Johannes SchrapsSPD - Vereinbarte Debatte Frieden in Europa sichern – Territoriale Integrität der Ukraine
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, die uns hier alle beschäftigt, die auch medial derzeit rauf und runter gefragt wird – auch mir wurde sie in den letzten Tagen mehrfach gestellt –, ist an sich ja etwas skurril, nämlich die Frage, ob Russland nun einen Krieg gegen die Ukraine anfängt, die Frage, die Friedrich Merz hier gerade gestellt hat, ob es einen Krieg in Europa gibt. Sie ist skurril; denn diesen Krieg gegen die Ukraine – da wird mir Botschafter Melnyk sicher zustimmen – gibt es bereits seit 2014, und er dauert leider bis heute an, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Niklas Wagener [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
In diesem Sinne ist der erste Teil des Titels unserer heutigen Debatte – „Frieden in Europa sichern“ – fast etwas irreführend; denn wir haben diesen Krieg bereits seit 2014. Aber in der Tat hat sich die Situation mit dem russischen Truppenaufmarsch in den vergangenen Wochen besorgniserregend zugespitzt. Selbstverständlich muss aktuell deshalb alles darangesetzt werden, um mit diplomatischen Mitteln eine weitere Eskalation dieses Krieges zu verhindern, so wie es unsere Bundesregierung richtigerweise tut.
Offensichtlich fällt es der russischen Staatsführung außerordentlich schwer, das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundlage des Völkerrechts anzuerkennen. Und weil es Putin für sein innenpolitisches Narrativ braucht, möchte er ebenso wenig sehen, dass die NATO-Mitgliedschaft einzelner Nachbarstaaten keine Gefahr oder Bedrohung für Russland darstellt. Umso wichtiger ist es, gegenüber Putin sehr deutlich zu artikulieren, dass die erneut im Raum stehende Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine keinesfalls toleriert wird. Die Unverletzlichkeit von Grenzen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, muss wieder von allen akzeptiert werden.
(Beifall bei der SPD)
Insofern stimmt zumindest der zweite Teil des Titels unserer Debatte. Ich bin froh, dass dieses klare Signal aus der heutigen Debatte ganz eindeutig hervorgeht.
In den letzten Tagen wurde immer wieder Kritik daran laut, dass Deutschland keine Waffen an die Ukraine liefert. Für mich persönlich bleibt die Frage offen, ob Waffenlieferungen an die Ukraine tatsächlich mehr Sicherheit gegenüber einer Bedrohung durch Russland bringen oder ob sie nicht im Gegenteil einen Konflikt anheizen können, der vielleicht besser auf anderen Wegen entschärft werden sollte. Unsere Position ist jedenfalls deutlich: Solange eine friedliche Lösung möglich ist, werden wir sie anstreben. Dafür muss auf diplomatischem Wege jede Möglichkeit genutzt werden, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Robin Wagener [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das hat nichts mit Russlandfreundlichkeit oder mit Freundlichkeit zu irgendeinem Land zu tun, sondern mit einem umsichtigen, bedachten Vorgehen, das auf eine friedliche Konfliktlösung ausgerichtet ist. Zugleich sagen wir der russischen Führung klar und deutlich, dass ein Einmarsch in die Ukraine einen sehr hohen Preis haben würde. Zu Recht tun wir das in der heutigen Debatte parteiübergreifend noch mal mit besonderem Nachdruck, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Als Europapolitiker möchte ich hier noch einen Aspekt betonen, der mir in einer zumindest öffentlich-medial teils sehr polarisierten Debatte viel zu kurz kommt, nämlich die gemeinsame europäische Außenpolitik. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat die Ukraine zu Recht als einen Teil Europas bezeichnet und betont, dass es keine Sicherheit in Europa ohne die Sicherheit der Ukraine gibt. Beides stimmt. Nur sitzt Europa – das hat der Kollege Djir-Sarai gerade richtigerweise angesprochen – bei den Gesprächen zwischen Putin, den USA und der NATO selten mit am Tisch. Wir als Europäer müssen aufpassen, dass wir in einer Großmachtauseinandersetzung auf europäischer Stellvertreterbühne nicht zum vollkommen unbeteiligten Zuschauer werden.
Leider wird in der öffentlichen Debatte weniger über die Möglichkeiten eines gemeinsamen europäischen Vorgehens gesprochen, wie es Außenministerin Baerbock vorhin dankenswerterweise sehr deutlich getan hat. Vielmehr werden vermeintliche Unterstützungsleistungen einzelner Länder einander gegenübergestellt und gegeneinander aufgewogen: Die baltischen Staaten liefern Luftabwehrraketen. Die Ukraine versucht, gegenüber Deutschland aus der Fehlleistung einer einzelnen Person, die nebenbei bemerkt sehr klare und schnelle Konsequenzen nach sich gezogen hat, sehr grundsätzliche Forderungen abzuleiten. Polen verkauft bereits seit Jahren gepanzerte Fahrzeuge an die Ukraine. Die Briten liefern Panzerabwehrwaffen. Und Deutschland und Frankreich versuchen derweil, im Normandie-Format auf diplomatischem Wege zu einer Entspannung des Konflikts beizutragen. – Es ist gut, dass gestern in Paris nach langer Zeit endlich wieder Gespräche in diesem Format stattfanden. Ich denke, wir alle wünschen uns, dass sie erfolgreich zu einer Deeskalation beitragen können. Die Beispiele zeigen aber deutlich den fehlenden Konsens für eine gemeinsame EU-Außenpolitik. Diese Uneinigkeit bringt Europa in die Zuschauerrolle. Dabei geht es nicht nur um die aktuelle Situation, sondern um die grundsätzliche Frage, ob Europa als starker politischer Akteur gemeinsam handeln und auftreten kann.
Kurzfristig wünsche ich mir deshalb eine diplomatische Konfliktlösung über die gestern wieder begonnenen Gespräche im Normandie-Format. Mittel- und langfristig wünsche ich mir, dass wir Europäer endlich als gemeinsamer außenpolitischer Akteur auftreten, um uns in Konfliktsituationen nicht als kleine Einzelstaaten, sondern gemeinsam mit Kraft und Nachdruck für friedliche Lösungen einsetzen zu können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Herr Kollege Schraps. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533388 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 14 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte Frieden in Europa sichern – Territoriale Integrität der Ukraine |