-Württemberg verdeutlicht. Stellen Sie sich ein 24er-Wohnheim bei einem Personalschlüssel von 1 : 2,54 vor. Das bedeutet: 9,44 Vollzeitstellen. Die Landespersonalverordnung in Baden-Württemberg besagt, dass davon nur 50 Prozent Fachkräfte sein dürfen. Das bedeutet, dass ich 4,72 Fachkräfte und 4,72 Hilfskräfte habe, und die darf ich dann auf drei Wohngruppen verteilen. Bitte sehen Sie sich das an, meine Damen und Herren! Wenn davon ein, zwei Personen die Einrichtung verlassen, tut das den Einrichtungen weh.

Deshalb müssen wir uns die Frage stellen: Wohin wandert denn das Personal ab? Es wandert aktuell in die übrigen Hilfestrukturen, in die Jugendhilfe, in die Obdachlosenhilfe ab, dorthin, wo die Menschen momentan eine Arbeitsheimat finden können. Erschwerend kommt hinzu, dass in einem Wahlkreis wie meinem, Lörrach – Müllheim, an der Schweizer Grenze, die Kolleginnen und Kollegen sagen: Dann fahr ich halt mal zehn Minuten rüber und schaff a bissle in der Schweiz. – Das erschwert die Situation in den Einrichtungen zusätzlich. Aber wir können das Problem lösen, nämlich mit einer allgemeinen Impfpflicht, weil sich dann jeder in diesem Land, der in diesen Hilfestrukturen arbeiten möchte, verpflichten muss, seinen Beitrag zu leisten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was vielleicht zusätzlich erschwerend dazukommt, ist der Umstand, dass die Einrichtungen und die Menschen mit Behinderungen oder ihre Angehörigen auch Sorgen haben, was passiert, wenn die Gesundheitsämter in den Einrichtungen ihren Ermessensspielraum ausüben. Wir haben in Baden-Württemberg beispielsweise 44 Stadt- und Landkreise, die zuständig sind. Dann macht das Gesundheitsamt in dem einen Landkreis das, und das Gesundheitsamt in dem anderen Landkreis entscheidet das. Das bringt Unsicherheiten. Auch hier können wir sagen: Wenn wir eine allgemeine Impfpflicht haben, werden wir die Probleme der partiellen Impfpflicht aufheben können und damit auch Sicherheit bei den Leistungserbringern, bei den Leistungsberechtigten und bei den Leistungsträgern schaffen, meine Damen und Herren.

(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Zudem steuern wir gegebenenfalls auf eine Struktur hin, die ich selber „konkurrierendes Ordnungsrecht“ nenne. Wir werden auf der einen Seite die landesspezifischen Regelungen haben, wie beispielsweise die Heimgesetze, die die Einrichtungen dazu verpflichten, ihrer Pflicht zur Erbringung von Leistungen gegenüber Menschen mit Behinderungen nachzukommen. Wenn aber Personal ausfällt, weil Beschäftigte vielleicht krank werden, weil sie sich angesteckt haben, wird dies dazu führen, dass das restliche Personal mehr gefordert wird. Was passiert, wenn dann auf der anderen Seite das Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten werden kann? Das heißt, ich habe auf der einen Seite das Heimgesetz, auf der anderen Seite das Arbeitszeitgesetz, zwei ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen, die miteinander konkurrieren. Die Einrichtungen und die Menschen mit Behinderungen wissen heute immer noch nicht, was dann die Konsequenz sein wird.

Auch hier können wir sagen: Wer Verantwortung für Menschen mit Behinderungen übernimmt, die in Einrichtungen leben oder die alleine leben, die Leistungen der Dienste in Anspruch nehmen, der wird auch weiterhin Leistungen für Menschen mit Behinderungen erbringen können. – Ach so, die Zeit ist schon vorbei.

(Heiterkeit)

Ja, die ist schon länger vorbei. Das ist das Zeichen da vorne.

Das ist sehr, sehr ärgerlich. – Meine sehr geehrten Damen und Herren – ich appelliere auch an die Menschen, die in den Einrichtungen arbeiten –: Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschen mit Behinderungen da sein! Ich hätte Ihnen gern noch so viel Wichtiges erzählt; aber das mache ich ein andermal.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nächster Redner: der Abgeordnete Sepp Müller aus der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533322
Wahlperiode 20
Sitzung 13
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur SARS-CoV-2-Impfpflicht
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