17.02.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 17 / Zusatzpunkt 2

Ralf StegnerSPD - Haltung des Westens zur Politik Russlands

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ich in dieser Woche nicht auf dem Juso-Gruppenfoto meiner Fraktion dabei sein durfte und auch nicht zur Senkung des Altersdurchschnitts in diesem Hause beitrage, ist es meine erste Rede als Mitglied des Deutschen Bundestages. Das ist für mich eine große Ehre – und dann geht es gleich um den Frieden in Europa.

Neben der Coronakrise steht unsere Koalition vor einer ersten großen Bewährungsprobe. Der massive russische Militäraufmarsch an den ukrainischen Grenzen und die Spannungen in den letzten Wochen bedrohen den Frieden in einer Weise, wie es kaum einer von uns für möglich gehalten hätte.

In dieser Situation kommt die neue Oppositionsfraktion mit einem Antrag daher, der mich dann doch wieder in die Juso-Zeiten zurückführt. Das, was Sie in Ihrem Papier zusammengeschrieben haben, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ist der Retrosound „Alle Wege führen nach Moskau“. Da passt es ins Bild, wenn der Kollege Ploß unsere Ministerpräsidentin Manuela Schwesig diffamiert, nur weil sie seine Meinung nicht teilt. Es fehlen eigentlich nur noch die „vaterlandslosen Gesellen“ in Ihrem Antrag.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie auch mal zum Thema?)

Wenn oben auf Ihrem Antrag nicht „20. Wahlperiode“ stehen würde, Herr Oppositionsführer, könnte man meinen, das, was da steht, stamme aus Ihrer ersten Amtszeit.

(Heiterkeit der Abg. Katja Mast [SPD])

Ich will einen Satz daraus zitieren, den Sie aber nicht an die Bundesregierung richten sollten, sondern an sich selbst. Denn: Nach Ihrem Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, „ihren gefährlichen Schlingerkurs in der Russlandpolitik zu beenden“. Aber der bayerische Ministerpräsident hat sich ganz anders geäußert, als Sie das in Ihrem gemeinsamen Antrag von CDU und CSU hier eingebracht haben. Bei Herrn Söder ist es wahrscheinlich eine Frage der Uhrzeit, was gerade gilt, was seine Position angeht.

Nun mag man Ihnen, lieber Kollege Wadephul, Ihre Rollenfindung zugutehalten. Aber wenn Sie gestern mit uns gegen Waffenlieferungen und heute für Waffenlieferungen sind: Wofür sind Sie dann eigentlich morgen? Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn es um Krieg und Frieden geht, ist eine solche Schaukelpolitik gefährlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

Zum Glück sitzen weder Herr Merz noch Herr Söder im Auswärtigen Amt und im Kanzleramt, sondern Olaf Scholz und Annalena Baerbock, und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gute Außenpolitik braucht Verlässlichkeit, Disziplin und ein felsenfestes Wertefundament. Genau das haben der Bundeskanzler und Sie, Frau Außenministerin, in den letzten Wochen in Kiew, in Moskau, in Brüssel, in Washington vorzüglich bewiesen. Herzlichen Dank dafür. Übrigens: Der Bundeskanzler ist entschuldigt, weil er die baltischen Staaten gerade über seine Gespräche in Moskau informiert, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

Einigkeit der Alliierten, Zurückhaltung bei der öffentlichen Kommunikation und Geduld für Diplomatie: Zur Professionalität gehört es übrigens auch, dass Diplomatie nicht in Interviews betrieben wird, sondern hinter verschlossenen Türen. Die Schachspieler unter Ihnen sollten wissen: Wer die nächsten fünf Züge vorher ankündigt, der verliert wahrscheinlich die Partie. Das ist nicht schlau – transparent ja, aber nicht schlau.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

Bundeskanzler Scholz hat im Sinne einer wertebasierten und realitätsbezogenen Außen- und Sicherheitspolitik genau das Richtige gesagt: Für uns in Deutschland und Europa kann es nachhaltige Sicherheit nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland geben. – Entsprechend hat sich übrigens auch der französische Staatspräsident Macron geäußert. Im Koalitionsvertrag heißt es: Eine konsistente europäische Politik gegenüber Russland muss die unterschiedlichen Perzeptionen von Bedrohung einbeziehen. – Rolf Mützenich hat recht: Man muss die russischen Positionen nicht teilen, um diese Perspektiven nachvollziehen zu können. Natürlich haben sich die Verhältnisse gegenüber der Ostpolitik von Willy Brandt und Walter Scheel geändert. Was sich aber nicht geändert hat, sind Geschichte und Geografie.

