27.01.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 14 / Zusatzpunkt 1

Friedrich MerzCDU/CSU - Vereinbarte Debatte Frieden in Europa sichern – Territoriale Integrität der Ukraine

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen vermutlich alle noch unter dem Eindruck der Reden, die wir heute Morgen zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gehört haben. Es erfüllt mich mit etwas Beklemmung, wenige Minuten später hier im Deutschen Bundestag über die Frage reden zu müssen, ob nicht möglicherweise erneut ein Krieg in Europa droht – ein Krieg, Frau Baerbock, kein Fußballspiel.

Herr Bundeskanzler, wir hätten uns durchaus vorstellen können, dass nicht die Bundestagsfraktionen auf unsere Initiative hin heute Morgen diese Debatte beantragt hätten, sondern dass Sie als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu dieser Lage eine Regierungserklärung abgegeben hätten und anschließend eine Debatte im Deutschen Bundestag stattfindet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren ja lange nicht hier, aber das ist eine Vereinbarte Debatte, kein Antrag der CDU/CSU!)

Es droht ein Krieg in einem Teil unseres Kontinents, der von den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges in besonders brutaler Weise betroffen war. Auf dem Territorium der heutigen Ukraine hat es grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung gegeben, vor allem an der jüdischen Bevölkerung. Die Ukraine hat allein im Zweiten Weltkrieg mehr als ein Viertel ihrer Bevölkerung verloren. Und schon vor dem Zweiten Weltkrieg war die Ukraine vielfältig Opfer: des russischen Bürgerkriegs, der Kollektivierung unter Stalin und nicht zuletzt des Hitler-Stalin-Paktes von 1939. Deswegen, Frau Baerbock, erlaube ich mir den Hinweis: Wenn Sie an anderer Stelle mit Verweis auf die deutsche Geschichte zur Rücksichtnahme und zur Zurückhaltung ermahnen, was wir teilen, dann kann das nicht nur an die Adresse Russlands gehen, dann muss das auch und ganz besonders an die Adresse der Ukraine gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Ich denke, wir müssen deshalb heute zunächst einmal einige Dinge miteinander klären: Wir sind uns vermutlich hier im Deutschen Bundestag weitgehend einig, dass Russland ein europäisches Land ist, das wir alle gern als Teil einer stabilen politischen Ordnung in Europa sehen würden. Ich will persönlich hinzufügen: Die meisten von uns haben die Rede, die Wladimir Putin von dieser Stelle aus wenige Tage nach Nine Eleven im Jahr 2001 fast ausschließlich in deutscher Sprache vor dem Deutschen Bundestag gehalten hat, in Erinnerung.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Beifall aller Fraktionen!)

Ich habe diese Rede hier im Parlament miterlebt. Ich sage ganz ausdrücklich: Ich bedaure, dass die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder die Angebote, die Putin gemacht hat, nicht angenommen hat, und ich bedaure, dass ich als Oppositionsführer im Jahr 2001 die Bundesregierung unter Gerhard Schröder vier Wochen später nicht gefragt habe, warum er diese Angebote nicht angenommen hat.

Aber, meine Damen und Herren, das war der Putin von 2001. Diejenigen von Ihnen, die an der Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 in München teilgenommen haben, wissen, dass wir seit dem Jahr 2007 einen anderen Putin haben. Dieser Putin und dieses Russland destabilisieren seit 15 Jahren systematisch die politische Ordnung in Europa, und dies unter beständiger Verletzung der Verträge und Vereinbarungen, die Russland und zuvor die Sowjetunion verbindlich eingegangen sind.

Cyberangriffe auf den Deutschen Bundestag, Auftragsmorde und Giftanschläge im eigenen Land und in anderen Ländern Europas bis hin zu der als „Tiergartenmord“ in die Öffentlichkeit gelangten Ermordung eines Georgiers hier in unmittelbarer Nähe, wenige Hundert Meter vom Deutschen Bundestag entfernt, im Tiergarten: Das ist der tägliche Bestand des Handelns des russischen Staates.

Vorrangiges Ziel der permanenten Destabilisierung durch Russland ist ganz offensichtlich seit einigen Jahren die Ukraine. Erst die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, zugleich das Eindringen russischer Truppen und paramilitärischer Einheiten in die Ostukraine und seit einigen Wochen nun ein massiver Truppenaufmarsch an mehreren Stellen, auch in Belarus, im Zangenangriff auf die gesamte Ukraine.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir uns hier im Deutschen Bundestag in der Feststellung einig sind, dass diese Gefährdung des Friedens in Europa ausschließlich von der Russischen Föderation und ausschließlich von Wladimir Putin ausgeht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der AfD: Da sind wir uns nicht einig!)

Und deshalb, Herr Bundeskanzler, sagen wir Ihnen trotz der sehr unklaren Position Ihrer eigenen Partei zu Russland, die offensichtlich auch Ihr Handeln bestimmt: Nicht allein wir, die Opposition im Deutschen Bundestag, sondern auch die Menschen in unserem Land erwarten von Ihnen jetzt, dass Sie im deutschen Parlament eine klare Einschätzung der Lage aus Ihrer Sicht geben und dass Sie vor allem die Konsequenzen daraus für Deutschland und für Europa aufzeigen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie, so wie alle Ihre Vorgänger im Amt des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, mit Partnern in der Europäischen Union Initiativen ergreifen. Und wenn sich nicht alle 27 Mitgliedstaaten beteiligen können oder wollen, dann sollten Sie wenigstens mit Frankreich, mit Polen, mit den baltischen Staaten und auch mit Großbritannien gemeinsame klare Antworten geben. Dies erfordert eine klare und unzweifelhafte Haltung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es kann sein, dass wir noch etwas Zeit haben. Aber dann, Herr Bundeskanzler, darf an der europäischen und darf auch an der deutschen Entschlossenheit kein Zweifel entstehen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und diese Zweifel sind da. Sie haben es immerhin fertiggebracht, in dem ansonsten heillos zerstrittenen amerikanischen Kongress eine vollkommen einheitliche Einschätzung des unklaren Bildes und der Unzuverlässigkeit der Bundesrepublik Deutschland entstehen zu lassen. Das ist Ihre Verantwortung, Herr Bundeskanzler, das ist Ihre Politik. Sie führen nicht, weder in Deutschland noch in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und wer, wie Sie, diese Zweifel entstehen lässt, sich erkennbar – jedenfalls für die deutsche Öffentlichkeit; es kann ja sein, dass Sie im Stillen viel Gutes tun –

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

zu wenig um dieses Problem kümmert, der vergrößert das Risiko nicht nur für die Bevölkerung in der Ukraine, sondern auch für die politische Stabilität in ganz Europa.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)

Ich erteile das Wort dem nächsten Redner: Lars Klingbeil, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533376
Wahlperiode 20
Sitzung 14
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte Frieden in Europa sichern – Territoriale Integrität der Ukraine
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