Alexander Graf LambsdorffFDP - Vereinbarte Debatte Frieden in Europa sichern – Territoriale Integrität der Ukraine
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen hier eine Debatte unter dem Titel „Frieden in Europa sichern“, weil wir eine Kriegsgefahr in Europa sehen, die nach übereinstimmender Analyse in diesem Haus – mit Ausnahmen, die nicht weiter erheblich sind – von Russland ausgeht.
Ich möchte an diesem Tag, am 27. Januar, daran erinnern, dass man den Menschen in Russland nichts über die Gräuel des Krieges erzählen muss. Der 27. Januar 1944 war der Tag, an dem die Rote Armee die Blockade von Leningrad nach über 900 Tagen Belagerung durch die deutsche Wehrmacht endlich durchbrochen hat. Über 1 Million Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Die Blockade von Leningrad war ein Kriegsverbrechen, ein grauenhaftes Kriegsverbrechen. Sie steht symbolisch für all die Opfer, die alle Völker der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg erbracht haben – eben auch Weißrussen, Ukrainer genauso wie die Russen, meine Damen und Herren. Wir verneigen uns vor diesen Opfern und nehmen die Verantwortung an, die uns aus diesen Taten erwächst.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Aber so wenig man den Menschen in Russland über die Gräuel des Krieges sagen muss, so dringend scheint es zu sein im Dialog mit der aktuellen russischen Regierung. Wir müssen diesen Krieg abwenden, der uns in Europa droht. Dazu – und das will ich hier ausdrücklich unterstreichen – ist Diplomatie auf allen Kanälen das Mittel der Wahl:
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
im NATO-Russland-Rat, im Normandie-Format, bilateral mit der OSZE und mit der Europäischen Union. Das ist der Weg, wie wir versuchen, Frieden in Europa zu schaffen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nun hat gestern Außenminister Lawrow verkündet, dass für die OSZE und die Europäische Union kein Platz am Verhandlungstisch sei. Für mich heißt das dreierlei.
Erstens. Mit ihrer Ablehnung der OSZE zeigt die Russische Föderation, dass ihr Präsident offenbar nicht weniger will, als die europäische Friedensordnung von 1990 zurückzudrehen: die Ablehnung der Charta von Paris, die Ablehnung des Wiener Dokuments, vielleicht sogar die Ablehnung der Schlussakte von Helsinki. Wir müssen die russische Seite daran erinnern, dass sie all diese Dokumente unterschrieben hat und dass sie sich an sie zu halten hat.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens. Für uns als Europäische Union bleibt der Frieden auf dem europäischen Kontinent unser erstes und fundamentalstes Interesse. Wir sind bereit, russische Sicherheitsbedürfnisse zu adressieren auf der Basis des Völkerrechts. Aber wir sind nicht bereit, meine Damen und Herren, wie es Wiktor Jerofejew gestern formulierte, der russischen Regierung die Schaffung einer zweiten Wirklichkeit zuzugestehen. Nicht die NATO bedroht Russland, auch nicht die Ukraine. Nicht die NATO hat die europäische Friedensordnung durch die Verlegung von 100 000 Soldaten an die Grenzen eines anderen Landes gestört. Nicht die NATO hat Soldatinnen und Soldaten in Ländern stationiert gegen den Willen der betroffenen Regierungen. Keine NATO-Soldaten stehen in Georgien, in der Republik Moldau oder in der Ukraine. Es sind die Soldaten der Russischen Föderation, meine Damen und Herren. Die russische Seite wäre erheblich glaubwürdiger, wenn Präsident Putin den Rückzug dieser Truppen anordnen würde.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens. Wir dürfen uns als Westen nicht auseinanderdividieren lassen. Ein Einmarsch Russlands in die Ukraine, die Verletzung der territorialen Integrität und ihrer Grenzen muss weitere ernsthafte Konsequenzen für Moskau haben, politisch, wirtschaftlich und finanziell. Ich finde es in dieser Hinsicht extrem gut, wie eng die Abstimmung mit unseren europäischen, aber auch mit unseren amerikanischen Partnern in der NATO erfolgt.
Die NATO hat gerade erklärt, dass sie bereit ist, weiter mit Russland zu reden. Die amerikanische Seite hat erklärt, dass sie 8 500 Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Die Bedeutung von Worten und Gesten ist allen klar. Auch das Ziehen von roten Linien ist nötig; aber es ist dann wichtig, diese roten Linien auch zu respektieren. Alle Optionen liegen auf dem Tisch, meine Damen und Herren. Wir sollten keine Option vom Tisch nehmen, um die Kalkulation derer, die in Moskau die Kriegsgefahr anheizen, leichter zu machen. Im Gegenteil: Machen wir die Kalkulation so schwierig wie möglich. Machen wir den Krieg in Europa unwahrscheinlich. Sichern wir den Frieden auf unserem Kontinent.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich erteile das Wort Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533381 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 14 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte Frieden in Europa sichern – Territoriale Integrität der Ukraine |