Nancy Faeser - Aktuelle Stunde - Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lindholz, Sie haben hier von richtigem Gespür gesprochen. Sie sollten endlich dazu übergehen, wenn es um eine Form des Extremismus geht, nicht immer reflexartig die andere hervorzuholen.
(Zuruf von der AfD)
Das ausgerechnet in dieser Debatte anlässlich des zweiten Jahrestages von Hanau zu tun, fand ich mehr als unangemessen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Und obwohl ich es unangemessen finde, sage ich diesen einen Satz noch: Wenn Sie mit mir hier über eine klare Abgrenzung zum Linksextremismus reden, werde ich auch dazu reden und mich ganz klar gegen Linksextremismus stellen und nicht reflexartig nach rechts gucken. Vielleicht lernen Sie davon auch was für Ihre Äußerungen gegenüber diesen Phänomenen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov nie vergessen. Sie fehlen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Sie alle hatten viel vor in ihrem Leben. Für sie alle war Hanau ihr Zuhause. Sie wurden mit entsetzlicher Brutalität ermordet. Viele Familien haben das Schlimmste erlebt, was passieren kann: Sie haben ihre Kinder verloren.
Der rassistische Terroranschlag in Hanau hat unser ganzes Land zutiefst erschüttert. Der 19. Februar 2020 bleibt ein tiefer Einschnitt für unser Land. In dieser Woche gedenken wir der Opfer. Heute haben wir im Kabinett beschlossen: Ab diesem Jahr ist der 11. März der nationale Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt. Wir wollen, dass das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen uns allen in Staat und Gesellschaft bewusster wird. Wir wollen, dass die Stimmen der Opfer gehört werden und ihre Perspektive zählt. Wir wollen die Familien der Opfer mit mehr Empathie und mit mehr Sensibilität unterstützen, auf allen staatlichen Ebenen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Meine Damen und Herren, viele Menschen in Hanau kannten die Ermordeten. Der Täter kannte seine Opfer nicht. Und doch wollte er genau sie treffen. Er ermordete neun Menschen, weil sie eine Einwanderungsgeschichte haben. In seinem mörderischen Rassismus, seinem fanatischen Hass und Verschwörungsdenken erklärte er sie zu „Fremden“. Das waren sie aber nicht. Sie waren Teil unserer Gesellschaft. Daran dürfen wir als Staat nicht den geringsten Zweifel lassen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Das Schicksal der Angehörigen der Ermordeten treibt mich sehr um – viele habe ich kennengelernt, ich hatte viele persönliche Begegnungen und Kontakte, und ich werde auch am Samstag bei ihnen sein. Deshalb sage ich auch hier ganz deutlich: Der Staat schuldet den Familien der Opfer eine transparente und lückenlose Aufarbeitung aller Hintergründe dieses entsetzlichen Anschlags.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Wir, der Bund, und das Land Hessen haben die Pflicht, aufzuklären. Nur so haben die Angehörigen die Möglichkeit, mit dem grauenvollen Geschehen leben zu können, und nur so kann das tief verletzte Vertrauen in unseren Staat wieder wachsen, bei den Angehörigen, aber auch bei anderen Menschen, die immer wieder rassistische Angriffe erleben. Dieser Anschlag hatte eine Wirkung weit über Hanau hinaus. Viele von uns können sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn Rassismus zum Alltag gehört.
Zwei Jahre nach dem Anschlag sind noch viele Fragen offen. Der Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag bietet nun endlich die Chance für eine umfassende Aufarbeitung. Als hessische Landespolitikerin habe ich mich sehr dafür eingesetzt. Als Bundesinnenministerin werde ich alles dafür tun, dass auch vonseiten des Bundes Transparenz und umfassende Unterstützung erfolgen. Das ist eine Frage der Empathie und der Verantwortung. Und das ist mein Verständnis von einem Staat, der aus Versäumnissen und Fehlern lernt, einem Staat, der handelt und Konsequenzen zieht.
Dieser Anschlag kam nicht aus dem Nichts, und er geschah auch alles andere als zufällig. Die Spur des rechten Terrors zieht sich auch durch unsere jüngere Geschichte: Solingen, Mölln, Hoyerswerda, der Terror des NSU, der Anschlag am Münchner Olympia-Einkaufszentrum, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten, meinem ehemaligen Kollegen Dr. Walter Lübcke, der Terror von Halle und Hanau. Wer es vorher noch nicht verstanden oder verharmlost hat, dem muss nach Hanau endlich klar sein: Der Rechtsextremismus ist die schlimmste Bedrohung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Und deshalb hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus unsere höchste Priorität. Wir werden alles tun, um die Menschen, die in unserem Land bedroht und angegriffen werden, besser zu schützen. Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Wir bekämpfen die Feinde der offenen Gesellschaft. Wir bekämpfen jede Form von Extremismus mit aller Kraft. Diese Gewalt hat einen Nährboden: ein menschenfeindliches Klima, das gewaltbereite Extremisten anstachelt und im schlimmsten Fall zur Tat schreiten lässt. Geistige Brandstifter schüren diesen Hass bewusst. Sie liefern die mentale Munition für solche Taten. Diese Hetzer wissen, was sie tun. Sie haben Unterstützer, die Menschenhass und Rassismus auch aus unseren Parlamenten heraus verbreiten. Ich kann Ihnen sagen: Wir stellen uns jeder Menschenverachtung ganz entschieden entgegen, hier und überall in unserem Land.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie der Abg. Dr. Katja Leikert [CDU/CSU])
Und ich sage auch: Sie werden sich an eine Frau mit einer klaren Haltung an der Spitze des Bundesinnenministeriums gewöhnen müssen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Wir setzen alles daran, den Nährboden für rechtsextreme Gewalt auszutrocknen. Vom ersten Tag an im Amt habe ich einen klaren Kurs eingeschlagen, um die Eskalation von Hass und Gewalt zu stoppen. Wir haben die Ermittlungen des Bundeskriminalamts deutlich intensiviert. Und wir haben deutlichen Druck auf Plattformen wie Telegram aufgebaut. Ich kann heute sagen, dass wir erste Erfolge haben. Ich bin stolz darauf, dass von 68 gemeldeten zu löschenden Seiten jetzt 64 gelöscht wurden. Ich bin froh, dass wir das erreichen konnten,
(Gabriele Katzmarek [SPD]: Sehr gut!)
dass Posts, die Hass und Hetze verbreiten – im Übrigen auch gegen Kommunalpolitiker und andere, die Verantwortung tragen –, nun gelöscht wurden. Dafür darf ich mich auch sehr herzlich bedanken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Das ist ein Anfang. Wir werden weiter darauf drängen, dass das Unternehmen den gesetzlichen Pflichten nachkommt. Morddrohungen und andere gefährliche Hassposts müssen gelöscht werden und deutliche strafrechtliche Konsequenzen haben. Wir müssen Hetzer schnell identifizieren und zur Verantwortung ziehen.
Ich habe es hier an dieser Stelle im Januar angekündigt: Als Bundesinnenministerin werde ich bis Ostern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen. Wir setzen alles daran, Radikalisierung zu stoppen und rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen. Wir werden die Finanzströme der Extremisten verfolgen und ihnen ihre Einnahmequellen nehmen, und wir werden ihnen sehr konsequent die Waffen entziehen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Doch tief verwurzelter Menschenfeindlichkeit konsequent zu begegnen, ist nicht allein die Aufgabe einer starken Polizei und gut ausgestatteter Sicherheitsbehörden. Es ist auch die Aufgabe von uns allen als Gesellschaft. Deshalb werden wir gesellschaftliches Engagement, politische Bildung und Extremismusprävention stärken. Wir werden das demokratische Engagement unzähliger Vereine, Verbände, Initiativen – der Kollege Nouripour hat es genannt – in ganz Deutschland endlich verlässlich und umfassend fördern. Das ist die beste Antwort auf Menschenverachtung, Intoleranz und Gewalt. Deshalb werden Familienministerin Anne Spiegel und ich das Demokratiefördergesetz auch schnell auf den Weg bringen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Ministerin!
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Wir kriegen sonst ein Geschäftsordnungsproblem.
Wir werden uns an die Opfer des 19. Februar 2020 in Hanau immer erinnern. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov bleiben immer in unserer Erinnerung. Sie fehlen.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533635 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 16 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau |