16.02.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 16 / Zusatzpunkt 1

Konstantin KuhleFDP - Aktuelle Stunde - Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag gedenkt heute der Opfer des rechtsextremen Terrorakts von Hanau vor zwei Jahren. Und wenn wir heute über dieses Ereignis debattieren, dann müssen wir zunächst über die Opfer sprechen. Der Anschlag von Hanau betraf in erster Linie Menschen, die selbst oder deren Familien nach Deutschland eingewandert sind. Damit steht der Anschlag in Hanau in einer Reihe mit den Morden des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes; denn auch die Taten des sogenannten NSU richteten sich in erster Linie gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Wenn man selber keine Vorfahren hat, die nach Deutschland eingewandert sind, wenn man selber selten oder niemals für jemanden gehalten wird, der einen Migrationshintergrund hat oder der beispielsweise muslimisch ist, dann kann man sich nur sehr schwer vorstellen, wie die Taten des NSU und wie der Anschlag von Hanau sich auf das Sicherheitsgefühl bestimmter Individuen und bestimmter Gruppen in Deutschland ausgewirkt haben.

Ich will aber auch sagen, liebe Frau Kollegin Gambir: Die Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus ist nicht nur die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern mit Migrationshintergrund, sondern die Aufgabe von allen Politikerinnen und Politikern. Das müssen wir gemeinsam hier in diesem Haus voranbringen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Dazu gehört, dass wir die Sicherheitsbedenken der betroffenen Communitys ernst nehmen. Dazu gehört, dass wir auch in der Ausbildung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten stärker darauf drängen, dass es eine Sensibilität für die berechtigten Sicherheitsinteressen dieser Gruppen gibt. Und dazu gehört ein neuer Umgang mit Opfern. Der Kollege Staatssekretär Strasser hat es gesagt: Es gibt leider immer mehr Opfer terroristischer Gewalttaten in unserem Land. – Ich bin auch dem neuen Beauftragten der Bundesregierung, Pascal Kober, dankbar, dass er bereits konkrete Vorschläge gemacht hat, etwa im Hinblick auf den leichteren Zugang zu Entschädigungsleistungen.

Meine Damen und Herren, wenn wir über die Tat von Hanau sprechen, dann müssen wir über die Opfer sprechen. Wir müssen aber auch über die Radikalisierungsgeschichte des Täters sprechen. Denn nicht jedes Motiv, das der Täter in seinen Pamphleten, in seinen Manifesten verbreitet hat, lässt sich eindeutig dem Rechtsextremismus, lässt sich eindeutig dem Rassismus zuordnen. Wenn man sich das durchliest, dann stellt man fest, dass der Täter auch Verschwörungsmythen verbreitete, die auf den ersten Blick oder wenn sie isoliert auftreten, verrückt oder abseitig herüberkommen. Aber es ist eben genau dieses Zusammenspiel aus Verschwörungserzählungen und gewaltorientierten extremistischen Radikalisierungsprozessen, das die besondere Gefährlichkeit von Tätern wie im Fall des Anschlags von Hanau ausmacht.

Es gibt eine ganz akute Überlappung von Verschwörungsmythen auf der einen Seite und Radikalisierung auf der anderen Seite: die einfachen Erklärungen für komplexe Sachverhalte, die Einteilung der Welt in Gut und Böse. Es gibt zahlreiche Studien, ältere wie neue, die sich ganz besonders mit dieser Überlappung von Verschwörungsmythen und Radikalisierung auseinandersetzen. Genau diese wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen endlich in unseren Sicherheitsbehörden ankommen. Die müssen Teil der Ausbildung sein, die müssen Teil der Personalauswahl sein. Es ist ja gut, wenn da Juristen arbeiten; aber da müssen auch Leute arbeiten, die ein Verständnis für internationale, digitale radikale Codes haben, die das lesen und verstehen können und ein Gespür dafür entwickeln, wenn sich in unserem Land etwas zusammenbraut. Ich bin dankbar, dass diese Erkenntnisse und diese Gewissheit jetzt auch im Bundesinnenministerium angekommen sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich auch etwas zu den politischen Konsequenzen insgesamt sagen. Wir stehen am Beginn einer neuen Legislaturperiode. In der vergangenen Legislaturperiode, der 19., gab es neben dem rechtsextremen Anschlag von Hanau im Februar 2020 den antisemitisch motivierten Anschlag von Halle im Oktober 2019. Vier Monate zuvor wurde der Kasseler Regierungspräsident und CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten erschossen. Die 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages war damit ganz klar gekennzeichnet von mehreren tödlichen rechtsextremistischen Anschlägen. Deswegen ist es auch total richtig, dass zu Beginn der 20. Wahlperiode eine neue Bundestagsmehrheit und eine neue Bundesregierung sagen: Das ist jetzt unser Schwerpunkt.

Erinnern wir uns doch einmal zurück an die Zeit vor zwei Legislaturperioden. Während der 18. Wahlperiode, am 19. Dezember 2016, gab es den islamistischen Anschlag am Berliner Breitscheidplatz. Es starben 13 Menschen. Infolge dieser Tat war in der darauffolgenden Legislaturperiode die Bekämpfung des Islamismus ein ganz zentrales Anliegen dieses Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, und das war richtig so.

Aber, meine Damen und Herren, einen Arbeitsschwerpunkt auf ein konkretes oder akutes Problem, hier den Rechtsextremismus, zu legen, bedeutet nicht, andere Formen des Extremismus zu vernachlässigen. Unsere Sicherheitsbehörden und unsere Innenpolitik sind auf keinem Auge blind. Es muss aber möglich sein, über konkrete Maßnahmen zu sprechen. Das Analysetool RADAR-rechts für rechtsextreme Gefährder muss fertig werden. Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage für das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum und das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum im Bereich des Rechtsextremismus. Und wir brauchen eine konsequente Entwaffnung von Rechtsextremisten und Reichsbürgern auf der Basis des geltenden Waffenrechts; dazu brauchen wir es gar nicht zu verschärfen.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kuhle.

Meine Damen und Herren, der Satz „Jeder Extremismus ist schlimm; es gibt keinen guten Extremismus“ ist so richtig wie banal. Wir sind es aber den Opfern jedes terroristischen Anschlags schuldig, –

Bitte kommen Sie zum Schluss.

– den Ursachen für die Tat genau auf den Grund zu gehen, um künftig derartige Anschläge zu vermeiden. Das sind wir auch den Opfern von Hanau schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu seiner ersten Rede erteile ich das Wort Lennard Oehl, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533642
Wahlperiode 20
Sitzung 16
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau
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