16.02.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 16 / Zusatzpunkt 1

Hakan DemirSPD - Aktuelle Stunde - Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war 35 Jahre alt, und noch nie in meinem Leben wollte ich Deutschland verlassen. Doch dann kam Hanau. Neun junge Menschen wurden ermordet, Menschen wie Sie und ich, Menschen, die Gedichte schrieben, Menschen, die heiraten, ein Leben haben wollten. Niemand wird den Schmerz und das Leid der Hinterbliebenen nachempfinden können. Dafür ist der Schmerz zu groß.

Viele der Hinterbliebenen haben die Zimmer der Opfer unberührt gelassen. Die Bettwäsche ist nicht abgezogen. Es ist wichtig, dass wir hier gemeinsam gedenken; denn der Anschlag auf ihre Söhne und Töchter, ihre Schwestern und Brüder, Mütter und Väter war ein Anschlag auf uns alle.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Aber da ist noch etwas anderes, etwas, das über Trauer und Anteilnahme hinausgeht: Der Täter von Hanau hat seine Opfer nicht zufällig ausgewählt. Er hat nicht zufällig die Bar „La Votre“, die Shishabar „Midnight“ und die Arena Bar mit ihrem angrenzenden Kiosk ausgewählt. Er tat dies, weil er wusste, dass dort Menschen arbeiten und ihren Feierabend verbringen, die Gültekin, Unvar, Gürbüz, Hashemi, Kierpacz, Kurtović, Saraçoğlu, Velkov und Păun hießen. Er tat es aus Hass auf Menschen, die er als Ausländer wahrnahm, die er in seinem Rassismus nicht als Deutsche akzeptieren konnte.

Und wir wissen: Hanau ist kein Einzelfall. Noch an diesem Montag habe ich die Familie und Freunde von Burak Bektaş in meinem Wahlkreis Berlin-Neukölln getroffen. Er wäre an diesem Montag 32 Jahre alt geworden. Er wurde auf offener Straße getötet. Ich hatte seine Mutter mal gefragt, was wir als Politiker/-innen tun können. Sie sagte: Findet einfach den Mörder meines Sohnes.

Gestern sprach ich kurz mit Abdullah Unvar, dem Cousin von Ferhat Unvar. Er fand diesen Gedanken noch wichtig: Der Großvater von Ferhat Unvar hat Straßen in Hanau gebaut, die der Täter genutzt hat. – Der Großvater hat also etwas aufgebaut, aber es gibt Menschen in diesem Land, die zerstören wollen. Das dürfen wir nicht zulassen. Straßen können vielleicht neutral sein, aber wir dürfen es nicht sein.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Nach der Tat in Hanau wurde von einem fremdenfeindlichen Anschlag gesprochen. Ein Anschlag auf Fremde, die in Hanau, Langen oder Offenbach geboren wurden? Nein, sie sind keine Ausländer, keine Fremden, das waren sie auch nie. Sie sind ein Teil von uns, und sie werden es auch immer bleiben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Zugegeben: Der Rassismus in dieser Gesellschaft kann dazu führen, dass Menschen unserer Gesellschaft den Rücken kehren. Es wäre nur zu verständlich. Stattdessen leisten die Opferfamilien Aufklärungsarbeit und klagen Versäumnisse an. Sie erzählen ihre Geschichte, lassen das Andenken an die Opfer nicht verblassen und engagieren sich in der Kommunalpolitik und in Initiativen. Diese Kraft ist einfach beeindruckend.

Auch andere Menschen schöpfen Kraft aus ihrem Beispiel. So weiß ich, dass viele Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Raum gesagt haben, dass sie jetzt erst recht für den Bundestag kandidieren wollen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nur um einige der wenigen beispielhaft zu nennen: Kaweh Mansoori, Reem Alabali-Radovan, Sanae Abdi.

Kolleginnen und Kollegen, ich war 35 Jahre alt, und noch nie in meinem Leben wollte ich Deutschland verlassen. Dann kam Hanau, aber ich bin geblieben wie viele andere auch; denn das hier ist auch unser Land, das ist auch unsere Sache. Wir werden nicht vergessen, wir werden nicht weichen. Unser Weg hin zu einer offenen und solidarischen Gesellschaft geht weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Ich erteile ebenfalls zu seiner ersten Rede das Wort Michael Breilmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533639
Wahlperiode 20
Sitzung 16
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine