Benjamin Strasser - Aktuelle Stunde - Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren wurden bei einem rassistischen Anschlag in Hanau neun Menschen brutal ermordet. Für die neun Familien, deren Freunde und Bekannte ist die Welt seitdem eine andere. Geliebte Menschen fehlen. Sie fehlen als Eltern, als Kinder, als Geschwister, als Arbeitskollegen. Und zu diesem menschlichen Verlust mischen sich oft weitere Ängste und finanzielle Sorgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau deshalb ist es so wichtig, dass wir heute diese Debatte führen und das Schicksal der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Nach dem Anschlag gab es eine große Anteilnahme und viele Zeichen der Solidarität, und auch die Bundesregierung und verschiedene Landesregierungen haben geholfen: durch finanzielle Unterstützung und andere praktische und psychologische Hilfen. Und trotzdem müssen wir uns eingestehen, dass in zu vielen Fällen nicht angemessen und umsichtig genug mit den Betroffenen von Anschlägen umgegangen wurde und umgegangen wird.
Wenn Überlebende wie Said Etris Hashemi berichten, dass sie noch im Krankenhaus von der Polizei aufgesucht und im Rahmen einer Gefährderansprache aufgefordert wurden – Zitat – „keine Straftaten zu begehen, sich an niemandem zu rächen und die Füße stillzuhalten“, dann sollte uns das im höchsten Maße zu denken geben. Andere Angehörige wiederum beklagen eine mangelnde Kommunikation sowie einen zu bürokratischen Umgang.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen besser werden, und wir wollen auch besser werden!
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen, liebe Frau Bundesministerin Faeser, war es heute so ein wichtiges und starkes Zeichen, dass Sie gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium im Kabinett beantragt haben, den 11. März zum nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt zu erheben – nicht nur, weil es ein Wunsch der Betroffenen war, sondern weil es auch ein Signal an die Opfer, die Überlebenden und die Angehörigen ist, nicht nur von Hanau: Ihr Leid ist nicht vergessen. Es ist eine stetige Mahnung und Aufgabe, insbesondere an Verbesserungen in der Opferbetreuung und Nachsorge zu arbeiten.
Und genau das wird die Bundesregierung tun.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden Lücken im Opferentschädigungsrecht konsequent schließen. Wir werden die Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe NOAH auch für die Tätigkeit bei Anschlägen in Deutschland öffnen und so das bereits bestehende Know-how im Umgang mit Opfern weiter professionalisieren und ausbauen.
Die Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen erfahren unermessliches individuelles Leid. Doch jeder dieser Anschläge richtet sich auch gegen unsere offene und vielfältige Gesellschaft. Umso mehr ist es Verpflichtung und Aufgabe dieser Bundesregierung, stetig an der bestmöglichen Versorgung zu arbeiten. Die NSU-Terrorserie und die schrecklichen Anschläge vom Breitscheidplatz, von Halle und Hanau zeigen: Aus Worten können Taten werden. Allen Anschlägen ist eine massive Radikalisierung der Täterinnen und Täter vorausgegangen.
Und es ist eben auch das gesellschaftliche Klima, das zu einer solchen Radikalisierung beiträgt.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir sollten deshalb nicht nur im Parlament auf unsere Wortwahl und den Umgang untereinander achten, sondern auch Beleidigungen, Volksverhetzung und Mordaufrufe verfolgen, die Straftaten sind – egal ob online oder offline, sie sind Straftaten.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Deswegen wird die neue Bundesregierung alle Mittel eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaats nutzen, um solche Straftaten konsequent zu ahnden und zu verfolgen. So hat der Bundesjustizminister gemeinsam mit der Bundesinnenministerin die Gangart gegenüber Plattformen wie Telegram deutlich verschärft. Es steht eben nicht im Belieben eines Unternehmens, ob es sich an deutsches Recht halten möchte oder nicht, ob Straftaten verfolgt werden oder nicht.
Und deswegen werden wir uns darüber hinaus als Bundesregierung gemeinsam mit der französischen Ratspräsidentschaft dafür einsetzen, über den Digital Services Act zeitnah ein effektives rechtsstaatliches Instrument der Plattformregulierung in Europa zu etablieren. Wir müssen den Fahndungsdruck im Netz erhöhen, damit diejenigen, die sich dort strafbar machen, das nicht mehr in der Gewissheit tun können, dass ihnen keine Konsequenzen drohen. Die Praxis zeigt: In der Regel fehlen den Behörden nicht die Befugnisse, sondern die Kapazitäten, um Straftaten zu verfolgen. Deswegen sind auch die Länder in der Verantwortung, beispielsweise Internetstreifen einzurichten, die hier einen ganz wichtigen Beitrag leisten können. Aber bei allem, was getan worden ist und was noch zu tun ist, müssen wir ehrlich sein: In einer offenen, freien Gesellschaft werden wir Anschläge nie ganz verhindern können.
Die Betroffenen – letzter Satz – haben aber den berechtigten Anspruch, dass wir aus Fehlern lernen und Konsequenzen ziehen, dass der Tod dieser Menschen, dieser schlimme Tod, nicht umsonst war, nicht nur eine Mahnung ist, sondern dass er ein Auftrag bleibt.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich war schuldlos an dieser kurzen Unterbrechung.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Janine Wissler, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533637 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 16 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau |