27.01.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 14 / Zusatzpunkt 1

Michael RothSPD - Vereinbarte Debatte Frieden in Europa sichern – Territoriale Integrität der Ukraine

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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, am 27. Januar, gedenken wir der Opfer des Holocaust. Alleine 24 Millionen Menschen – Soldatinnen und Soldaten, Zivilistinnen und Zivilisten – fielen dem Vernichtungskrieg von Nazideutschland auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zum Opfer – unendliches Leid!

Und wir erinnern der furchtbaren Orte des Grauens und der Vernichtung. Das betrifft aber nicht nur das heutige Russland; das betrifft eben auch die anderen Staaten, die aus der Sowjetunion hervorgegangen sind. Malyj Trostenez ist ein Ort der Vernichtung und des Grauens in Belarus. Babyn Jar ist ein Ort der Vernichtung und des Grauens unweit von Kiew. Deshalb ist die Verantwortung, über die wir immer wieder sprechen, eine Verantwortung, die wir allen Staaten des östlichen Europas zuteilwerden lassen. Das erfordert viel Sensibilität, aber eben auch Mitgefühl und Empathie.

Die Ukraine wird nicht irgendwie abstrakt bedroht. Sie wird ganz konkret bedroht, und das seit vielen, vielen Jahren: 2014 die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die militärische Unterstützung der Separatisten im Osten der Ukraine – das ist ein kriegsähnlicher Zustand seit vielen Jahren – und jetzt der Aufzug von 100 000 gefechtsbereiten Soldaten an der Grenze zur Ukraine. Das ist eine Bedrohung der Sicherheit nicht nur für die Ukraine, nicht nur für die Staaten und Gesellschaften Osteuropas, sondern es ist auch eine Bedrohung der Sicherheit für uns in Deutschland und der Europäischen Union, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Viele in Deutschland, vor allem auch meine Partei, sind stolz auf die Ostpolitik von Willy Brandt und von vielen anderen, die im Prinzip die Voraussetzung dafür geschaffen hat, dass Deutschland, aber eben auch Europa wiedervereinigt werden konnte. Deshalb muss unsere Botschaft immer sein: Go east!

Ich stelle fest, dass es in unserer Gesellschaft, aber auch bei uns selber viel zu wenig Interesse daran gibt, was sich derzeit im östlichen Europa abspielt. Wenn wir heute über eine europäische Ostpolitik sprechen – das wäre meine Ermutigung –, dann muss das heißen, dass wir die Souveränität und die Bündnisfreiheit der Staaten im Osten Europas anerkennen. Über deren Zukunft wird nicht allein in Moskau entschieden, sondern in deren Hauptstädten, in deren Gesellschaften. Das gilt sowohl für die NATO-Mitgliedschaft als auch für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union.

(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir dürfen keine Türen verschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir über europäische Ostpolitik sprechen, dann müssen wir immer auch die Sicherheitsinteressen unserer mittel- und osteuropäischen Partnerinnen und Partner miteinbeziehen. Wir können doch nicht einfach die Augen davor verschließen, dass sich Polinnen und Polen, die Menschen in den baltischen Staaten, konkret bedroht fühlen von einer solchen militärischen Aufrüstung.

Wenn wir über europäische Sicherheit sprechen, dann fordern wir zu Recht mehr europäische Souveränität in der Sicherheits-, Verteidigungs- und in der Außenpolitik. Das darf aber nicht gegen die NATO gerichtet sein, sonst verlieren wir die mittel- und osteuropäischen Länder, die vor allem ihre Sicherheitsinteressen in der NATO gewahrt wissen.

Es muss darum gehen, dass wir die Formate, die wir haben – OSZE, NATO-Russland-Rat –, auch wieder ernst nehmen, dass wir auch endlich wieder über Angebote sprechen, die wir Russland im Bereich der Rüstungskontrolle, im Bereich der Abrüstung unterbreiten können, dass wir wieder vertrauensbildend tätig sind.

Wenn es etwas gibt, was für mich zwingend zu einer europäischen Ostpolitik gehört, dann ist es die Zivilgesellschaft: It’s the civil society, stupid! Wir können doch nicht die Augen davor verschließen, dass Putin seit Jahren die kritischen Teile der Zivilgesellschaft ausgrenzt, kriminalisiert und an den Rand der Gesellschaft drängt. Deswegen muss es uns darum gehen, dass wir dieser Bewegung für Demokratie und Freiheit zumindest Gehör verschaffen.

Herr Putin hat doch nicht in erster Linie Angst vor den NATO-Soldatinnen und NATO‑Soldaten; er hat Angst vor der Kraft von Demokratie und Freiheit, die von uns, von der Europäischen Union, ausgeht. Deshalb müssen wir dieser demokratischen und freiheitlichen Bewegung auch immer wieder zum Durchbruch verhelfen, indem wir diesen Menschen Mut machen und ihnen sagen: Ja, wir nehmen auch das wahr, was mit euch passiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und wir brauchen – last, but not least – mehr Austausch, mehr Begegnung. Ich habe schon vor Jahren vorgeschlagen, dass wir ein eigenes Jugendwerk für Osteuropa auf den Weg bringen, wo sich junge Menschen aus der Europäischen Union, aus Russland und aus anderen osteuropäischen Staaten begegnen, dass wir mehr tun im Bereich von Wirtschaft und Wissenschaft und dass wir auch dazu beitragen, dass wir endlich wieder über eine Friedensordnung sprechen, die aber nicht darauf beruht, –

Kommen Sie bitte zum Schluss.

– dass Russland permanent zur Destabilisierung Osteuropas beiträgt; das ist kein Gebot der Stunde. Darüber müssen wir reden. Deswegen sind die Gespräche, die wir jetzt führen, auch unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesregierung, so unendlich wichtig.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich erteile das Wort Petr Bystron, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533385
Wahlperiode 20
Sitzung 14
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte Frieden in Europa sichern – Territoriale Integrität der Ukraine
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