17.02.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 17 / Tagesordnungspunkt 8

Ariane FäscherSPD - Vereinbarte Debatte - Internationaler Frauentag

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frauen! Liebe Kinder! Liebe Menschen! „ Break the Bias!“, brechen wir die Voreingenommenheit! So lautet das Motto des diesjährigen Internationalen Frauentages. Er fußt auf dem Kampf der Frauen für ihr Wahlrecht.

Die Feministin Clara Zetkin forderte damals keine Sonderrechte, sondern Menschenrechte für Frauen. Das war 1908. Und heute? Wie 1908! Wir fordern die Hälfte des Geldes. Wir fordern die Hälfte der Macht. Noch immer sitzen in deutschen Vorständen mehr Männer mit dem Namen „Thomas“ als Frauen.

(Lachen des Abg. Tino Chrupalla [AfD] – Martin Reichardt [AfD]: Thomas muss weg! – Gegenruf des Abg. Tino Chrupalla [AfD]: Genau! Langsam muss aber Schluss sein mit dem Thomas!)

Noch immer verdienen Frauen ungefähr 20 Prozent weniger als Männer. Mit dem Mindestlohn werden wir ab Oktober endlich einen entscheidenden Schritt weiterkommen, dieses Verhältnis anzugleichen, und auch Altersarmut wirksam bekämpfen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Frauen wollen euch, liebe Männer, liebe Kollegen, aber gar keine Rechte wegnehmen. Wir wollen nur umgekehrt, dass Männlichsein nicht mehr automatisch privilegiert ist. Was wir, liebe Mitstreiter/-innen, hingegen nicht unterschätzen dürfen, das ist die gefühlte Bedrohung, die davon ausgeht, 50 Prozent der Macht abzugeben. Macht sichert Kontrolle und Überlegenheit. Das Gegenteil von Macht ist Ohnmacht, und ihr häufigstes Gegenmittel ist Gewalt. Daher durchzieht Gewalt, die oft struktureller Natur ist, in unendlich vielen Spielarten die allermeisten Frauenleben von Kindheit an: sexueller Missbrauch, weibliche Genitalverstümmelung, diskriminierende Sprache, die Frauen zum Objekt macht, Stalking, verschiedenste Formen sexueller Gewalt bis hin zum Mord.

In der Pandemie wurde mehr als jede zehnte Frau von ihrem Partner bedroht, geschlagen und vergewaltigt. Die Zahlen korrelieren mit den Finanzsorgen, Ängsten und Depressionen ihrer Männer. Frauen mit Behinderung sind noch zwei- bis dreimal häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen als andere Frauen. Und hier geht es nicht um Lust. Es geht um Dominanz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Alle zwei bis drei Tage – Frau Spiegel hat das bereits erwähnt – wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Richter nennen das meistens eine „Beziehungstat“ und verurteilen deswegen maximal wegen Totschlag. Feministinnen hingegen nennen es Femizid.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber was können wir tun? Strafrecht kann das Problem nicht lösen. Denn egal welche Strafe ein Täter bekommt: Das Opfer hat bereits „lebenslänglich“.

Im Koalitionsvertrag haben wir nach der Istanbul-Konvention den Anspruch auf Schutz für jede Frau formuliert. Das ist richtig und gut. Allerdings stehen den empfohlenen 21 400 Plätzen in Frauenhäusern heute faktisch nur 6 800 existierende Plätze gegenüber. Unsere Strategie besteht also momentan wesentlich darin, Hilfestrukturen für Opfer auszubauen.

Aber das ist der gleiche, unglaublich teure und oftmals leider nur sehr begrenzt funktionierende Reparaturbetrieb, den wir uns im Gesundheitswesen, im Strafvollzug und in der Jugendhilfe leisten. Der beste Opferschutz ist daher Prävention. Sorgen wir dafür, dass niemand mehr aus Hilflosigkeit oder aus Angst zum Täter werden muss. Das erreichen wir durch niedrigschwellige Gesprächs- und Therapieangebote, die dabei helfen, die eigene Ohnmacht in gestaltende Kraft zu übersetzen, und durch ein Männerbild, das die Auseinandersetzung mit Ängsten und Gefühlen als Stärke und nicht als Schwäche interpretiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Begleiten wir zudem die Kinder ab der Kita beim gesunden Großwerden auch emotional, indem wir Psychologen und Sozialpädagogen fest in pädagogischen Teams verankern und diese die Nöte der Kinder auch als die Nöte der Familien betrachten und daran arbeiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine talentorientierte Bildung würde Menschen zudem ihre Stärken entwickeln lassen, damit sie sich selbstwirksam, fähig und zukunftsfest fühlen können. Das würde auch die gesellschaftliche Resilienz erhöhen und Menschen weniger anfällig für Angst, Verschwörungsmythen, Hass und Gewalt machen.

Albert Einstein sagte: Man kann ein Problem nicht aus dem Geist heraus lösen, der es geschaffen hat. – Deswegen ist es Zeit für eine weiblichere Weltsicht. Es ist Zeit, auch hier mehr Fortschritt zu wagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es ist Zeit für Liebe und Empathie als Kernkompetenzen für eine menschlichere Welt ohne Gewalt. Es ist Zeit für neue Geschlechterrollen. Ich bin für Frauen, die alles können dürfen, und für Männer, die nicht alles können müssen. Ich bin für Menschen, die einfach einzigartig anders sein dürfen. Denn Frauenrechte sind Menschenrechte.

Break the Bias!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Fäscher und Frau Wulf, wenn „Präsident“ – was dort, warum auch immer, in der männlichen Form immer noch steht – aufleuchtet, dann bedeutet das im Grundsatz, dass Sie Ihre Redezeit schon eine Weile überschritten haben. Das geht beim ersten Mal; aber bei den nächsten Malen werden wir als Präsidium strenger.

Jetzt hat das Wort die Kollegin Mariana Harder-Kühnel für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533703
Wahlperiode 20
Sitzung 17
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte - Internationaler Frauentag
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