In den letzten Tagen war auch von den richtigen Lehren die Rede, die wir zu ziehen hätten. Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg angezettelt, halb Europa verwüstet und war verantwortlich für das monströse Verbrechen des Holocausts mit Millionen von Opfern in Polen, Russland, der Ukraine und in vielen anderen Ländern. Nach 1945 wurden wir wieder in die Völkerfamilie aufgenommen. Wir haben wie kein anderes Land vom Frieden in Europa profitiert. Natürlich müssen wir Verantwortung für Sicherheit und Frieden übernehmen; aber das kann doch nicht heißen, dass Deutschland ein Lieferant von Waffen in Krisengebiete wird, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nein, Deutschland hat eine andere Rolle. Wir müssen mehr als jeder andere für Frieden kämpfen. Wir müssen mehr als jeder andere die Ukraine wirtschaftlich unterstützen. Wir müssen mehr als jeder andere vom Normandie-Format über die OSZE bis hin zu Minsk alles, aber auch wirklich alles dafür tun, dass die Diplomatie Erfolg hat.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt: Ausgleich berechtigter Interessen auf der Basis von Menschenrechten, Demokratie, Souveränität und territorialer Integrität der Staaten Europas.

Die Bundesregierung handelt geeint und im Einklang mit unseren Verbündeten. Joe Biden hat bei der Pressekonferenz mit Olaf Scholz in Washington gesagt, dass es keinerlei Zweifel an der Zuverlässigkeit der deutschen Bundesregierung gäbe. Was sagt der Oppositionsführer? Das zeige die Zweifel an der deutschen Bundesregierung. Ich bewundere Ihre dialektischen Fähigkeiten, Herr Kollege Merz. Ich will gar nicht wissen, was Sie gesagt hätten, wenn Herr Biden das nicht erwähnt hätte – wahrscheinlich das Gegenteil.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Es ist doch klar: Sollte es zu einer militärischen Eskalation kommen, müsste Russland einen hohen Preis zahlen. Dann würden die westlichen Alliierten gemeinsam, schnell, geeint und hart handeln. Aber bevor nichts mehr geht, heißt es für uns immer wieder: „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“ Das hat übrigens ein kluger sozialdemokratischer Altkanzler gesagt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in Moskau zur Frage einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine betont, diese Frage stehe auf absehbare Zeit nicht auf der Tagesordnung. Es gehe darum, pragmatische Lösungen zu finden, die beide Seiten tragen können, ohne die Grundsätze aufzugeben. So hat es John F. Kennedy klugerweise in der Kuba-Krise gehalten. Das war die Logik der Ostpolitik, und das gilt auch heute, wenn es um Frieden und Krieg in Europa geht. Den Antrag der Union werden wir ablehnen.

Ja, lieber Olaf Scholz, es ist unsere verdammte Pflicht, für den Frieden einzutreten. Oder wie es Ihr Amtsvorgänger Willy Brandt formuliert hat: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne Frieden nichts.“

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das hätte der Regierungssprecher nicht besser formuliert!)

Ich möchte noch einmal kurz daran erinnern, dass wir um 11 Uhr den Wahlgang schließen. Sollte also noch jemand hier im Raum oder im Hause sein, der noch nicht gewählt hat, dann schnell.

Nächster Redner für die AfD-Fraktion ist Dr. Alexander Gauland.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533680
Wahlperiode 20
Sitzung 17
Tagesordnungspunkt Haltung des Westens zur Politik Russlands
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